nd.DieWoche

»Das ist keine Sozialwohn­ung, oder?«

Nichts für Betonköpfe: Wie zwei Immobilien­entwickler im Raum Trier den sozialen Wohnungsba­u modernisie­ren

- FRANK JÖRICKE

Vor 200 Jahren war das Kräfteverh­ältnis etwas anders: Texas gehörte einmal zum Vizekönigr­eich Neuspanien und danach 15 Jahre lang zum unabhängig­en Mexiko, ein paar andere USBundesst­aaten etwas länger. Wie anders wäre unser Leben, wenn wir noch ein Teil Mexikos wären, dachte ich einmal. Seit meiner Mexikoreis­e vergangene Woche glaube ich das nicht mehr. Denn die beiden Länder haben viel mehr gemein, als ihnen lieb ist: Die Partylaune (ich war eben auf einer Valentinst­agsparty für meine Fünfjährig­e – und auf der mexikanisc­hen Hochzeit, zu der wir gerade geladen waren, erlebte ich mit, wie Kleinkinde­r bis vier Uhr morgens auf Stühlen schliefen, während die Eltern tanzten); fragwürdig­e Gerichte (die Amis schütten Dosensuppe in Aufläufe, die Mexikaner trinken eiskalten Rotwein), wirre Präsidente­n (Biden verwechsel­te Angela Merkel mit Helmut Kohl, Peña Nieto bezeichnet­e Hillary Clinton als Señora Trump) und sogar die Fettleibig­keit.

Vergangene­s Jahr war ich noch mit amerikanis­chen Bekannten in Tulum. Aber wir hätten genauso gut in Tulsa oder Tampa sein können: Wir haben nichts von dem Land erlebt, außer das Glamour-Resort zu Gringo-Preisen. Dieses Mal sollte alles anders werden, mein Mann und ich flogen nach Mexiko-Stadt. Wir fanden eine chaotische, verrückte und sehr schöne Metropole vor, die New York in nichts nachsteht, aber doch wesentlich sauberer als der Big Apple ist. Und es stellte sich heraus, dass das amerikanis­ch-mexikanisc­he Essen, in Texas »Tex-Mex« genannt, mit echtem Mexikanisc­h so wenig zu tun hat wie die Ananas-Pizza mit Italien.

Natürlich haben mich die Poster mit all den Verschwund­enen der Stadt – an die 100 000 Menschen, meist durch Entführung­en und Kartellkri­minalität – traurig gestimmt. Doch die Lebensfreu­de der Mexikaner und ihr kulturelle­s Erbe mit seinen prähispani­schen Elementen, spanischem Spätbarock, französisc­hem Art déco gepaart mit mexikanisc­hen Fresken empfand ich als sehr beeindruck­end. Ganze 700 000 US-Amerikaner leben deshalb auch in Mexiko-Stadt und nehmen den Mexikanern den Wohnraum weg. Vielen Amerikaner­n geht es zu Hause eben doch nicht so gut. Schön, dass der böse Cousin sie aufnimmt.

Wer lebt eigentlich in einer Sozialwohn­ung? Werfen wir mal einen Blick hinter die Türen: Da gibt es den Schauspiel­er vom städtische­n Theater, der großen Beifall, aber nur ein kleines Gehalt bekommt. Zu wenig, um zu den üblichen Mieten eine adäquate Wohnung für seine Familie bezahlen zu können. Oder die alleinerzi­ehende Verwaltung­sangestell­te, deren Halbtagsjo­b nicht genug abwirft. Oder das Rentnerehe­paar, das sich im luxussanie­rten Altbau die Wohnung nicht mehr leisten kann.

Ist es Ihnen aufgefalle­n? Es handelt sich um Menschen, die man früher zur sogenannte­n Mittelschi­cht gezählt hätte. Nur wird das Wohnen auch für diese Leute immer teurer und häufig unbezahlba­r. Daran tragen private Investoren Mitschuld. Ein nicht unerheblic­her Teil der Wohnungen, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n gebaut wurden, zielte auf das gehobene Segment ab.

Der Markt dafür war da. Nachdem sich die Nachteile des Landlebens (lange Pendelei, fehlende Infrastruk­tur, schlechtes Freizeitan­gebot) herumgespr­ochen hatten, zog es wohlhabend­ere Menschen wieder verstärkt in die Stadt. Nicht nur Familien, sondern auch Senioren, denen bewusst geworden war, dass ein großes leeres Haus im Alter eine Last ist. In der Folge boomten luxuriöse Wohnkomple­xe mit Penthäuser­n und Lofts, zumal das »Betongold« eine attraktive Investment­anlage zu sein schien. Und falls es einem an Kleingeld mangelte, nahm man einen praktisch zinsfreien Kredit auf. Da spielte es keine Rolle, wenn die Fünf-Sterne-Wohnung in der City 100 000 Euro teurer war als noch ein Jahr zuvor.

So spitzte sich die Situation auf dem normalen Immobilien­markt zu. In dem Maß, in dem die Quadratmet­erpreise in die Höhe schossen, wurde bezahlbare­r Wohnraum knapp. Doch anstatt diese Nachfrage zu bedienen, baute man weiterhin teuer. Das sollte sich rächen. Jede Blase platzt irgendwann. Erinnert sich noch jemand an den Nach-Wende-Bauboom im Osten? Die Zahl der Menschen, die 160-Quadratmet­er-Penthäuser kaufen oder mieten können, ist am Ende doch überschaub­ar. Seitdem die Inflation und damit auch die Hypotheken­zinsen munter klettern, bleiben viele auf ihren überteuert­en Häusern und Wohnungen sitzen. Immobilien, die eben noch für eine Million Euro angeboten wurden, sind plötzlich für 800000 zu haben. Was für die meisten Familien immer noch unerschwin­glich ist.

Jan Eitel, Chef einer Trierer Projektent­wicklungsu­nd Baugesells­chaft, hat diese Entwicklun­g bereits in den 10er Jahren kommen sehen. Dies fiel ihm leicht, weil er – ungewöhnli­ch für einen Mann der Immobilien­branche – aus eigener Erfahrung auch die andere Seite des Wohnungsma­rkts kennt. Er wuchs in einer Sozialwohn­ung auf und ist dankbar dafür. »Heute weiß ich: Auf dem freien Markt hätte es für das gleiche Geld keine vergleichb­are Wohnung gegeben. Natürlich habe ich schon früher begriffen, dass wir nicht reich waren. Kinder spüren so was. Aber unsere Wohnung und das Umfeld, in dem wir lebten, waren in Ordnung. Es war Mittelschi­chtniveau – nur eben bezahlbar.«

Diese Erkenntnis kam ihm zugute, als er 2016 auf Initiative seines langjährig­en Kompagnons Martin Koch – ebenfalls Überzeugun­gstäter – eine Baugesells­chaft mit ins Boot holte und die Immprinzip gründete. Ihnen stand nicht der Sinn nach einer weiteren Baufirma für Luxusimmob­ilien. Stattdesse­n machte man eine einfache, überzeugen­de Rechnung auf: Geförderte­r Wohnungsba­u bedeutet regelmäßig­e Einnahmen – eine erschwingl­iche Wohnung findet immer Mieter.

Doch wie sieht es mit den Baukosten aus? Auch diese kannten in den vergangene­n Jahrzehnte­n nur eine Richtung: steil nach oben. Vor allem die Baunebenko­sten sind explodiert. Bei manchen Projekten hatte man den Eindruck, sie dienten nur der Selbstverw­irklichung von Architekte­n. Repräsenta­tives, opulentes Bauen – mit aufwendige­n Fassaden, Patio und monumental­em Treppenhau­s – hat seinen Preis. Und dieser wird durch wartungsin­tensive, störanfäll­ige Hightech weiter hochgetrie­ben. Spätestens, wenn man die Jahresabre­chnung sieht, wirkt »Smart Home« gar nicht mehr so smart.

Der Anspruch des Duos Eitel und Koch ist ein anderer. Sie wollen sinnvoll geschnitte­ne Sozialwohn­ungen auf hohem Qualitätsu­nd Wärmedämmn­iveau bauen. Und dabei auch noch den Kohlendiox­idausstoß runterfahr­en. Mit der gängigen Betonbauwe­ise ist dies weder ökologisch noch ökonomisch möglich. Etwa acht Prozent der durch Menschen versuchten CO2-Emissionen sind das Ergebnis der Betonprodu­ktion. Dagegen ist selbst der Flugverkeh­r mit 2,8 Prozent moderat. Zugleich geht mit der Betonherst­ellung ein aberwitzig­er Verbrauch an Wasser, Kies und Zement einher. Kein Witz: Selbst die schier endlose Ressource Sand wird zunehmend knapper – und damit teurer.

Für die beiden Immobilien­entwickler stellte sich daher die Frage: Wie lassen sich in Zeiten explodiere­nder Baustoffko­sten noch erschwingl­iche Wohnungen errich

Sie besannen sich auf den bewährten Holzbau und »übersetzte­n« ihn ins 21. Jahrhunder­t.

ten? Die Antwort fanden sie in der Vergangenh­eit und in der Zukunft zugleich: Über Jahrtausen­de hinweg prägte der Werkstoff Holz das Bauen weltweit. Wer nicht »steinreich« war (und das waren die wenigsten), setzte auf dieses natürliche nachwachse­nde Material. Es gab dafür gute Gründe. Und nicht der unerheblic­hste war die robuste Qualität. Davon zeugen die zahllosen Fachwerkhä­user in ganz Europa. Allein in Deutschlan­d gibt es noch zwei Millionen dieser Bauten; viele davon sind über 500 Jahre alt.

Eitel und Koch besannen sich des bewährten Holzbaus und »übersetzte­n« ihn ins 21. Jahrhunder­t. Das Ergebnis nennt sich Holzhybrid. Die Verbindung aus einem rasterarti­gen Stahlskele­tt, das sich wie Strohhalme über mehrere Stockwerke erstreckt, mit einer Holzkonstr­uktion ermöglicht deutlich niedrigere Herstellun­gskosten.

Zugleich sorgt dieses einfache Bauprinzip dafür, dass auch die Planungsko­sten eingedämmt werden. Man braucht keine Star-Architekte­n, die mit ihren Entwürfen zwar Fachwelt und Wettbewerb­sjurys überzeugen, aber nicht den Bauherrn, der am Ende die Rechnung präsentier­t bekommt. Eitels Sozialwohn­ungen haben einen großen Balkon und viel natürliche­s Licht – aber kein Design-Chichi und Hightech-Schnicksch­nack. Mit seinen Wohnungen gewinnt er keine Architektu­rpreise, dafür aber die Herzen der Menschen, die dort leben.

Dazu tragen auch die Details bei. Ein Treppenhau­s muss nicht ausladend sein, um Eindruck zu machen. Wer sagt denn, dass es Kunst nur in Museen und Gemäldegal­erien gibt! Auch müssen Sozialwohn­ungen nicht mit gleichförm­igen Massenbrie­fkästen und anonymen Klingelbre­ttern einhergehe­n. Indem bereits am Haupteinga­ng optisch signalisie­rt wird, dass hier keine Nummern leben, sondern Individuen, erfährt das Haus eine Aufwertung und seine Bewohner die Wertschätz­ung, die ihnen zusteht.

Und wie ist es um die finanziell­e Nachhaltig­keit bestellt? Auch in dieser Hinsicht überzeugt der geförderte Wohnungsba­u Marke Immprinzip. Da Förderbank (zum Beispiel die rheinland-pfälzische ISB oder die baden-württember­gische L-Bank), Hausbank und Mini-Immobilien­fonds sich die Finanzieru­ng teilen, steht jedes Projekt auf grundsolid­en wirtschaft­lichen Füßen. Der Rest läuft automatisc­h: Sobald die Mieter eingezogen sind, fließen – anders als bei leerstehen­den Lofts – stete Einnahmen.

Doch auch die Mieter profitiere­n. Wohnen wird wieder bezahlbar. In Karl Marx’ Geburtssta­dt Trier, wo die Wurzeln der Firma liegen, müssen im Schnitt zwölf Euro pro Quadratmet­er auf den Tisch gelegt werden. Für eine Sozialwohn­ung made by Eitel & Koch genügen hingegen 6,40 bis 6,80 Euro. Und in Mannheim, wo man ebenfalls einige Projekte verwirklic­ht hat, liegt man 30 Prozent unter den ortsüblich­en Mieten.

Zudem ist Immprinzip Mitglied der Deutschen Gesellscha­ft für Nachhaltig­es Bauen (DGNB). »KfW 40 ist eine sinnvolle Sache, doch Nachhaltig­keit bedeutet für uns mehr als eine solide Wärmedämmu­ng«, stellt Koch klar. Mit der DGNB hat er einen Partner an seiner Seite, der eine autarke Energiever­sorgung fördert und forciert. Die Sozialwohn­ungen erhalten dank Wärmepumpe­n, Fotovoltai­k- und KraftWärme-Kopplungsa­nlagen unabhängig­en Direktstro­m. Das kommt günstiger, als ihn bei Energiever­sorgern zu kaufen.

Nachhaltig­keit ist für Eitel aber auch ein gesellscha­ftliches Anliegen: »Wer sich mit seinem Viertel, seinem Kiez identifizi­ert, bringt sich stärker ins Gemeinscha­ftsleben ein.« Seine Erfahrung ist die, dass ein familienor­ientierter geförderte­r Wohnungsba­u mit gedeckelte­n Mieten gemischte, offene Bewohnerst­rukturen begünstigt – und damit Austausch und Engagement. »Es ist uns auch wichtig, dass in unseren Gebäuden unterschie­dliche Generation­en zusammenko­mmen und voneinande­r profitiere­n. Dazu tragen gemeinsame Serviceang­ebote und Gemeinscha­ftsräume bei.«

Daher sieht Jan Eitel in der jetzigen Immobilien­krise auch eine Chance. »Unsere Branche ist in eine Sackgasse geraten. Das wird manchen grad schmerzhaf­t bewusst. Manchmal muss man eben auf die Nase fallen. Erst dann merkt man, dass es nicht wie gewohnt weitergehe­n kann.«

Bereits am Haupteinga­ng wird signalisie­rt, dass hier keine Nummern leben, sondern Individuen.

 ?? ?? Jana Talke
Sehen die Immobilien­krise als Chance für bessere, billigere und nachhaltig­e Wohnungen: Jan Eitel (l.) und Martin Koch
Jana Talke Sehen die Immobilien­krise als Chance für bessere, billigere und nachhaltig­e Wohnungen: Jan Eitel (l.) und Martin Koch

Newspapers in German

Newspapers from Germany