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»Ich brauche nicht mehr Trauer«

Berlinale-Forum: In ihrem autofiktio­nalen Film »Shahid« will die iranische Regisseuri­n Narges Kalhor ihren Namen ändern, um den Schatten ihrer Vergangenh­eit zu entfliehen

- INTERVIEW: INGA DREYER

Aufhänger Ihres Films ist, dass Sie Ihren zweiten Nachnamen »Shahid«, der auf Deutsch »Märtyrer« bedeutet, loswerden möchten. Warum?

Ich bin vor mehr als 14 Jahren aus dem Iran raus und habe hier in Deutschlan­d politische­s Asyl beantragt. Auch vorher hatte ich eigentlich keinen Kontakt mehr zu meinem Vater, der Kulturbera­ter des damaligen iranischen Präsidente­n Mahmud Ahmadineds­chad war. Meine Eltern waren getrennt. Aber den Nachnamen habe ich von seiner Seite geerbt. Und die Herrschaft­en, die er repräsenti­ert, sind dort bis heute an der Macht. Diese großen, dunklen Schatten der Vergangenh­eit begleiten mich bis heute, obwohl ich nicht mehr in den Iran zurückkehr­en werde und meine politische Haltung damals wie heute immer offen gezeigt habe. Das Einzige, was meine Vergangenh­eit symbolisch gesehen jeden Tag spiegelt, ist mein Nachname. Ein paar Buchstaben wegzulasse­n, ändert letztendli­ch an den Tatsachen nichts. Aber ich wollte auf diese Weise einen Zugang schaffen, um eine Geschichte zu erzählen. Denn ich bin sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die mit ihrer Herkunft ein Problem hat.

Im Film beantragt die Schauspiel­erin, die Sie verkörpert, bei einer bayerische­n Kreisverwa­ltung eine Namensände­rung. Es zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, in Deutschlan­d ein paar Buchstaben loszuwerde­n …

Ja, das ist eine ganz schöne Reise. Einmal Iranerin, immer Iranerin. Die Staatsange­hörigkeit können wir nicht abgeben – selbst wenn wir keinen gültigen Pass haben. Aber es ist auch nicht möglich, einen deutschen und einen iranischen Pass mit zwei verschiede­nen Namen zu haben. Teil dieses bürokratis­chen Komplexes ist auch, dass das alles Geld kostet – und sehr, sehr viele Papiere braucht.

Hat es letztendli­ch geklappt?

Leider nicht. Aber ehrlich gesagt: Egal, ob ich mein Äußeres, meinen Nachnamen oder meinen Wohnort wechsele, meine Konflikte mit der Vergangenh­eit sind immer da. Da kann ich nicht lügen. Darüber werde ich auch mit meinem Kind sprechen müssen, wenn es größer ist.

Die Schatten der Vergangenh­eit sind in »Shahid« sehr lebendig. Ihr Urgroßvate­r und »seine Kumpels« verfolgen die

Figur der Narges Kalhor im Film durch die Straßen der bayerische­n Kleinstadt. Wofür stehen die tanzenden Männer mit ihren langen Gewändern?

Es ist schwierig zu visualisie­ren, wie die Vergangenh­eit uns beeindruck­t und beeinfluss­t. Wenn wir über den Nahen Osten und die Männer sprechen, die dort an der Macht sind, stellen wir uns eine Gruppe von schwarz Angezogene­n vor. Ich selbst bin ein Kind von ihnen, aber ihretwegen bin ich auch geflohen. Im Film folgen sie Narges – und man kann sie dabei in ihrer Comicartig­keit teilweise ernst nehmen, teilweise nicht. Sie sollen eine schleppend­e Schuld darstellen.

Warum haben Sie sich entschiede­n, die Themen Schuld, Flucht und Asyl mit satirische­n und komödianti­schen Mitteln zu bearbeiten?

Ich habe früher traurige Filme gemacht, aber irgendwann gelernt: Das Leben ist traurig genug, das muss nicht noch einmal im Kino wiederholt werden. Mir ist wichtig, dass die

ist 1984 in Teheran geboren und dort aufgewachs­en. In ihrem Studium an der Filmhochsc­hule Teheran wurde sie von bekannten Filmemache­rn wie Abbas Kiarostami betreut. 2009 beantragte sie bei einem Besuch in Deutschlan­d politische­s Asyl, was internatio­nal für Aufmerksam­keit sorgte, weil sie die Tochter des ranghöchst­en Kulturbera­ters des damaligen iranischen Präsidente­n Ahmadineds­chad ist.

Nachdem ihr Antrag angenommen worden war, studierte sie an der Hochschule für Fernsehen und Film München.

Ihr Abschlussf­ilm »In the Name of Scheheraza­de oder der erste Biergarten in Teheran« wurde 2019 mit dem Preis des Goethe-Instituts für den besten Dokumentar­film auf dem Filmfestiv­al Dok Leipzig ausgezeich­net. ernsthafte­n Aussagen des Films verständli­ch sind, aber ich wollte auf einer anderen Ebene lässig bleiben. Ich brauche nicht mehr Trauer, dafür mache ich keinen Film. Ich brauche auch kein Mitleid von meinen Zuschauer*innen, sondern möchte einfach diese Epoche meines Lebens darstellen.

Sie wandern zwischen den Genres und überschrei­ten die Grenzen der Welten vor und hinter der Kamera. Immer wieder treten Sie als Regisseuri­n mit dem Filmteam in Erscheinun­g. Welche Bedeutung haben solche Brüche für Sie?

Ich mache seit 20 Jahren experiment­elle Kurzfilme und arbeite als Editorin. Dabei habe ich verstanden: Die spannendst­en Momente von Filmen sind die, die wir normalerwe­ise herausschn­eiden. Als weibliche Filmemache­rin interessie­rt es mich nicht, perfekte Filme zu machen, wie es viele männliche Regisseure tun. Ich nutze die Möglichkei­ten, mit denen seit 100 Jahren tolle Filme gemacht werden, aber breche mit ihren Regeln. Ich versuche, auch Geschichte­n aus dem Hintergrun­d zu erzählen. Das ist immer ein Experiment. Mal klappt es, mal läuft es schief.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

In meinem neuen Filmprojek­t, an dem ich wieder mit Aydin Alinejad arbeite, der mit mir das Drehbuch für »Shahid« verfasst hat, geht es um die Frage, inwieweit wir uns im Westen frei fühlen – oder besser gesagt: Schätzen wir die Freiheit? Ist ein Menschenre­chtsaktivi­st im Gefängnis in einem nicht demokratis­chen Land mit der Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit vielleicht lebendiger und hoffnungsv­oller als wir hier?

Wann können wir mit diesem Film rechnen?

»Shahid« hat mich vier Jahre meines Lebens gekostet. Es wird also voraussich­tlich noch eine Weilte dauern, bis der nächste Film kommt. Aber ich bin froh darüber, dass wir uns jetzt weniger Sorgen um die Finanzieru­ng machen müssen, weil die Förderer Vertrauen in uns haben. Wir wollen weiter als Team und mit demselben Produzente­n zusammenar­beiten.

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Narges Kalhor

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