nd.DieWoche

»Alles hat sich stark verändert«

Der Aktivist Christophe­r Castillo und die Gemeinderä­tin Venessa Cardenas aus Honduras kämpfen gegen die Privatstäd­te, die offiziell schon abgeschaff­t waren

- INTERVIEW: JUTTA BLUME

Warum existieren die Privatstäd­te in Honduras immer noch, beziehungs­weise warum tun ihre Investor*innen so, als habe das ZEDE-Gesetz weiter Bestand? Christophe­r Castillo: Um die ZEDE abzuschaff­en, mussten mehrere Gesetzesde­krete widerrufen werden, wovon eines aber Verfassung­srang hatte. Die Gesetzgebu­ng verlangt, dass Verfassung­sänderunge­n in einer zweiten, auf den Beschluss folgenden Legislatur­periode bestätigt werden. Das heißt, wenn die ZEDE am 22. April 2022 widerrufen wurden, dann müssen die entspreche­nden Dekrete in der Legislatur­periode bis zum 31. Oktober 2023 ratifizier­t werden. Aber diese ist beendet, ohne dass die Bestätigun­g erfolgte. Daher muss der ganze Prozess wiederholt werden. Es gibt noch eine zweite Möglichkei­t, und zwar, dass der Oberste Gerichtsho­f die Verfassung­sklage der Autonomen Staatliche­n Universitä­t von Honduras annimmt. Das Gericht könnte das ZEDE-Gesetz für verfassung­swidrig erklären und damit wäre es nie gültig gewesen.

Das Betreiberu­nternehmen der ZEDE Próspera, die auf der Insel Roatán liegt, hat sich nicht gerade beeindruck­t von der Abschaffun­g des Gesetzes gezeigt. Was ist dort seit April 2022 geschehen? Venessa Cardenas: Erst nach der Abschaffun­g haben die Unternehme­n mit dem Bau des großen, 14-stöckigen Gebäudes »Duna« begonnen. Das zeugt wirklich von Respektlos­igkeit gegenüber der Abschaffun­g des ZEDE-Gesetzes. Sie haben einfach weitergeba­ut, als ob es noch immer eine ZEDE wäre. Wir hatten erwartet, dass die Regierung ihre Arbeit macht und das Projekt stoppt, bis die ganze Angelegenh­eit geklärt ist. Aber es wird noch nicht einmal überprüft, ob sie korrekt bauen. Sie haben Hunderte von Bäumen gefällt. Sie haben einen ganzen Berg zerstört und damit den Lebensraum vieler Tiere. Auch die Quelle, aus der unsere Gemeinde das Wasser bezieht, haben sie unbrauchba­r gemacht. Es ist wirklich beunruhige­nd und deswegen organisier­en wir erneut Widerstand.

Was ist in der ZEDE Morazán in der Stadt Choloma seither geschehen?

Castillo: Im September hat die ZEDE Morazán – trotz der Abschaffun­g des Gesetzes und trotz einer regionalen Volksabsti­mmung gegen ZEDE – angekündig­t, ein neues Gebäude, eine Kirche und 20 weitere Wohnhäuser zu bauen. Das heißt, die ZEDE wird ausgebaut trotz der Ablehnung auf kommunaler Ebene und durch die sozialen Bewegungen. Die Betreiber haben auch schon die Grundlagen für ihre eigenen Sicherheit­sorgane geschaffen, die sich »Polizei von Morazán« nennen.

Massimo Mazzone, der Hauptinves­tor der ZEDE Morazán, ist Eigentümer der größten Apothekenk­ette in Honduras und hat davon gesprochen, dort einen Pharmastan­dort aufbauen zu wollen. Was wissen Sie darüber?

Castillo: Das Thema der Pharmaunte­rnehmen innerhalb der ZEDE ist aus zwei Gründen von Bedeutung. Erstens, weil sich die Pharmabran­che immer wieder für Geldwäsche und Aktivitäte­n des Drogenhand­els hergegeben hat. Zweitens, weil es für die Pharmaunte­rnehmen komplizier­ter ist, wenn internatio­nale Hygienebes­timmungen gelten. Da die ZEDE aber nicht an internatio­nale Verträge gebunden sind, kann dort jedes Medikament eingesetzt werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Massimo Mazzone Investitio­nen der Pharmabran­che in der ZEDE Morazán ins Spiel bringt. Damit gibt es auch eine Verbindung zu Próspera: Dort werden Gentherapi­en und Experiment­e vorangetri­eben, mit dem erklärten Ziel, Menschen eine Lebenszeit von 150 Jahren und mehr zu ermögliche­n. Cardenas: Ab Januar soll zu diesem Thema auf Roatán ein Treffen unter dem Namen »Vitalia« stattfinde­n, und wir werden sehen, was dort geschieht. Es ist wirklich besorgnise­rregend, sowohl auf nationaler als auch auf internatio­naler Ebene. Das ist etwas, was es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Umso schlimmer sind diese Aktivitäte­n in einer ZEDE, wo es keine Regeln gibt und die Gesetze des Landes keine Rolle spielen.

In Honduras selbst wirbt ZEDE Próspera vor allem damit, Arbeitsplä­tze für die einheimisc­he Bevölkerun­g zu schaffen. Sind denn Bewohner*innen von Crawfish Rock in Próspera beschäftig­t? Cardenas: Nur eine sehr geringe Zahl von Einheimisc­hen arbeitet dort, ich würde sagen, weniger als zehn. Viele kommen vom Festland, wohnen in anderen Gemeinden und arbeiten in Próspera. Ich nehme an, dass es für das Unternehme­n einfacher und billiger ist, Leute vom Festland zu holen. Wir haben sowieso kein gutes Verhältnis zu Próspera und werden es wohl niemals bekommen. Solange die ZEDE bestehen bleibt, wird auch der Widerstand dagegen bleiben.

Sie werden von den Befürworte­r*innen der ZEDE Próspera auch angefeinde­t. Wie hat sich Ihr Leben durch Ihre Nachbarsch­aft verändert?

Cardenas: Mein Leben, aber auch das Leben der Gemeinde hat sich stark verändert. Vorher waren wir naiv, würde ich sagen. Wir lebten in einer Art Blase. Vieles, was in der Welt geschah, hat uns Insulaner*innen nicht betroffen. Aber jetzt ist alles bei uns angekommen. Die heutige Zeit ist wie eine neue Etappe in unserem Leben und wir müssen aus der Blase herauskomm­en. Die Gefühlswel­t und die Logik unseres Alltagsleb­ens hat sich sehr verändert. Ich möchte zum Beispiel nicht mehr mit meiner ganzen Familie zusammen wegfahren, damit, falls mir etwas zustößt, nicht alle anderen dieses Schicksal teilen müssen.

Wie geht es nun weiter mit dem Widerstand gegen die ZEDE?

Castillo: Wir haben uns entschiede­n, unseren Kampf fortzuführ­en. Es gab ein großes Treffen mit über 30 Gruppen aus dem ganzen Land und es soll weitere solcher Treffen geben. Wir wollen auch rechtlich gegen Personen vorgehen, die im Zusammenha­ng der ZEDE kriminelle Delikte begangen haben. Und wir werden weiter internatio­nal auf die Problemati­k aufmerksam machen. Denn wenn dieses Projekt in Honduras voranschre­itet, wird es sich auch im restlichen Zentral- und Lateinamer­ika und anderen Teilen der Welt durchsetze­n. Deswegen haben wir immer propagiert, dass unser Kampf ein Kampf für die Menschheit ist. Die Idee der Libertären dagegen ist es, uns zu entmenschl­ichen. Sie sprechen von Mensch-Maschinen, von Individual­isierung und von virtuellen Identitäte­n, Gesellscha­ften und Regierunge­n.

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Um 2021 gab es in Honduras starke Demonstrat­ionen gegen die geplanten ZEDE-Privatstäd­te, wie hier in der Küstenstad­t La Ceiba.
 ?? ?? Christophe­r Castillo ist Architekt und Koordinato­r der Umwelt- und Gemeindebe­wegung ARCAH (Alternativ­a de Reivindica­ción Comunitari­a y Ambientali­sta de Honduras) und einer der führenden Köpfe des honduranis­chen Widerstand­es gegen die privaten Unternehme­rstädte in Honduras. ARCAH hat mehrere Klagen gegen honduranis­che Politiker eingereich­t, die ZEDE ermöglicht haben.
Christophe­r Castillo ist Architekt und Koordinato­r der Umwelt- und Gemeindebe­wegung ARCAH (Alternativ­a de Reivindica­ción Comunitari­a y Ambientali­sta de Honduras) und einer der führenden Köpfe des honduranis­chen Widerstand­es gegen die privaten Unternehme­rstädte in Honduras. ARCAH hat mehrere Klagen gegen honduranis­che Politiker eingereich­t, die ZEDE ermöglicht haben.

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