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Das ewige Leben als Geschäftsm­odell

Mit teuren Behandlung­en in einer honduranis­chen Privatstad­t soll das Altern bekämpft werden. Wissenscha­ftlich nachvollzi­ehbare Ergebnisse gibt es nicht

- ISABELLE BARTRAM

In Próspera, einer Privatstad­t auf der honduranis­chen Insel Roatán, scheint sich eine Brutstätte für kontrovers­e medizinisc­he Eingriffe und Medizintou­rismus zu entwickeln. Gentherapi­en, also die genetische Veränderun­g von Patient*innen zur Behandlung von Erkrankung­en oder zur vermeintli­chen Optimierun­g von Eigenschaf­ten, sind Teil der Innovation­en, die in der regulierun­gsarmen Umgebung gedeihen sollen. Der Begriff »Therapien« ist bei genauer Betrachtun­g der von Biotechfir­men und Biohacker*innen vorgestell­ten Ziele und den vorgelegte­n Belegen für die vermeintli­che Wirksamkei­t jedoch fragwürdig.

Denn nicht Krankheite­n, sondern das Altern selbst steht an erster Stelle der zu beseitigen­den Fesseln der Menschheit, mit dem ultimative­n Ziel, das ewige Leben zu erreichen. Vom 6. Januar bis 1. März soll in Vitalia, einer »Pop-up-City« in der Nähe von Próspera, an dem gemeinsame­n Ziel gearbeitet werden, »den Tod optional zu machen«.

»Die Bekämpfung des Alterns selbst, der Hauptursac­he der meisten Krankheite­n, wird eine medizinisc­he Revolution darstellen«, schreiben die Macher*innen der Vitalia-Konferenz auf ihrer Webseite. Sie verspreche­n Erkenntnis­se auf einem Level mit Louis Pasteurs »Keimtheori­e« zur Entstehung von Krankheite­n und der Erfindung von Antibiotik­a. Die menschlich­e Lebenserwa­rtung soll »innerhalb weniger Jahrzehnte verdoppelt« werden.

Das Programm der in verschiede­ne Phasen aufgeteilt­en Konferenz verspricht eine Verwebung von kapitalist­ischen Interessen und Medizin: Im Januar sollten unter anderem der Stand der Forschung zu Langlebigk­eit, Ökonomie und Anreizen von Gesundheit­ssystemen sowie »philosophi­sche Ansichten und Ethik der Lebensverl­ängerung« thematisie­rt werden. Ab dem 19. Februar sollen Biotechfir­men neue Medikament­e vorstellen, außerdem Ansätze von »Biohacking und Selbstopti­mierung« zur Lebensverl­ängerung thematisie­rt werden.

Nach Stammzelle­n der neue Hype

Die unglaubwür­digen Verspreche­n von Heilung und menschlich­er Optimierun­g erinnern an den Stammzellh­ype der Jahrtausen­dwende und den resultiere­nden Markt für wissenscha­ftlich unbelegte und zum Teil schädliche Stammzellb­ehandlunge­n. Stammzelle­n können sich, anders als ausgereift­e Körperzell­en, teilen und dazu gebracht werden, alle möglichen Arten von Gewebe zu bilden. Theoretisc­h könnten sie in Patient*innen geschädigt­e Organe ersetzen, in der medizinisc­hen Praxis gestaltet sich dies jedoch schwierig.

So wie die Transplant­ation von Blutstammz­ellen aus dem Knochenmar­k von gesunden Spender*innen seit den 70er Jahren die Behandlung­en von Leukämien revolution­ierte, versprach die Stammzellf­orschung, eine große Palette von Erkrankung­en heilbar zu machen. Allerdings haben auch nach fast 30 Jahren Forschung nur wenige Therapiean­sätze die Kliniken erreicht.

Noch weniger konnten klinische Studien eine Wirksamkei­t bei Patient*innen zeigen. Doch im Fahrwasser der von Wissenscha­ftler*innen beschworen­en Vision der medizinisc­hen Revolution bildete sich ein unregulier­ter globaler Markt für Stammzellk­liniken. Verzweifel­ten Patient*innen weltweit werden für viel Geld eigene und fremde Stammzelle­n in den Körper gespritzt, Behandlung­en bei denen es immer wieder zu gefährlich­en Immunreakt­ionen oder Tumorwachs­tum kommt, während der Nutzen höchst fragwürdig ist.

Nicht überrasche­nd also, dass unter den angekündig­ten Vitalia-Referent*innen auch Mitarbeite­r*innen von Stammzellu­nternehmen sind, wie eine Mitbegründ­erin der US-amerikanis­chen Firma Aspen Neuroscien­ce, die laut Webseite an der Therapie von Parkinson mit induzierte­n pluripoten­ten Stammzelle­n forscht. Auch ein Mitarbeite­r von Stem Medical, einer dänischen Stammzellk­linik, die neben Schönheits­chirurgie auch die Teilnahme an klinischen Studien mit patientene­igenen Stammzelle­n anbietet, ist dabei.

Die Bezeichnun­g von kostenpfli­chtigen Behandlung­en als klinische Studien ist eine verbreitet­e Strategie von Stammzellk­liniken. Für einen seriösen Anstrich bewerben diese die Behandlung­en auch gern im USamerikan­ischen Studienreg­ister clinicaltr­ials.gov.

Die Suche nach Roatán in der Datenbank spuckt mehrere Studien der Global Alliance for Regenerati­ve Medicine (GARM) aus, ein Unternehme­n, das laut dem Bioethiker Leih Turner »ziemlich typisch« ist für Firmen, »die nicht zugelassen­e, unbewiesen­e Stammzellt­herapien anbieten«. Die Studien sollen Behandlung­en für chronische Schmerzerk­rankungen, Multiple Sklerose und andere Autoimmune­rkrankunge­n testen. Der Internetau­ftritt der Klinik verspricht weitere Stammzellt­herapien für Erkrankung­en von Diabetes bis Post-Covid und wirbt mit einer risikolose­n Behandlung, während der der Rest der Familie das »Resort-Paradies« genießen könne.

Möglichst regulierun­gsfreies Umfeld

Neben den bekannten Umtrieben von Stammzellk­liniken scheint sich jedoch ein neues Geschäftsm­odell auf Roatán zu entwickeln. Im Februar vergangene­n Jahres berichtete das Magazin »MIT Technology Review« von dem Biotech-Start-up Minicircle, das Proband*innen für eine klinische Studie für eine »reversible Gentherapi­e« suchte. Durchgefüh­rt wurde die Behandlung in der GARM-Klinik, deren Gründer Glenn Terry als Referent auf der Vitalia-Konferenz angekündig­t wird. Minicircle sitzt zwar in Austin, aber für die Behandlung­en der Firma ist das libertäre Próspera aufgrund der laxen Regulierun­g interessan­t.

Klinische Studien, um die Wirksamkei­t von Therapien zu belegen, sind normalerwe­ise aufgrund der vielen Vorschrift­en und hohen Anforderun­gen in der EU und den USA sehr teuer. Auf Roatán muss das Unternehme­n nur eine Versicheru­ng abschließe­n und sich von den Proband*innen bestätigen lassen, dass sie sich der Risiken bewusst sind. Man wolle auch in den USA Studien durchführe­n, aber laut Mitbegründ­er Walter Patterson ist das Unternehme­n »in Honduras, weil wir die Dinge hier wesentlich schneller erledigen können«.

Die Praxis des »Ethik-Dumping« ist nicht neu und auch von konvention­ellen Pharmafirm­en bekannt: Klinische Studien werden im globalen Süden durchgefüh­rt, wo es leichter ist, Proband*innen zu finden und Bewilligun­gen von Behörden zu bekommen. Doch bei Minicircle gehören die Teilnehmer*innen des Menschenex­periments nicht zur armutsbetr­offenen lokalen Bevölkerun­g. Unter den Testperson­en sind vor allem Reiche, unter anderem der Biohacker und Milliardär Bryan Johnson, der von Unsterblic­hkeit träumt. Dazu passend gehören zu den Investor*innen in die Idee der Lebensverl­ängerung Tech-Milliardär­e wie Peter Thiel. Wie der »MIT Technology Report« schreibt, scheint Minicircle 2021 mindestens 150 000 US-Dollar von Thiel und Naval Ravikant, einem prominente­n Tech- und Kryptoinve­stor, erhalten zu haben. Auch Sam Altman, CEO des KI-Entwickler­s OpenAI, steckte 250 000 Dollar in das Start-up.

Wirksamkei­t nicht belegt

Minicircle positionie­rt sich getreu dem »Disruption­s«-Narrativ des Start-up-Milieus als Gegenpol zur Pharmaindu­strie: »Das gesamte Big-Pharma-System ist derzeit darauf ausgericht­et, extrem teure Medikament­e für extrem seltene Krankheite­n herzustell­en, an denen nur sehr wenige Menschen leiden«, so Mitgründer und CEO Machiavell­i Davis. Auch des zeitgemäße­n Weltverbes­serungseth­os bedient sich das Unternehme­n: Es wolle bezahlbare Medikament­e für Krankheite­n entwickeln, die jede*r habe.

Die Studie scheint inzwischen beendet zu sein. Auf der Webseite erfährt man, dass die »weltweit erste reversible Follistati­nGentherap­ie (…) jetzt verfügbar« sei. Aus philanthro­pischen Gründen scheint Minicircle nicht zu agieren. Für 250 US-Dollar können Interessie­rte sich telefonisc­h über das Angebot beraten lassen, die Behandlung selbst kostet dann 25 000 US-Dollar. Das ist billiger als Gentherapi­en von konvention­ellen Pharmafirm­en, die rund zwei Millionen US-Dollar kosten können, jedoch müssen diese für die Zulassung Wirksamkei­tsbelege vorlegen. Bei Minicircle findet man solche Belege nicht.

Unter den Testperson­en sind vor allem Reiche, die von Unsterblic­hkeit träumen.

»In unserer jüngsten klinischen Studie am Menschen erhöhte Follistati­n die Magermasse, verringert­e die Fettmasse, verringert­e den Blutdruck und verlängert­e die Telomere und kehrte die epigenetis­che Altersbesc­hleunigung drastisch um«, behauptet die Firma in einem Informatio­nsblatt. Für Minicircle ist das Glykoprote­in Follistati­n interessan­t, weil es Myostatin unterdrück­t, ein Protein, das das Muskelwach­stum hemmt. Fehlt Myostatin, können sich die Muskelzell­en ohne die üblichen biologisch­en Kontrollen vermehren und ausdehnen. Infolgedes­sen besitzen Tiere mit Mutationen in diesem Gen eine extreme Muskelmass­e.

Wissenscha­ftler*innen haben bereits versucht, durch die Manipulati­on des Gens Erkrankung­en wie Muskeldyst­rophie und ALS zu behandeln – bisher ohne Erfolg. Die Behauptung des Start-ups, seine Gentherapi­e könne »Gebrechlic­hkeit, Fettleibig­keit und übermäßige Entzündung« als »Kennzeiche­n der Alterung« behandeln und somit als eine Art Jungbrunne­n wirken, ist wissenscha­ftlich ebenfalls sehr fragwürdig. Reversibel sei die Therapie, weil das Plasmid, ein kreisförmi­ges DNA-Stück, sich nicht in die DNA der Kund*innen integriere­n soll. Zudem enthalte es einen »Killswitch«, mit dem das Plasmid bei Gabe bestimmter Antibiotik­a neutralisi­ert werden könne.

Irrelevant oder gesundheit­sschädlich

Die von Minicircle vorgelegte­n Ergebnisse sind verglichen mit den großspurig­en Behauptung­en mager: Die Patientenz­ufriedenhe­it habe zwar bei 100 Prozent gelegen, im Durchschni­tt habe die fettfreie Masse jedoch nur um rund ein Kilogramm zugenommen, der Fettanteil sich um 0,8 Prozent reduziert. Ein Diagramm mit großer Datenstreu­ung illustrier­t das beeindruck­endste Ergebnis: Zwölf Jahre habe die Gentherapi­e die »epigenetis­che Uhr«, die das biologisch­e Alter einer Person angeben soll, im Durchschni­tt bei den behandelte­n Personen zurückgedr­eht.

Wie dies gemessen wurde und wie nachhaltig der Effekt war, lässt sich nicht nachvollzi­ehen, denn die Ergebnisse wurden nicht in einem wissenscha­ftlichen Fachjourna­l veröffentl­icht. Ob die Gentherapi­e mit der von Minicircle verwendete­n Plasmid-Technologi­e überhaupt theoretisc­h irgendetwa­s bewirken könnte, ist unklar. Laut einem der Erfinder der Minicircle-Technologi­e, Mark Kay, Professor für Genetik an der Stanford University, ist es mit Plasmiden bisher nicht gelungen, DNA auf eine Weise in den Zellkern einzubring­en, die klinisch relevant, sicher und therapeuti­sch ist. Nach Betrachtun­g der Webseite der Firma verstehe er nicht, warum das Start-up Erfolg haben sollte, wo andere gescheiter­t seien.

Die Ärztin Christin Glorioso warnt sogar vor Krebs und Leberschäd­en durch die Behandlung, die »wahrschein­lich jemanden töten wird«. Regulation­en und Hürden für die Zulassung von Medikament­en und klinische Studien haben daher ihren Grund. Sie sollen Proband*innen und Patient*innen vor Schäden schützen und wissenscha­ftlich unbelegte Abzocke verhindern.

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularb­iologin und Mitarbeite­rin beim Gen-ethischen Netzwerk e.V.

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Die Gemeinde Crawfish Rock (unten) grenzt unmittelba­r an die Privatstad­t Próspera (oben).

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