Wertebasiert und kriegsbereit
Realismus, Pragmatismus und die Bereitschaft zur Diplomatie finden sich derzeit weder in der Politik noch in den journalistischen Berichten über sie. SPD-Aufrüstungsminister Boris Pistorius fabuliert über »Kriegstüchtigkeit« angesichts einer selbst inszenierten Drohkulisse, dass spätestens Ende des Jahrzehnts mit einem russischen Angriff auf NatoGebiet zu rechnen sei. Die Grüne Annalena Baerbock belehrt Staatschefs in aller Welt über die universal gültigen Werte »feministischer Außenpolitik«. Bundespräsident FrankWalter Steinmeier propagiert in pastoralen Sonntagsreden regelmäßig ein soziales Pflichtjahr, für beide Geschlechter. Und Bayerns CSUMinisterpräsident Markus Söder drängt darauf, die nach 1992 geborenen und seither von jeglicher militärischen Anforderung verschonten Jahrgänge wieder auf Tauglichkeit zu mustern. Nie um eine rhetorische Spitze verlegen, wettert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes StrackZimmermann (FDP), in Talkshows gegen »Weicheier«, also die nicht »wehrhaften« und zu wenig kriegsbegeisterten Männer.
Am allgemeinen Säbelrasseln ändern auch die vorgeblich stets friedlichen, die Männer mäßigenden Frauen wenig. Von der Leyen, Baerbock, Högl, Lambrecht, Strack-Zimmermann: Die Liste der wertefundamentalistischen Kriegerinnen ist lang. Während ihrer Amtszeiten verdoppelte sich der deutsche Rüstungsetat nahezu, schon vor der »Zeitenwende«. Immer mehr Waffen wurden in Krisenregionen und an fragwürdige Staaten verkauft. Jetzt verlangt Außenministerin Baerbock die Lieferung von Kampfhubschraubern des Typs Eurofighter an Saudi-Arabien.
Wie immer hat die Politikerin moralisch untermauerte Erklärungen parat. Denn die vielen Kriegseinsätze sind genauso tabuisiert wie eine ernsthafte Debatte über die euphemistisch als »Sondervermögen« der Bundeswehr deklarierten Kriegskredite. Der Unmut darüber wächst aber, denn die Militärausgaben sind natürlich Haushaltskürzungen an anderer Stelle.
Während der Regierungszeit von Angela Merkel entstand, forciert durch die Schuldenbremse des kürzlich verstorbenen CDU-Finanzministers Wolfgang Schäuble, ein gigantischer Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur. Weil jetzt überall gespart wird, aber auf keinen Fall beim Militär, dürfte der Leistungsabbau weitergehen.
Erste politische Signale waren die Einschränkung des Elterngeldes, die Degradierung der Kindergrundsicherung zu einer nur noch symbolischen Hilfe sowie die umstrittenen Streichungen von Subventionen für die Landwirtschaft. Hohe Energiekosten für Privathaushalte wie Unternehmen, Inflation und Preisanstieg vor allem bei Nahrungsmitteln und in Restaurants, ein maroder öffentlicher Nah- und Fernverkehr trotz der propagierten nachhaltigen Verkehrswende: All das summiert sich zu einem hohen Preis für das Säbelrasseln mit Moralpatina, für eine perfide, mit angeblich werteorientierten oder gar feministischen Argumenten legitimierte Politik der »Kriegsertüchtigung«.
Thomas Gesterkamp