Jenseits des Parlaments
Ob Masseneintritte in die Linkspartei oder Neugründung des BSW – Parteien sind beständiger Fluchtpunkt linker Politik. Eine radikale Kritik daran eint seit jeher den Anarchismus. Die Studie »Means and Ends« hat dessen Strömungen nun historisch rekonstruie
Die Arbeit der politischen Parteien scheint verflucht. Immer wieder führt sie zu Enttäuschung und Frustration über jene Parteien, die doch eigentlich für Veränderung und konkrete politische Ziele gewählt wurden. Insbesondere für die Sozialdemokratie scheint dies mittlerweile zum Markenkern geworden zu sein. Die Linkspartei hingegen steht derweil vor ganz anderen Problemen, ihre parlamentarische Arbeit ist als Ganzes bedroht. Angesichts dieser desolaten Lage könnte es naheliegend sein, sich auf außerparlamentarische Formen linker Politik zu besinnen.
Eine Strömung, die bereits früh die Ausrichtung der sozialistischen Bewegung auf den Parlamentarismus und den Staat kritisierte, ist der Anarchismus. Dessen Strategie sollte insbesondere deshalb von Interesse sein, weil seine Theoretiker*innen die möglichen Probleme in der Fokussierung auf bestehende Institutionen bürgerlicher Politik von Anfang an benannten – noch bevor die meisten sozialistischen Parteien überhaupt gegründet waren.
Manche der anarchistischen Kritiken lesen sich geradezu prophetisch angesichts der Entwicklung der parlamentarischen Demokratie zu einer Herrschaft des Sachzwangs und Politikverdrossenheit. Einen guten Einblick in diese Kritiken und den historischen Kontext ihrer Entstehung bietet die Studie »Means and Ends« von Zoe Baker, die im letzten Jahr erschienen ist. Darin wird die Herausbildung des Anarchismus als eigenständige Bewegung des Sozialismus im Zeitraum von 1868 bis 1939 nachgezeichnet. Baker bezieht sich auf bekannte Autor*innen wie Michael Bakunin, Emma Goldman oder Voltairine de Cleyre, während zugleich auch verschiedene besondere Strömungen berücksichtigt werden.
Zentral verhandelt die Studie die Differenzen zwischen AnarchoSyndikalismus (etwa in Anschluss an Rudolf Rocker oder Émile Pouget) und Plattformismus (anschließend an die Gruppe Dielo Truda um Nestor Makhno), die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend gegensätzliche Antworten darauf entwickelten, wie die Massen für die Revolution begeistert werden könnten.
Der Kern des Anarchismus
Mit ihrer Übersicht zu den revolutionären Strategien des Anarchismus in Europa und in den USA ist Baker eine doch recht außergewöhnliche Leistung gelungen, insofern das Buch ebenso gut als Einführung wie als historische Studie funktioniert. Was den besonderen Reiz ausmacht, ist, dass die Entstehung der politischen Ideen des Anarchismus in ihrem historischen Kontext verortet werden. So erscheinen ebendiese Ideen nicht frei schwebend im Gedankenhimmel, sondern werden als Antworten auf konkrete strategische Probleme der politischen Praxis verständlich.
Beeindruckend ist die Souveränität, mit der Baker die rezipierten Positionen überblickt und in verschiedene Kontexte verständlich einordnen kann. Ein Mangel der Studie ist hingegen die Beschränkung der rezipierten Schriften auf Europa und die USA. Da derartig umfassende Darstellungen aber auch für diesen
Der Versuch, dem Anarchismus eine theoretische Einheit zu geben, droht ihn an manchen Stellen erstarren zu lassen.
Raum bisher fehlten, lässt sich nur hoffen, dass dies ein Anfang ist, dem weitere Analysen folgen mögen.
Dass Bakers Studie eben auch als Einführung in den Anarchismus funktioniert, liegt daran, dass sie die Disparität der Positionen innerhalb der anarchistischen Bewegung ausführlich darstellt und trotz aller Unterschiede immer wieder zu Gemeinsamkeiten zurückkehrt. Das Buch vermeidet es so, sich in einem Allgemeinplatz anarchistischer Einführungen zu verlieren: Dieser lautet meist, dass bereits der Begriff des Anarchismus unklar ist und somit auch eine Einführung diesen nicht definieren kann. Noch bevor man angefangen hat, sich mit dem Anarchismus zu beschäftigen, zerfällt dieser wieder in verschiedenste Strömungen, deren Gemeinsamkeit scheinbar nur in der Verwendung des gleichen Wortes zur Selbstbeschreibung besteht.
Baker dagegen verfolgt den Anspruch, immer wieder auf die gemeinsamen Grundlagen der anarchistischen Theorie zurückzukommen. Zentral dafür ist die von Baker so bezeichnete Theorie der Praxis, die als Kern der anarchistischen Theorie rekonstruiert wird. Demnach basieren die anarchistischen Grundlegungen auf der Annahme, dass das Vermögen zu verschiedenen Tätigkeiten erst durch die Teilnahme an den dafür notwendigen Praktiken ausgeprägt wird. Die Praktiken beeinflussen jene, die daran teilnehmen, und prägen deren Selbstverständnis.
Selbstbestimmt statt nur vertreten
Diese These mag zunächst banal anmuten. Aber in ihrer Einfachheit liegt zugleich ihre Radikalität, wenn sie auf den politischen