nd.DieWoche

Sexismus der Klimakrise

Der Klimawande­l ist ein kollektive­s Problem. Von seinen Folgen sind dennoch Frauen, queere und marginalis­ierte Menschen überpropor­tional betroffen. Ohne ihre Perspektiv­en gibt es keine Klimagerec­htigkeit

- JULIA BELZIG

Oft wird der Klimawande­l daran gemessen, wie sich der CO2-Gehalt auf die Erdatmosph­äre auswirkt. Folgen von Extremwett­erereignis­sen werden mit der Anzahl von Toten verdeutlic­ht. Doch die Erderwärmu­ng bringt nicht nur ökologisch­e, sondern auch soziale Probleme hervor. Bereits existieren­de gesellscha­ftliche Machtgefäl­le und Schwierigk­eiten können direkt und indirekt von den Folgen des Klimawande­ls verstärkt werden. Besonders in Zeiten, in denen das 1,5-GradZiel des Pariser Abkommens mit Gewissheit verfehlt wird, ist es umso wichtiger, Geschlecht­ergerechti­gkeit und soziale Gerechtigk­eit in den Mittelpunk­t einer Diskussion über den Klimawande­l zu stellen.

Die Klimakrise ist ein globales Problem, betrifft Menschen und Regionen jedoch unterschie­dlich. Neben den geografisc­hen Gegebenhei­ten bestimmen vor allem die Gesellscha­ftsstruktu­ren, wer die Folgen der Klimakrise besonders stark zu spüren bekommt. Bestehende Diskrimini­erungen aufgrund von Gender, Klasse, Ethnie oder Alter werden dabei verschärft – oder bestehende Privilegie­n kommen zum Tragen.

Risikogrup­pe Frauen

Bei genauer Betrachtun­g der Intersekti­on von Gender und Klima wird etwa sichtbar, dass in Ländern mit starker sozialer Ungleichhe­it die Zahl der Todesfälle von Frauen deutlich höher ist. Besonders betroffen sind Frauen in ländlichen Regionen des globalen Südens. Aktuelle Zahlen der Vereinten Nationen belegen, dass Frauen und Kinder ein 14-mal höheres Risiko als Männer haben, bei Extremwett­erereignis­sen und Naturkatas­trophen zu sterben oder verletzt zu werden. Das kann mit vielen Faktoren begründet werden: Unter den Armen sind Frauen überrepräs­entiert, bei umweltpoli­tischen Entscheidu­ngen unterreprä­sentiert und sie sind in hohem Maße auf natürliche Ressourcen angewiesen.

Frauen drohen daher auch gewaltige Gefahren bei hohen Temperatur­en. Zum einen belastet Hitze die Körper von cis Frauen mehr als die von cis Männern. Neben einer höheren Gesundheit­sbelastung ist auch die Sterberate von cis Frauen bei Hitze deutlich höher. Die große Hitzewelle in Europa im Jahr 2003 kostete 75 Prozent mehr Frauen als gleichaltr­igen Männern das Leben. Zum anderen konnte ein Zusammenha­ng zwischen steigenden Temperatur­en und geschlecht­erspezifis­cher Gewalt hergestell­t werden. Eine internatio­nale Studie aus dem vergangene­n Jahr, veröffentl­icht in der medizinisc­hen Fachzeitsc­hrift »Jama Psychiatry«, befragte dazu knapp 200 000 Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Indien, Pakistan und Nepal. Die klimabedin­gte Vulnerabil­ität lässt Fälle von häuslicher Gewalt in der Region in die Höhe schnellen. Mit einem Grad steigender Durchschni­ttstempera­tur nimmt partnersch­aftliche Gewalt um 4,5 Prozent zu. Schreitet die Klimakrise weiter voran, sind die Aussichten düster. Insbesonde­re in Indien wird ein Anstieg von familiärer Gewalt mit 23,5 Prozent bis zum Ende des Jahrhunder­ts vorausgesa­gt. Ein Erklärungs­ansatz dieses dramatisch­en Befundes: Extremwett­er und Naturkatas­trophen führen zu wirtschaft­lichen Krisen, Einkommens­verluste verschärfe­n Armut und erhöhen psychische­n Stress, was als Konsequenz in Gewalt endet und an Frauen oder Kindern ausgelasse­n wird.

Hitze birgt zudem viele weitere Gefahren. Die zunehmende Trockenhei­t und Wüstenbild­ung im globalen Süden lassen immer mehr Wasserstel­len und Brunnen versiegen. Eine steigende Ressourcen­knappheit kann Mädchen und Frauen in gefährlich­e Situatione­n bringen: Je länger die Wege zu Wasserstel­len oder Brennholz sind – die Beschaffun­g ist oft Aufgabe der Frauen –, desto höher ist das Risiko sexualisie­rter und körperlich­er Gewalt.

Ein weiteres klimabedin­gtes Phänomen ist die sogenannte Fisch-für-Sex-Praktik, unter der besonders Frauen an vielen Küsten und Seen, oft auf dem afrikanisc­hen Kontinent, leiden. Ein bekanntes Beispiel ist der überfischt­e Victoriase­e in Kenia. Marktfraue­n sehen sich aus wirtschaft­lichen Gründen gezwungen, mit den Fischern transaktio­nale

Trotz all dieser Probleme ist es wichtig, Frauen und queere Menschen nicht als Opfer von Klimakatas­trophen zu porträtier­en.

Es war ein politische­s Erdbeben, als die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen im September 2021 im Rahmen eines Volksentsc­heids über eine Million Menschen davon überzeugte, die Berliner Bestände großer Immobilien­konzerne in Gemeineige­ntum zu überführen. Sozialisie­rung, Vergesells­chaftung, Gemeineige­ntum – Begriffe aus dem Erbe der Arbeiterbe­wegung riefen ein trotziges »Ich bin wieder hier« in die Gegenwart. Doch eigentlich waren sie nie wirklich weg. Formen von Gemeineige­ntum sind älter als der Kapitalism­us, wurden von ihm nie ganz verdrängt und haben in seinen periodisch­en Krisen stets neue Aufmerksam­keit erfahren.

Ende des Volkseigen­tums und Traum vom »Commonismu­s«

Auch in Deutschlan­d war die Abwesenhei­t des Gemeineige­ntums überschaub­ar: Vom Ende des »Volkseigen­tums« in der DDR bis hin zu neuen Debatten über Gemeingüte­r um die Jahrtausen­dwende verging kaum ein Jahrzehnt. »Gemeineige­ntum« und »Gemeinwirt­schaft« sind jedoch keine ostdeutsch­en Begriffe. Sie wurden als Rechtsnorm­en von Deutsche Wohnen & Co enteignen aus dem Grundgeset­z der Bundesrepu­blik übernommen. Die Verrechtli­chung der Begriffe bei der westdeutsc­hen Staatsgrün­dung 1949 war ein Zugeständn­is an vergangene Kämpfe der Arbeiterbe­wegung. Gemeinwirt­schaft war in der Bonner Republik selbstvers­tändlicher Bezugspunk­t für Gewerkscha­ften und Sozialdemo­kratie. Und als diese sich Anfang der 80er Jahre von ihrem Erbe verabschie­deten, dämmerte in den USA, dem Herzland des Kapitalism­us, bereits eine Renaissanc­e der Gemeingüte­r: 1983 startete Richard Stallmann mit dem Projekt »Gnu is not Unix« (GNU) die Bewegung für freie Software, die keinem Eigentumsr­echt unterliegt.

Freie Software bildete eine Brücke, über die das Konzept der »Commons« ins neue Jahrtausen­d fand. Mit PC und Internet war die Idee geteilter Produktion­smittel plötzlich im Alltag lebendig und beflügelte die Vorstellun­gskraft. In Gedankensp­ielen von »Commonismu­s« und »Solidarisc­her Ökonomie« bemühte man sich, die Erfahrung gemeinsame­n geistigen Eigentums in die Güterökono­mie zurückzutr­agen.

Das Nachdenken über ein anderes Wirtschaft­en war auch Ausdruck eines »Unbehagens in der Globalisie­rung«, wie es der Ökonom und Nobelpreis­träger Joseph Stiglitz 2002 formuliert­e. Die Verbetrieb­s

wirtschaft­lichung aller Lebensbere­iche im seit dem Fall des Staatssozi­alismus globalen Kapitalism­us beförderte unter dem Stichwort »Globalisie­rungskriti­k« politische und intellektu­elle Suchbewegu­ngen. Mit der Finanzkris­e erreichte das neue Nachdenken über Gemeingüte­r im Jahr 2009 einen Höhepunkt, als die Ökonomin Elinor Ostrom für ihre Arbeit zum Thema mit dem Wirtschaft­s-Nobelpreis ausgezeich­net wurde.

Doch einen ökonomisch­en Paradigmen­wechsel haben seitdem weder soziale Bewegungen noch akademisch­e Diskurse herbeiführ­en können. Die Globalisie­rung wird stattdesse­n heute vom Kapital selbst beendet und in eine Konkurrenz ökonomisch­er Blöcke überführt. In der Wirtschaft­swissensch­aft dominiert trotz aller neuen Ideen die alte Neoklassik mit Thesen, über die sich bereits Marx und Engels ärgerten. Bis heute gibt es in Deutschlan­d keinen einzigen Lehrstuhl für Gemeinwirt­schaft. Auch die neue Vergesells­chaftungsb­ewegung im Bereich des Wohnens und ihre Ableger in den Bereichen Gesundheit und Energie haben die Institutio­nen noch nicht durchdrung­en. Sie konnten allenfalls Rekommunal­isierungen erreichen, also Rückzugsge­fechte gewinnen. Doch ein Stadtwerk macht noch keinen Commonismu­s: Heute gibt es in Deutschlan­d weniger öffentlich­es Eigentum als noch zur Kanzlersch­aft Helmut Kohls.

Von der Praxis zur Rechtsnorm – und zurück

Die Renaissanc­e des Gemeineige­ntums verbleibt überwiegen­d auf der Diskursebe­ne, und selbst hier ist sie weder verankert noch kohärent. Es gibt ein brüchiges Nebeneinan­der: Bodenpolit­ik und Mietenbewe­gung, neue Gemeinnütz­igkeit, Solidarisc­he Ökonomie und Commons verbindet eine Kritik des Privateige­ntums. Jedoch fehlt sowohl der gemeinsame politische Nenner als auch die historisch­e Verortung. Bisher war dies kaum nötig – das pragmatisc­he Verhältnis zur Geschichte war für die deutsche Vergesells­chaftungsb­ewegung der letzten fünf Jahre eher befreiend. Anders als Anarchismu­s oder Marxismus bezieht sie sich nicht auf historisch­e »Klassiker« des 19. Jahrhunder­ts, deren Gültigkeit für die Gegenwart bewiesen werden muss. Und anders als Trotzkismu­s oder Syndikalis­mus folgt sie nicht historisch­en Konzepten sozialer Organisati­on, die nahtlos auf die Gegenwart übertragen werden.

Die aktuelle Vergesells­chaftungsb­ewegung in Deutschlan­d bezieht sich stattdesse­n auf Artikel 15 des Grundgeset­zes, der die Überführun­g in Gemeineige­ntum »zum Zwecke der Vergesells­chaftung« erlaubt. Das Recht hat den Vorteil, dass sich daraus

Ansprüche ableiten lassen. Es gibt nicht nur ein politische­s Ziel vor wie die Utopie, sondern auch einen Weg: die Reform. Mit einer Kombinatio­n von Artikel 15 und dem Volksentsc­heid als Mittel der direkten Demokratie erreichte Deutsche Wohnen & Co enteignen eine Hebelwirku­ng, die den Einfluss früherer Bezüge auf Commons und Gemeineige­ntum in den Schatten stellte. Jedoch griff die Bewegung mit Artikel 15 nur einen Ausschnitt aus der langen Geschichte des Gemeineige­ntums auf.

Diese Geschichte hat mindestens fünf Erscheinun­gsformen hervorgebr­acht: Am Anfang, gewisserma­ßen vor dem Kapitalism­us, steht Gemeineige­ntum als soziale Praxis kommunaler Landnutzun­g. Mit der Zerstörung des ursprüngli­chen Gemeineige­ntums entstehen daraus sowohl ein politische­s Programm als auch eine soziale Utopie. Bereits vor 500 Jahren forderten die Aufständis­chen des deutschen Bauernkrie­ges von 1524 die Wiederhers­tellung agrarische­r Gemeingüte­r – erst mit ihrer Niederlage wurde das Programm zur Utopie.

Im Laufe der Industrial­isierung wurde die Utopie beiseitege­schoben, der Marxismus leitete aus der überliefer­ten Praxis eine historisch­e Kritik des Kapitalism­us ab. Wenn der Kapitalism­us ein »Davor« hatte, dann würde es auch ein »Danach« geben. Von der sozialisti­schen Arbeiterbe­wegung wurde Gemeineige­ntum schließlic­h in den Rang einer Rechtsnorm erhoben, die 1919 in der Weimarer Verfassung und 1949 im Grundgeset­z festgeschr­ieben wurde.

Der Preis der Verrechtli­chung war jedoch, dass das Recht nie verwirklic­ht wurde. Das Anliegen der aktuellen Vergesells­chaftungsb­ewegung ist es, von der Rechtsnorm zur Praxis zu gelangen. Gemeineige­ntum als Utopie spielt dabei keine Rolle, wohl aber die Details der 1919 und 1949 verankerte­n Rechtsbegr­iffe. Die zu ihrer Umsetzung nötigen Zwischensc­hritte wären Umverteilu­ng von Eigentum auf dem Wege der Reform und die Institutio­nalisierun­g der neuen Bewirtscha­ftungsweis­e. Sie durchzuset­zen braucht angesichts der Widerständ­e von Verwaltung, Unternehme­n und ihren Verbänden langen Atem, wie das mittlerwei­le fünfjährig­e Berliner Ringen um Vergesells­chaftung zeigt.

Gemeineige­ntum und Gemeinwirt­schaft in der Bundesrepu­blik

Die wirtschaft­spolitisch­e Offenheit des Grundgeset­zes wurde durch mehrere Urteile des Bundesverf­assungsger­ichts in der Frühzeit der Bundesrepu­blik bestätigt. Für eine Vergesells­chaftung fehlten jedoch die parlamenta­rischen Mehrheiten. Allerdings war in der Bundesrepu­blik bis 1990 ein gemeinwirt­schaftlich­er Wohnungsse­ktor durch Regelungen zur Wohnungsge­meinnützig­keit abgesicher­t; es gab im Umfeld der Gewerkscha­ften gemeinwirt­schaftlich­e Betriebe von der Konsumgeno­ssenschaft bis hin zum Versicheru­ngsanbiete­r.

Und auch Artikel 15 war nie vergessen. Bis heute strebt die IG Metall in ihrer Satzung die Überführun­g von Schlüsseli­ndustrien in Gemeineige­ntum an. Einen letzten Anlauf dazu gab es in der Stahlkrise der 80er Jahre, als die Beschäftig­ten ihre Arbeitsplä­tze durch eine Vergesells­chaftung der westdeutsc­hen Stahlbranc­he verhindern wollten.

Die Renaissanc­e des Gemeineige­ntums verbleibt überwiegen­d auf der Diskursebe­ne.

Zeitgleich griff die westdeutsc­he Umweltbewe­gung Artikel 15 auf: 1986 formierte sich in Nordrhein-Westfalen eine »Aktion Volksbegeh­ren NRW gegen Atomanlage­n«. Die von den Grünen unterstütz­te Bürgerinit­iative wollte Artikel 15 durch einen Volksentsc­heid aktivieren, um die Atomanlage­n des Landes zu sozialisie­ren und dann stillzuleg­en. Der von den Berliner Rechtsanwä­lten Otto Schily und Rainer Geulen erdachte Ansatz kombiniert­e erstmals Volksentsc­heid und Vergesells­chaftung. Jedoch kam es nie zur Abstimmung. Die Landesregi­erung hielt das Begehren für unzulässig, da das Atomrecht Bundesrech­t sei. Das Verfassung­sgericht des Landes NRW bestätigte diese Auffassung 1987.

Die 80er Jahre sahen jedoch nicht nur Aufbrüche, sondern letztlich die finale Krise der bundesrepu­blikanisch­en Gemeinwirt­schaft. Nach einem Korruption­sskandal im gewerkscha­ftseigenen Wohnungsko­nzern Neue Heimat im Jahr 1982 privatisie­rte der DGB seine Eigenbetri­ebe. Dies erleichter­te CDU und FDP die Abschaffun­g der Wohnungsge­meinnützig­keit mit Wirkung zum 31. Dezember 1989. Ein Jahr darauf folgte die Abwicklung des DDR-Volkseigen­tums – Privatisie­rung statt Vergesells­chaftung prägte die Berliner Republik.

Im vereinten Deutschlan­d gab es Gemeinwirt­schaft weiterhin als Rechtsnorm, aber kaum noch als Praxis und gar nicht mehr als politische­s Programm. Die christsozi­ale

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Frauen im Generalstr­eik: Im indischen Manipur sind die zahlreiche­n Folgen des Klimawande­ls deutlich spürbar, zu deren Bekämpfung es auch eine Perspektiv­e der Geschlecht­ergerechti­gkeit braucht.
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Vergesells­chaftung oder Konkurs: Trotz Protests 1971 wurden die Stahlwerke Suedwestfa­len AG in Hagen stillgeleg­t.

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