nd.DieWoche

»Der Drops ist noch nicht gelutscht«

Wolfgang Ehmke über 50 Jahre Widerstand gegen Atomanlage­n in Gorleben und anderswo

- INTERVIEW: REIMAR PAUL

Herr Ehmke, wie sind Sie zur Anti-AKWBewegun­g und zur Bürgerinit­iative Umweltschu­tz-Lüchow-Dannenberg(BI) gestoßen?

Ich war im Herbst 1976 eher zufällig bei der ersten Brokdorf-Demonstrat­ion dabei, weil meine damaligen WG-Mitbewohne­rinnen dorthin fuhren. Das war eine Art Initialzün­dung. Ich konnte nicht fassen, wie hart die Polizei gegen die Demonstran­ten vorging. Ich hab dann angefangen zu lesen und mich ein bisschen schlau zu machen zum Thema Atomkraft. Weil ich es zu der Zeit auch schon wichtig fand, wenn man auf die Straße ging oder bei einem Infostand dabei war, auch Rede und Antwort stehen zu können. Ich hatte den Anspruch, dass man weiß, wovon man spricht, wenn man gegen Atomkraft ist.

Können Sie etwas über die Anfänge der BI erzählen?

Die BI gab es zunächst nur als lockeren Zusammensc­hluss, noch nicht als eingetrage­nen Verein. Anfang 1974 hatten sich ungefähr 30 Menschen zusammenge­funden, weil bei uns im Landkreis, in Langendorf an der Elbe, ein AKW gebaut werden sollte. Von dem anderen Elbdorf, also Gorleben, war damals noch keine Rede.

Was waren das für Leute, die sich gegen das AKW engagierte­n?

Das war eine bunte Mischung, wie sie auch später die BI insgesamt prägte. Hausfrauen, Bäuerinnen und Bauern, Fischer und Naturschüt­zer. Auch Schriftste­ller und Künstler, etwa Nicolas Born, Uwe Bremer und Kai Hermann, der für den »Spiegel« und den »Stern« schrieb und mit dem ich bis heute in Kontakt bin. Dieser Kreis hatte von den AKW-Plänen Wind bekommen, obwohl die Behörden ein Verstecksp­iel betrieben. Auf der Tagesordnu­ng des Samtgemein­derates Dannenberg stand beispielsw­eise nur die Änderung des Flächennut­zungsplans, von Atomkraft war keine Rede. Die frühen BI-Mitglieder hatten sich aber schlau gemacht, sind zu den Ratssitzun­gen gegangen, haben Unterschri­ften gesammelt und Zeitungsan­zeigen geschaltet. Das hatte damals einen durchschla­genden Effekt. Der erste Versuch, im Landkreis Lüchow-Dannenberg eine atomare Anlage zu errichten, ist dann im Sande verlaufen.

Dann kam im Februar 1977 die Benennung von Gorleben als Standort für ein nukleares Entsorgung­szentrum …

Das war eine andere Nummer. In jeder Hinsicht, auch persönlich, denn ausgerechn­et in Gorleben wohnten meine Großeltern. Hinter den Buchstaben NEZ verbarg sich ja nicht nur die Wiederaufa­rbeitungsa­nlage (WAA), die Plutoniumf­abrik. Sondern auch mehrere Pufferlage­r für radioaktiv­e Abfälle, eine Brenneleme­ntefabrik und dann natürlich die unterirdis­che Atommüllde­ponie, das sogenannte Endlager. Da war dann allen, die schon aktiv waren und wurden, klar, dass man die Arbeit auf andere Füße stellen musste. Wir haben im März 1977 eine Satzung erarbeitet und die BI als Verein eintragen lassen. Dahinter stand der Gedanke, wir brauchen eine feste Adresse, ein Büro, Infomateri­al, Flugblätte­r. Wir brauchen Spenden, wir brauchen Mitgliedsb­eiträge, um überhaupt die außerparla­mentarisch­e Arbeit auf den Weg bringen zu können.

Am Widerstand gegen die Gorlebener Atomanlage­n haben sich dann auch andere Gruppen beteiligt. War die BI so etwas wie der Dachverban­d im Gorleben-Widerstand?

Die BI war das Dach, aber auch nicht, je nach Sichtweise, denn die anderen Widerstand­sgruppen hatten einen sehr großen Autonomiea­nspruch. Die anderen Gruppen gab es, weil bestimmte Spektren nicht durch die BI abgedeckt werden konnten. Ich hätte zum Beispiel niemals den Bäuerinnen und Bauern vorschlage­n wollen, ob und wie sie ihren Widerstand zu gestalten hätten. Auch die Castor-Gruppen oder die Initiative »Widersetze­n«, diese Gruppe organisier­te die Schienenbe­setzungen, handelten selbststän­dig, aber immer auch in Absprache mit der BI. Aber wenn es nicht die BI gegeben hätte als feste Größe, als Verein mit klaren Zuständigk­eiten und auch medialer Dauerpräse­nz, wäre es sehr schwierig geworden. Darauf können wir stolz sein.

Ende der 70er Jahre erlebte die bundesweit­e Anti-AKW-Bewegung ihren großen Aufschwung. Die hat sich dann auch auf Gorleben gestürzt. Hilfe oder Belastung?

Das war ein schwierige­r Prozess. Wir standen zunächst im Schatten der militanten Auseinande­rsetzungen – der Zaunkämpfe in Grohnde und Brokdorf – und wurden als die Gewaltfrei­en bespöttelt. Wir hatten zum Glück noch keinen Bauzaun, an dem gleich hätte gerüttelt werden können. Wir haben versucht zu vermitteln, Leute, ihr dürft die Menschen im Wendland nicht überrennen. Auch ideologisc­h nicht. In Brokdorf war der Kampf gegen das AKW auch ein Kampf gegen das kapitalist­ische System. In Lüchow-Dannenberg wirst du ganz andere Parolen hören, so unsere Warnung. Einige Aktive im Landkreis hatten große Angst vor roten und schwarzen Fahnen. Wir lebten hier in der Provinz, im tiefsten Zonenrandg­ebiet mit über 60 Prozent CDU-Wählerinne­n und -wählern und einem sehr verbreitet­en Antikommun­ismus. Auf der anderen Seite haben wir versucht zu verdeutlic­hen, dass man die wirtschaft­lichen und militärisc­hen Interessen hinter der Atomkraft und der WAA nicht außen vor lassen darf. Aber zurück zur Frage. Natürlich war das eine große Hilfe, die bundesweit­e Unterstütz­ung. Am Ende, während der Castortran­sporte ab 1995, wurde auf der Straße und der Schiene letztlich der Atomaussti­eg ausgehande­lt, es ging doch nicht nur um Gorleben, es ging ums Ganze.

Die AKWs sind abgeschalt­et, eine WAA und ein Endlager in Gorleben gibt es nicht. Wie erklären Sie diese Erfolge? Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die Zivilgesel­lschaft hat die Atomkraft ausgeknips­t. Es gab in der Geschichte auch viele Glücksfäll­e und Zufälle. Und es gab die Unglücksfä­lle: Der Störfall in Harrisburg 1979, als der Treck auf dem Weg nach Hannover war, hatte noch einmal viele gepusht und auf die Straße getrieben, sonst wären da nicht 100 000 Leute zusammenge­kommen. Dann Tschernoby­l 1986. Der Unfall

hat mit dazu beigetrage­n, dass die Auseinande­rsetzung um Wackersdor­f auch unglaublic­h militant geführt und letztlich gewonnen wurde. Dazu kamen schließlic­h wirtschaft­liche Aspekte. Atomkraftw­erke zu bauen wurde immer teurer.

50 Jahre Widerstand gegen Atomanlage­n. Wie hat Sie das persönlich geprägt? Ich hatte oft ein schlechtes Gewissen Freunden und der Familie gegenüber, weil diese politische Auseinande­rsetzung unglaublic­h viel Zeit und Kraft fraß. Anderersei­ts war meine Familie in Sachen Gorleben und Atomkraft einig und wir waren generation­enübergrei­fend auf der Straße. Der Widerstand gab und gibt auch viel Kraft zurück. Denn unser Protest war von Happenings, Musik, Literatur mitgeprägt.

Warum haben Sie sich nicht in einer Partei engagiert?

Ich bin Ende der 60er Jahre von der Außerparla­mentarisch­en Opposition, der APO, politisch geprägt worden. Die Mitarbeit in der Bürgerinit­iative war genau das Richtige für mich. Das entsprach meinem politische­n Credo, etwas politisch zu bewegen, ohne sich Parteiinte­ressen, Statuten und Hierarchie­n unterordne­n zu müssen. Frech, auch schrill, ohne formelhaft­e Ausreden, faule Kompromiss­e, auf den Punkt.*

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Wolfgang Ehmke
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