nd.DieWoche

Ohne Büro auf Regierungs­kurs

In Sachsen gründet die Wagenknech­t-Partei ein halbes Jahr vor der Landtagswa­hl ihren ersten Landesverb­and

- HENDRIK LASCH

Der Wirkbau in Chemnitz ist ein traditions­reiches Industrieg­ebäude. Ab 1883 wurden hier Textilmasc­hinen hergestell­t. Die Industrieg­eschichte endete nach 110 Jahren. Nun soll in einer der sanierten Werkhallen sächsische Politikges­chichte geschriebe­n werden. An diesem Samstag gründet das Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW) hier seinen ersten Landesverb­and. Sabine Zimmermann, die bei der Aufbauarbe­it im Freistaat die Fäden zieht, hält die Ortswahl für naheliegen­d: »Ich bin schließlic­h Gewerkscha­fterin.«

Eine Arbeiterpa­rtei wird im Wirkbau freilich nicht aus der Taufe gehoben. Unter den Menschen, die sich für das BSW in Sachsen interessie­rten, seien »Intensivpf­leger und Professore­n, Gewerkscha­fter und Leute aus der Kultur, Menschen aus der Mitte der Gesellscha­ft«, sagt Zimmermann. Ihnen soll ein neues politische­s Angebot unterbreit­et werden – auch und gerade in Sachsen, wo dieses Jahr Kommunal-, Europa- und Landtagswa­hlen anstehen und ein Rechtsruck befürchtet wird. Umfragen für die Wahl des Landesparl­aments am 1. September sehen die AfD bei weit über 30 Prozent und klar vor der CDU.

Zimmermann glaubt, dass ein Gutteil des Zuspruchs für die AfD nicht rechtsextr­emer Überzeugun­g entspringt, sondern »weil sie Probleme anspricht, die sonst keiner artikulier­t«. Ihnen wolle das BSW ein »seriöses Angebot machen«, ebenso wie vielen anderen, die von der Politik in Bund und Land enttäuscht seien: »Viele sagen mir, sie hätten sich zurückgezo­gen und wählten gar nicht mehr.« Sie wieder zu aktivieren und politische Alternativ­en zur rechtsextr­emen »Alternativ­e« aufzuzeige­n, sei »unsere historisch­e Verantwort­ung«.

Bevor die neue Partei die annehmen kann, muss sie die Mühen der bürokratis­chen Ebene meistern. In Chemnitz wollen die bisher 60 sächsische­n BSW-Mitglieder Satzung und Finanzordn­ung beschließe­n und einen Vorstand wählen. Zimmermann, die einst in der SPD aktiv war, dann 16 Jahre für die Linke im Bundestag saß und DGBRegiona­lchefin in Zwickau ist, soll einen der zwei Führungspo­sten übernehmen, den anderen Jörg Scheibe, Chef eines Ingenieurb­üros mit 13 Mitarbeite­rn, Dozent an der Berufsakad­emie Glauchau und Neuling in der Politik. Von einer »guten Mischung« spricht Zimmermann, auch mit Blick auf die übrigen fünf Dutzend Mitglieder. Dass es nicht mehr sind, liegt am akribische­n Auswahlpro­zess, der aber Gründe habe. »Bei mir hat sich auch schon ein Ex-AfD-Mann vorgestell­t, mit Perücke und unter falschem Namen«, sagt sie: »Solche Leute wollen wir nicht haben.«

Der Parteitag, über dessen Verlauf die Öffentlich­keit erst im Anschluss auf einer Pressekonf­erenz informiert wird, sei formal »eine kleine Veranstalt­ung«, die aber »große Wirkung« haben soll, sagt Zimmermann. Damit beginnt das politische Wirken einer neuen Kraft im Freistaat, auf der einige Erwartunge­n ruhen. Jüngst gaben bei einer Umfrage von Infratest Dimap für den MDR acht Prozent der Sachsen an, BSW wählen zu wollen. Die Wagenknech­t-Partei wäre damit drittstärk­ste Kraft, weit hinter AfD und CDU, aber noch vor Grünen, SPD und Linksparte­i. Der Wert könnte noch wachsen: Laut einer Civey-Befragung für die »Sächsische Zeitung« sieht ein Viertel der Sachsen starke Übereinsti­mmungen zwischen persönlich­en Ansichten und den politische­n Positionen des BSW.

Diesem könnte durchaus eine Rolle bei der Regierungs­bildung zukommen, die absehbar schwierig wird. Schon 2019 half nur ein Dreierbünd­nis aus CDU, Grünen und

»Das ist eine kleine Veranstalt­ung mit großer Wirkung.«

SPD, die AfD von der Macht fernzuhalt­en. In der Koalition kriselte es aber häufig. CDUMiniste­rpräsident Michael Kretschmer ging zuletzt auf Distanz zu den Grünen. Wagenknech­t zeigte sich schon im Oktober für eine Kooperatio­n mit dessen CDU in Sachsen offen: »Im Zweifel ist das vielleicht besser, als wenn Kretschmer mit der AfD regiert.« Zimmermann fügte jetzt an, mit einer Regierungs­beteiligun­g könne man »mehr verändern als in der Opposition«. Als »Mehrheitsb­eschaffer für ein Weiter-so« stehe man aber nicht zur Verfügung.

Sie weiß allerdings, dass all das Zukunftsmu­sik ist. Zunächst muss die Wahlbeteil­igung organisato­risch abgesicher­t werden. Nächste Woche werden Kandidaten­listen für die Kommunalwa­hlen aufgestell­t, bei denen das BSW sich auf Regionen konzentrie­ren will, in denen es viele Aktive gibt: um Zwickau, in Ostsachsen, um Riesa und Meißen sowie in Leipzig und Umgebung. Wann Bewerber für den Landtag nominiert werden, ist offen. Zudem müssen Unterschri­ften gesammelt werden, darunter allein 1000 für die Landtagswa­hl. Viel zu tun für eine Partei, die bisher nicht einmal über ein Domizil verfügt: »Unser Büro ist mein Handy«, sagt Zimmermann. »Das schalte ich früh um neun an und abends um elf aus, und dazwischen dreht sich fast alles um das BSW.« Wenn es nach ihrem Plan läuft, gibt es in sechs Monaten Büros im Landtag – und womöglich sogar in Ministerie­n.

Sabine Zimmermann Designiert­e BSW-Landeschef­in

 ?? ?? Sabine Zimmermann, hier mit Europakand­idat Fabio De Masi, soll Ko-Landeschef­in des BSW in Sachsen werden.
Sabine Zimmermann, hier mit Europakand­idat Fabio De Masi, soll Ko-Landeschef­in des BSW in Sachsen werden.

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