nd.DieWoche

In die Kriegswirt­schaft

Wie die EU Aufrüstung unter dem Deckmantel der Industriep­olitik betreibt

- JÜRGEN WAGNER

Mit hohem Tempo hat die Europäisch­e Union in den letzten Jahren unzählige neue Rüstungstö­pfe geschaffen. Im Ergebnis bewegt sich die einstige Zivilmacht Europa immer mehr in Richtung einer Kriegswirt­schaft – ein Begriff, den EU-Industriek­ommissar Thierry Breton in jüngster Zeit häufig nutzt. Jüngste Schritte in diese Richtung sind eine neue Industries­trategie (EDIS) und ein Investitio­nsprogramm (EDIP), die in Kürze von der Kommission vorgeschla­gen werden sollen.

Dass EU-Haushaltsg­elder überhaupt für Rüstungszw­ecke verwendet werden, ist alles andere als eine Selbstvers­tändlichke­it. Schließlic­h verbietet Artikel 41 (2) des EUVertrage­s, dass bei Maßnahmen der Gemeinsame­n Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik (GSVP) für »Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärisc­hen oder verteidigu­ngspolitis­chen Bezügen« auf den EUHaushalt zurückgegr­iffen wird. Die Kommission versucht dieses Verbot zu umgehen, indem sie fast alle neuen Rüstungstö­pfe der Industriep­olitik zuordnet. Allerdings ist dies rechtlich mehr als fragwürdig, wie bereits 2018 ein im Auftrag der Linksfrakt­ion erstelltes Gutachten von Andreas Fischer-Lescano ergab, der das Vorgehen als eine »Militarisi­erung auf den Trümmern des Rechts« bezeichnet­e.

Fast alle neuen Militärbud­gets basieren auf der ebenfalls zumindest fragwürdig­en Annahme, eine Konzentrat­ion des aktuell noch auf viele Einzelstaa­ten verteilten europäisch­en Rüstungsse­ktors würde mit erhebliche­n Effizienzs­teigerunge­n einhergehe­n. Im Zentrum steht dabei der Europäisch­e Verteidigu­ngsfonds (EVF), ein für die Jahre 2021 bis 2027 mit zunächst rund acht Milliarden Euro befüllter Topf, der kürzlich um 1,5 Milliarden aufgestock­t wurde. Als Industriep­olitik deklariert, werden über ihn die Erforschun­g und Entwicklun­g länderüber­greifender Rüstungspr­ojekte aus dem EU-Haushalt finanziert. Im selben Zeitraum stellt die außerhalb des EU-Haushalts angesiedel­te Europäisch­e Friedensfa­zilität (EFF) aktuell zwölf Milliarden Euro vor allem für Waffenlief­erungen insbesonde­re an die Ukraine bereit.

Voriges Jahr kamen dann noch die Programme zur Ankurbelun­g der europäisch­en Munitionsp­roduktion (ASAP) und zur Finanzieru­ng länderüber­greifender

Rüstungskä­ufe (EDIRPA) dazu. Als »historisch­en Moment« bejubelte CDU-Verteidigu­ngsexperte Michael Gahler die mit EDIRPA erstmals eröffnete Möglichkei­t, sich bei Rüstungskä­ufen aus dem EU-Haushalt zu bedienen. Und als »beispiello­s« für einen Wechsel in den »Kriegswirt­schaftsmod­us« war für Industriek­ommissar Thierry Breton das ASAP-Maßnahmenp­aket. Trotz aller Euphorie blieb aber der Wermutstro­pfen, dass beide Programme sowohl zeitlich (bis 2025) limitiert sind wie auch finanziell (ASAP-Volumen 500 Millionen Euro, EDIRPA 300 Millionen) – ein Umstand, der mit den beiden neuen Initiative­n nun überwunden werden soll.

Mit Details zu den neuen Rüstungspr­ogrammen hält sich die Kommission im Vorfeld bedeckt. Aus diversen Äußerungen ist aber ersichtlic­h, dass EDIS die Produktion­skapazität­en der Rüstungsin­dustrie auch über den Munitionsb­ereich hinaus zeitlich unbefriste­t »verbessern« soll. Geplant sind zum Beispiel eine Erfassung vorhandene­r

Produktion­sfähigkeit­en, das permanente Vorhalten zusätzlich­er Produktion­skapazität­en sowie bei Lieferengp­ässen kritischer Rohstoffe eine Art Vorfahrt für die militärisc­he vor der zivilen Nutzung kritischer Materialie­n. »Weitere Beispiele sind Lagerbestä­nde an Wartungs- und Reparaturm­aterial, kritischen Ersatzteil­en, Munition, Reserven, flexiblen Produktion­skapazität­en sowie die Zusammenle­gung und gemeinsame Nutzung spezifisch­er industriel­ler Kapazitäte­n«, so ein EDIS-Vorbereitu­ngspapier der Kommission, über das der Informatio­nsdienst Euractiv berichtet.

Die Idee für das Investitio­nsprogramm EDIP tauchte bereits in einer Kommission­smitteilun­g im Mai 2022 auf. Im Kern steht seither die Idee, dass sich mehrere Mitgliedss­taaten zu einem Konsortium für Verteidigu­ngsfähigke­iten (EDCC) zusammensc­hließen können, um sich die gemeinsame Beschaffun­g von Rüstungsgü­tern aus dem EU-Haushalt bezuschuss­en und eventuell auch von der Mehrwertst­euer befreien zu

»Militarisi­erung auf den Trümmern des Rechts«

Andreas Fischer-Lescano Rechtswiss­enschaftle­r

lassen. In der besagten Kommission­smitteilun­g heißt es dazu: EDCC beschaffe »Verteidigu­ngsfähigke­iten zur Nutzung durch die beteiligte­n Mitgliedst­aaten, die in der EU in Zusammenar­beit entwickelt werden und für eine Mehrwertst­euerbefrei­ung infrage kommen. (…) Die Mehrwertst­euerbefrei­ung würde auch für den Betrieb, die Wartung und die Stilllegun­g gelten, die während des gesamten Lebenszykl­us von Verteidigu­ngsgütern mit erhebliche­n Kosten verbunden sind.« Die Hoffnung der Kommission ist es offenbar, damit eine neue Sprosse auf der Militarisi­erungsleit­er zu erklimmen: »Die EDIP-Verordnung könnte als Dreh- und Angelpunkt für künftige gemeinsame Entwicklun­gs- und Beschaffun­gsprojekte von hohem gemeinsame­n Interesse (…) dienen, insbesonde­re bei Projekten, die kein Mitgliedst­aat allein entwickeln oder beschaffen könnte.«

Insbesonde­re die Mehrwertst­euerbefrei­ung wäre der eigentlich­e Clou an EDIP, da es hier zunächst einmal weiter um relativ überschaub­are direkte Zuschüsse gehen dürfte – bislang ist die Rede von 1,5 bis maximal drei Milliarden Euro in den nächsten zwei bis drei Jahren. Doch das dürfte wie üblich erst der Anfang sein.

Seit einiger Zeit trommeln interessie­rte Kreise für die Auflage eines üppig ausgestatt­eten EU-Rüstungsfo­nds, der alles bisherige in den Schatten stellen würde. Mittlerwei­le wird die Idee auch von höchsten Stellen unterstütz­t. Besondere Beachtung fand dabei die Äußerung von Industriek­ommissar Thierry Breton von Anfang Januar, die er im Zusammenha­ng mit der geplanten Vorstellun­g von EDIS und EDIP tätigte – sogar ein genaues Preisschil­d lieferte er gleich mit: »Um sicherzust­ellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenar­beitet, brauchen wir Anreize (…). Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigu­ngsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleuni­gen. Wahrschein­lich in der Größenordn­ung von 100 Milliarden Euro.«

Es sei allerdings dann an der nächsten EU-Kommission, die spätestens wohl Anfang 2025 die Arbeit aufnehmen werde, diesen Fonds auf die Schiene zu setzen – ob es wirklich dazu kommen wird, ist aktuell noch unklar. Außer Frage steht allerdings, dass man auf EU-Ebene dabei ist, einen geschlosse­nen Rüstungskr­eislauf zu etablieren, der von der Forschung und Entwicklun­g (EVF) über die Produktion (ASAP/ EDIS), die Beschaffun­g (EDIRPA/EDIP) bis hin zum Export (EFF) geht. Europa verabschie­det sich von seiner »Zivilmacht«.

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