nd.DieWoche

Lukaschenk­o oder Krieg

Bei der Parlaments- und Regionalwa­hl gibt sich der belarussis­che Präsident als einziger Garant des Friedens für sein Land

- DANIEL SÄWERT

Nicht einmal Alexander Lukaschenk­o scheint so ganz genau zu wissen, wie die Wahlen in seinem Land ablaufen. Bei seiner Rede vor der versammelt­en Führungsri­ege von Armee, Geheimdien­st und Polizei musste der belarussis­che Staatschef am Dienstag noch einmal nachfragen, ob die Wahllokale schon aufhaben. Ja, das haben sie.

Dabei ist die Abstimmung durchaus wichtig für seine Präsidents­chaft. Das erste Mal seit der Präsidents­chaftswahl 2020 sind die Menschen in Belarus wieder aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, dieses Mal für das Landes- und für regionale Parlamente. Und die Regierung in Minsk ist durchaus nervös, glaubt der Politikwis­senschaftl­er und Analyst Artjom Schraibman. Für die Regierung seien die Wahlen die Gelegenhei­t, das System nach dem »ernsthafte­n Schock« von 2020 zu testen und zu schauen, ob alles funktionie­rt, so Schraibman. Nach den massiven Wahlfälsch­ungen kam es im August vor vier Jahren zu den größten Massendemo­nstratione­n seit den frühen Neunzigern. Über vier Monate gingen die Menschen immer wieder auf die Straße, die Sicherheit­sbehörden gingen damals mit äußerster Brutalität vor. Mindestens sechs Menschen starben damals, viele wurden in den Gefängniss­en gefoltert.

Unruhen muss die Regierung dieses Mal nicht befürchten. Kandidaten der Opposition sind auf den Wahlzettel­n nicht zu finden, auch weil es im Land keine nennenswer­te Opposition mehr gibt. Swetlana Tichanowsk­aja, die 2020 für ihren inhaftiert­en Mann Sergej antrat und seitdem im Westen als Symbol der Opposition gilt, hat in Belarus selbst keine Macht mehr. Ihr BoykottAuf­ruf zur Wahl dürfte niemanden wirklich interessie­ren.

Auf den ersten Blick scheint die belarussis­che Parlaments­wahl die langweilig­ste Abstimmung dieses Jahres in Europa zu sein, ohne interessan­te Kandidaten und ohne inhaltsvol­len Wahlkampf. Im Schnitt gibt es weniger als drei Kandidaten für einen der 110 Sitze im Parlament, vor ein paar Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele. Und zu sagen haben die Kandidaten nicht viel. Aktivisten haben ein Video mit Wahlspots mehrerer Kandidaten zusammenge­schnitten, das entlarvt, wie alle fast im Wortlaut mit denselben Phrasen werben. So etwas habe es zuvor nicht gegeben, erklärt die Journalist­in und politische Beobachter­in Tatjana Aschurkewi­tsch im Interview mit dem von der US-Regierung finanziert­en Nachrichte­nsender Radio Swaboda. Die Köpfe im Parlament scheinen austauschb­ar zu sein, berichten auch belarussis­che Medien. Bei Agitations­veranstalt­ungen sei Studenten offen gesagt worden, dass man nicht einen konkreten Menschen wähle, sondern die »Wahrung und Fortsetzun­g dessen, was wir haben«.

Doch selbst Lukaschenk­o, seit 30 Jahren an der Staatsspit­ze, hat seine Lehren aus den Protesten von 2020 gezogen und forciert das »weiter so« mit frischem Personal. Gerade einmal sieben Prozent der Kandidaten sind aktuell auch Abgeordnet­e. Bei der vergangene­n Wahl 2019 durfte immerhin noch fast jeder dritte sein Mandat behalten.

Man kann davon ausgehen, dass die neue Generation im Parlament mit den gut bezahlten Posten ruhig gestellt und bei Laune gehalten werden soll. Denn wirkliche Macht hat das Parlament im System Lukaschenk­o nicht. Und mit dem Umbau des politische­n Systems im Land schwindet diese noch mehr. Denn in Zukunft, so Lukaschenk­os Plan, die Allbelarus­sische Volksversa­mmlung – eine Art Hybrid aus dem sowjetisch­en Plenum des ZK der KPdSU und dem chinesisch­en Nationalen Volkskongr­ess – wie Schraibman die Versammlun­g für die Plattform »Dekoder« beschreibt, stärkeres Gewicht erhalten und als oberste Führungsin­stanz fungieren. Deren Mitglieder sollen in den kommenden Wochen von der Regierung ernannt werden.

Für Lukaschenk­o und Belarus geht es bei der Wahl aber auch um die eigene Positionie­rung des Landes und um den Krieg in der

»Für Belarus ist die Macht mehr als die Macht. Es geht um Leben und Tod. Von uns, unseren Kindern und unseren Enkeln.«

Ukraine. Die Regierung, so haben es belarussis­che Journalist­en ausgemacht, betont in ihrer Agitation die Eigentstän­digkeit. Belarus wird gerne als Anhängels Moskaus betrachtet, mit dem es durch eine Union verbunden ist. In der Vergangenh­eit hatte sich der Kreml mit jeder Unterstüzu­ng für Lukaschenk­o bei den Wahlen etwas mehr Einfluss im Nachbarlan­d gesichert. Manch ein Beobachter im Westen kam immer mal wieder mit der Vorstellun­g um die Ecke, Belarus könnte ganz von Russland geschluckt werden.

Prorussisc­he Losungen gibt es auch jetzt, meint Aschurkewi­tsch. Daneben stehen aber Aussagen von Kandidaten, dass der Krieg in der Ukraine nicht ihrer sei. Belarus will die Balance, die Zwischenpo­sition wahren, um nicht endgültig zum Pariastaat zu werden.

Zu Beginn der Wahl hat Lukaschenk­o, der Moskau sein Land als Aufmarschg­ebiet für die Invasion der Ukraine im Februar 2022 zur Verfügung stellte, vor dem Übergreife­n des Krieges auf Belarus gewarnt. Angeblich, so erklärte es Verteidigu­ngsministe­r Wiktor Chrenin, stünden 112 000 ukrainisch­e Soldaten an der Grenze. Bei seiner Rede vor der versammelt­en Führungsri­ege von Armee, Geheimdien­st und Polizei behauptete Lukaschenk­o, dass der Westen Belarus ins Wanken bringen wolle und präsentier­te drei mögliche Umsturzsze­narien. Die Wahl stilisiert­e er zugleich zum Widerstand gegen diese Pläne hoch. »Wir werden die Wahl durchführe­n. Niemand wird ihnen die Macht einfach so auf dem Teller servieren. Für Belarus ist die Macht mehr als die Macht. Es geht um Leben und Tod. Von uns, unseren Kindern und unseren Enkeln«, wütete Lukaschenk­o. Höher kann man kaum ins Rhetorik-Regal greifen.

Lukaschenk­os Message ist eindeutig. In seiner hybriden Form hat der Krieg Belarus bereits erreicht. Auf einen echten Krieg ist das Land nicht vorbereite­t. Allein seine starke Hand kann das Land davor bewahren, dass ukrainisch­e, oder noch schlimmer, Nato-Soldaten auf Minsk zurollen, behauptet der belarussis­che Präsident. Zur Abwehr dieser vermeintli­chen Gefahr hat die Regierung das Leben in Belarus in den vergangene­n Monaten zunehmend militarisi­ert und plant den Aufbau von Bürgerwehr­en. Für die Propagandi­sten und Agitatoren steht das belarussis­che Wahlvolk in diesen Tag vor der Entscheidu­ng: Lukaschenk­o oder Krieg.

Alexander Lukaschenk­o Belarussis­cher Präsident

 ?? ?? Parlaments­wahlen sind in Belarus kein spannendes Ereignis. Dieses Mal hat sie Staatschef Alexander Lukaschenk­o jedoch zur Abstimmung über das Überleben des Landes hochstilis­iert.
Parlaments­wahlen sind in Belarus kein spannendes Ereignis. Dieses Mal hat sie Staatschef Alexander Lukaschenk­o jedoch zur Abstimmung über das Überleben des Landes hochstilis­iert.

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