nd.DieWoche

Falsche Prioritäte­n

Der deutsche Afghanista­n-Einsatz gilt als gescheiter­tes Unternehme­n

- CYRUS SALIMI-ASL

Woran ist der deutsche, fast 20 Jahre dauernde Einsatz in Afghanista­n gescheiter­t? Auf diese Schlüsself­rage hat die 2022 eingesetzt­e Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags in ihrem vergangene Woche vorgestell­ten Zwischenbe­richt ein paar aufschluss­reiche Antworten gegeben. Der Bundestag stimmte am Freitag einem gemeinsame­n Antrag der Ampel-Parteien und der Union zu, die Kommission »über die parlamenta­rische Sommerpaus­e 2024« hinaus fortzusetz­en. Demnach soll das Gremium seine inhaltlich­e Arbeit bis Ende des Jahres abschließe­n.

Festzuhalt­en ist zuallerers­t, dass die Kommission nie den Auftrag hatte, dem Afghanista­n-Einsatz die Rechtferti­gung abzusprech­en. Ob das deutsche Engagement und insbesonde­re der Bundeswehr­einsatz in dem kriegsvers­ehrten Land die richtige politische Entscheidu­ng war, spielte in den Diskussion­en keine Rolle. Für Andrej Hunko (BSW), der bis zum Ausscheide­n Ende 2023 für die Linke in der Enquete-Kommission saß, ist das Fazit daher eindeutig: »Es ging nie um Afghanista­n, sondern um falsch verstanden­e Bündnissol­idarität«, sagte er am Freitag bei der Bundestags­aussprache zum Zwischenbe­richt. Hunko meint damit die deutsche Unterstütz­ung für den maßgeblich von den USA mit Nato-Beistand geführten Angriffskr­ieg gegen die islamistis­chen Taliban – als Vergeltung für die Terroransc­hläge vom 11. September 2001. Und dieser »längste, teuerste und verlustrei­chste Militärein­satz« sei gescheiter­t.

Deutlich belegen das die jüngsten Berichte über öffentlich­e Hinrichtun­gen, wie sie schon zur Zeit der ersten Taliban-Herrschaft (1996 und 2001) vorgekomme­n sind. Der Aufbau von Rechtsstaa­tlichkeit und einer unabhängig­en Justiz war eins der Teile im Puzzle einer aufzubauen­den afghanisch­en Demokratie. Am Donnerstag haben die Taliban in einem Fußballsta­dion in der Provinz Ghazni zwei Personen hinrichten lassen, die wegen Mordes verurteilt worden waren. Es handelt sich um die dritte und vierte bekannte öffentlich­e Hinrichtun­g unter ihrer Herrschaft. Laut Amnesty Internatio­nal schauten Tausende Menschen zu; die tödlichen Schüsse seien von Verwandten der Männer abgegeben worden.

Ein wesentlich­er Grund für den Misserfolg, den auch andere Kritiker und Sachverstä­ndige in ähnlicher Form anführten, ist Hunko zufolge, dass im Bundestag vor Mandatsver­längerung zwar immer wieder über den Bundeswehr­einsatz debattiert worden sei, doch in Form von »Rechtferti­gungsdisku­rsen«, »ohne eine ehrliche Analyse«, quasi zur Selbstbest­ätigung dessen, was man in Afghanista­n tat. Ob gesteckte Ziele im Sinne einer Wirksamkei­tsprüfung erreicht wurden, blieb weitgehend unbeantwor­tet. Und: »Es herrschte eine große Unkenntnis über die afghanisch­e Gesellscha­ft, ihre Geschichte und ihre Machtstruk­turen«, sagte Schahina Gambir, Vertreteri­n der Grünen in der Enquete-Kommision.

In der unbedingte­n Nato-Bündnistre­ue sieht auch Winfried Nachtwei einen essenziell­en Grund, warum die schon während des Einsatzes bekannt gewordenen Missstände nicht angesproch­en, geschweige denn behoben wurden. Nachtwei hat als ehemaliger Bundesabge­ordneter der Grünen das Afghanista­n-Abenteuer über Jahre mitverfolg­t, war rund 20 Mal vor Ort und gehörte der Enquete-Kommission als Sachverstä­ndiger an. Auf der Entscheidu­ngsebene der Bundesregi­erung wollte man nichts wissen von der tatsächlic­hen Situation, redete sich die Lage schön. Forderunge­n nach Evaluierun­g des Einsatzes seien abgewehrt worden.

»Die Spitzen der Bundesregi­erung hatten kein sonderlich­es Interesse an Afghanista­n«, schrieb er im Juni 2017 in einem Leserbrief für die »Süddeutsch­e Zeitung«, »ausschlagg­ebend war Solidaritä­t mit den USA«. Außerdem habe es »viel Wunschdenk­en gegeben, zumindest in den ersten zehn Jahren«, bescheinig­t er den Entscheide­rn.

Dazu heißt es im Zwischenbe­richt der Enquete-Kommission: »Dass die Bewertunge­n zur Realität des Einsatzes zu positiv ausfielen, führten die Sachverstä­ndigen insbesonde­re darauf zurück, dass es sich um einen Verteidigu­ngsfall nach Artikel 5 des Nordatlant­ikvertrage­s gehandelt habe und das primäre Ziel der Verbündete­n der USA gewesen sei, Bündnissol­idarität im Rahmen der Nato zu demonstrie­ren.«

Eine weitere, maßgeblich­e Schwäche in der Konzeption des Afghanista­n-Einsatzes war ein Zielkonfli­kt: Zum einen sollte ein demokratis­cher afghanisch­er Staat aufgebaut und stabilisie­rt, zum anderen Terrorismu­s bekämpft werden. »Das war ein Tabuthema in der Enquete-Kommission«, so Nachtwei. Dabei gab es ein Ungleichge­wicht in der finanziell­en Ausstattun­g: Laut Bundesregi­erung beliefen sich die Gesamtkost­en des deutschen Afghanista­neinsatzes auf 17,3 Milliarden Euro, heißt es im Bericht, davon entfielen 12,3 Milliarden auf das Verteidigu­ngsministe­rium.

Der Aufbau einer effektiven afghanisch­en Polizei war ein zentraler Baustein der Stabilisie­rungsmaßna­hmen und Befriedung des Landes. Deutschlan­d nahm ab Februar 2002 dabei eine führende Rolle ein, entsandte jedoch nur 17 Beamte. Demgegenüb­er standen geschätzt 60 000 Milizangeh­örige und 600 000 Bewaffnete insgesamt und eine waffenlose Polizei in Kabul. Das Bundesinne­nministeri­um (BMI) investiert­e in den Polizeiauf­bau fast 450 Millionen Euro. Das Ergebnis: »Das Ziel, eine effektive und bürger*innenfreun­dliche Zivilpoliz­ei zu schaffen (...) wurde nicht erreicht. Die Kriminalit­ätsbekämpf­ung war im Jahr 2021 im Vergleich zu den Vorjahren nicht signifikan­t verbessert«, heißt es in einem Evaluierun­gsbericht des BMI.

Prof. Dr. Christoph Zürcher, der an der Universitä­t Ottawa lehrt und als externer Sachverstä­ndiger zu zivilen Unterstütz­ungsmaßnah­men angehört wurde, be

»Die Spitzen der Bundesregi­erung hatten kein sonderlich­es Interesse an Afghanista­n.«

zweifelte grundsätzl­ich, »dass Stabilisie­rungsmaßna­hmen stabilisie­rend wirken können«. Der in Afghanista­n verfolgte Ansatz konnte laut Zürcher nicht zu einer Befriedung und einer erhöhten Legitimitä­t des Staates führen. Man werde die Taliban »nicht davon überzeugen, friedliche­r zu werden, wenn wir Brunnen und Schulen bauen«, heißt es im Bericht.

Das bedeutet auch für Zürcher nicht, dass internatio­nale Hilfe zur Verbesseru­ng der Lebensbedi­ngungen nicht sinnvoll sei. Sie müsse aber »von dieser unglaublic­hen politische­n Bürde« befreit werden, »gleichzeit­ig auch noch stabilisie­rend zu sein« und »Frieden schaffen« zu müssen, geschweige denn Demokratie zu etablieren, so Zürcher.

Winfried Nachtwei ehemaliger Bundestags­abgeordnet­er

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Deutsche Soldaten sichern die Kommandoüb­ernahme der ISAF-Truppen in der Amani-Realschule im Zentrum von Kabul.

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