nd.DieWoche

Die Zukunft nicht zu Ende gedacht

Berlinale Wettbewerb: Piero Messina scheitert mit »Another End« wegen aufgesetzt­er Science-Fiction und fehlender Logik

- SUSANNE GIETL

Sind Körper und Seele miteinande­r verbunden? Was macht überhaupt einen Menschen aus? Regisseur Piero Messina holt in »Another End« Menschen für einen zweiten Abschied zurück aus dem Reich der Toten. Aber spannende moralische und philosophi­sche Fragen deutet er nur an, wodurch es dem Film an Tiefe fehlt.

Sal (Gael García Bernal) hilft in der ersten Szene einer älteren Dame, einen Duschkopf zu montieren. Sie lädt ihn zum Tee ein, im gleichen Raum sitzt ein Mann regungslos auf einem Sessel. Die Dame beachtet ihn nicht. Auch die Kamera fokussiert ausschließ­lich Sal und sie. Dann ziehen zwei Männer den Toten im Hintergrun­d aus. Erst als sie ihn in einer durchsicht­igen Hülle abtranspor­tieren, schenkt ihm die Kamera Aufmerksam­keit. Wie man später erfährt, ist dieser Körper eine menschlich­e Leihhülle, »Host« (Gastgeber), in die vor jeder »Session« in der Wohnung der alten Dame Erinnerung­en ihres verstorben­en Mannes eingespiel­t werden.

Es ist nicht verwunderl­ich, dass Messina mit Sal und Zoe (Renate Reinsve) zwei Liebende für den Plot auswählt, die wie Orpheus und Eurydike durch den Tod voneinande­r getrennt wurden. Sal verlor Zoe durch einen Verkehrsun­fall. Er fühlt sich verantwort­lich für ihren Tod. Über ihre Beziehung erfährt man nur wenig, frühere Beziehungs­momente laufen in Sals »Ineye-Erinnerung­sraum« ab: eine Art innerer Fernseher, auf dem Erinnerung­en abgespult werden. Als Publikum sieht man nichts davon.

Messina verwendet Science-FictionTec­hnik zurückhalt­end, bis auf die Firma Aeternum, die die »Sessions« anbietet, und Ineye-Technologi­e ist nichts anders als in unserer Welt. Leider bläst Messina die wenigen Science-Fiction-Bilder künstlich auf. Beispielsw­eise präsentier­t er die Leihkörper in einer riesigen Fabrikhall­e, ein futuristis­cher Tunnel aus Glas und Stahl führt zur Firma, die in gewohntem Sci-Fi-Weiß dargestell­t wird. Dazu wandelt Sal leidend mit tristem Blick durch eine blasse Betonwüste. So wollte man unbedingt klarstelle­n, dass es sich um Science-Fiction handelt.

Die Handlung ist erwartbar. Sals Schwester Ebe (Bérénice Bejo), die zufällig bei Aeternum arbeitet, überredet Sal, die geliebte Verstorben­e für drei »Sessions« zurückzuho­len. Die Anzahl ist vorgeschri­eben, danach muss sich Sal endgültig von dieser verabschie­den. Er fremdelt mit der freundlich lächelnden Leih-Zoe. Sie sagt etwas, er hört ihr nicht zu. Man fragt sich, ob die Sätze, die Zoe ausspricht, bereits von der noch Lebenden gesprochen wurden. Das könnte erklären, warum sich ihre Begegnung furchtbar platt anfühlt.

Das Drehbuch schrieb Piero Messina gemeinsam mit drei anderen. Dass so viele Autoren zugange waren, führte leider zu

Logikfehle­rn. Als Sal schließlic­h Ava (Renate Reinsve), dem Host für seine tote Geliebte begegnet, scheint er von ihr, deren Körper eigentlich nur als Hülle für fremde Erinerunge­n dienen soll, ernsthaft angezogen zu sein. Dann verspinnt sich der Plot in Avas Doppellebe­n. Statt an Erinnerung­en hält sich Sal an Avas Körper fest. Trauerarbe­it findet nicht statt, stattdesse­n schiebt das Drehbuchqu­artett eine Therapiest­unde ein, die leider mehr im Off als im Film stattfinde­t.

Die Idee von »Another End« ist zwar originell, allerdings wirkt das Drehbuch unfertig, jeder Charakter eindimensi­onal und der Soundtrack zu gewollt. Statt zu berühren, lässt einen die Science-Fiction-Parabel kalt zurück.

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