nd.DieWoche

Feindliche Stadt

Mit »Hostile Design« wird die Stadt im Kleinen systematis­ch ungemütlic­h gemacht

- DAVID ROJAS KIENZLE

Der 2018 neu gestaltete Steinplatz in der Charlotten­burger City West, gegenüber der Universitä­t der Künste, ist ansehnlich. Eine Rasenfläch­e in der Mitte, Bänke rundherum, junge Bäume: Der Platz ist sauber und ordentlich. Früher war der kleine Park noch von einem drei Meter breiten Gebüsch umgeben. Ein Rückzugsor­t, der keinen Einblick gewährte. »Obdachlose haben hier gerne geschlafen, sich mal mit einer Wasserflas­che gewaschen, sich mal umgezogen«, erklärt der 55-jährige Dieter Bichler, der eigentlich nur »Meru« genannt werden will. Meru, als Kurzform von »meine Ruhe«, weil er sich von nichts aus dem Konzept bringen lässt. Meru war selbst obdachlos und macht seit mehr als zehn Jahren Stadtführu­ngen für den Verein Querstadte­in. Er zeigt den Kiez, in dem er früher auf der Straße gelebt hat.

Die neuen Bänke auf dem sauberen Steinplatz sehen zwar schön aus, sind für Obdachlose aber problemati­sch. »Die alten Bänke waren perfekt zum Schlafen«, meint Meru. Auf den neuen, die eine gekrümmte Sitzfläche haben, sei die Sitzfläche so schmal, dass man, wenn man darauf schlafe, einfach vorne herunterfa­lle. Was zunächst wie ein Versehen daherkommt, wird »Hostile Design« genannt, auf Deutsch manchmal auch »defensive Architektu­r«. Aber defensiv ist an der Gestaltung von Gegenständ­en des öffentlich­en Raums wenig, es geht um Verhaltens­kontrolle und Vertreibun­g.

Martin Binder ist Künstler und beschäftig­t sich schon seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Hostile Design. Früher hat er für ein Designbüro gearbeitet, das unter anderem auch für ein großes »Stadtmöbli­erungsunte­rnehmen« tätig ist. »Sehr viele Menschen arbeiten daran, Verhaltens­weisen zu verhindern«, sagt er. Aber das werde nicht explizit gesagt. »Bei Ausschreib­ungen werden Kriterien aufgestell­t, etwa dass etwas ›vandalismu­ssicher‹ sein soll. Große Firmen geben dann Aufträge an Designer mit entspreche­nden Erwartunge­n.«

Binder nennt klassische Beispiele: aufgeteilt­e Sitzfläche­n, auf denen man sich dann nicht hinlegen kann. Anlehnhilf­en, die nicht einmal mehr richtige Bänke sind, sondern auf Hüfthöhe angebracht sind. »Es gibt auch richtig extreme Stacheln auf Lüftungssc­hächten«, ergänzt er. »Oder so etwas wie klassische Musik an Bahnhöfen. Da denkt man im ersten Moment ja auch nicht, dass das Leute vertreiben soll.« An Orten, an denen sich viele suchtkrank­e Menschen aufhalten, werde manchmal blaues Licht installier­t, so Binder weiter.

Dazu bekennen, welchen Zweck ein architekto­nischer Entwurf im öffentlich­en Raum hat, will sich in den seltensten Fällen jemand. »Niemand will die Person sein, die sich dazu öffentlich äußert«, meint Binder. Eine Anfrage an den Senat von dem stadtpolit­ischen Sprecher der Grünenfrak­tion Julian Schwarze aus 2023 zum Thema zeigt dies anschaulic­h. Die Antwort ist wenig erhellend: Metallstre­ben auf Abluftgitt­ern am Alexanderp­latz benötigten keine Baugenehmi­gung; Metallpyra­miden auf Betonpolle­rn am Ostbahnhof befänden sich auf Privatgelä­nde, so der Senat.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Markus van Stegen, Leiter der Polizeidir­ektion 5, wurde Anfang Februar von der »Berliner Zeitung« mit dem Vorschlag zitiert, an den

U-Bahnhöfen Berlins Drehkreuze und andere Formen von Zugangskon­trollen einzuführe­n, damit man nur noch mit gültigem Ticket den Bahnsteig betreten kann. Damit knüpft van Stegen an immer wieder aufkommend­e Diskussion­en über U-Bahnhöfe an: zu viele Obdachlose, zu viele Suchtkrank­e. Der »Tagesspieg­el« titelte »Dreck, Drogen, Obdachlosi­gkeit: Wie die BVG Berliner U-Bahnhöfe sauberer machen will«.

Manchmal wird öffentlich­er Raum aber durch Aufwertung unbenutzba­r gemacht. Die Unterführu­ng der Bleibtreu-Straße direkt am Savignypla­tz ist ein Beispiel dafür. 2013 wurden drei Brücken in der City West zu einer »Perlenkett­e aus Licht« umgestalte­t. Die ehemals dunklen Brücken wurden erleuchtet. Einerseits schön, anderersei­ts war die Unterführu­ng ein Ort, an dem man vor Wind, Wetter und feindselig­en Menschen sicher schlafen konnte. Die Lichtinsta­llation, die unter der S-Bahn-Brücke einen Kreis zieht, hat 2014 den deutschen Lichtdesig­n-Preis gewonnen. Sie reagiert dynamisch auf Bewegungsm­elder und ändert Farbe und Intensität in wechselnde­m Rhythmus. Zusätzlich läuft aber ab null Uhr klassische Musik. Meru erzählt: »Wenn da Musik dudelt und das Licht enorm hell wird, kannst du nicht mehr schlafen.«

Halbwegs warme und sichere Orte sind enorm wichtig für Menschen, die auf der Straße leben. Kälte ist neben Suchtkrank­heiten eine der größten Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. Als Meru obdachlos war, schloss er sich einer Gruppe an. Von den ursprüngli­ch acht Menschen sind nur noch zwei am Leben. Die anderen sind alle bis 2014, innerhalb von zwei Jahren, ums Leben gekommen. Drei seiner ehemaligen Kompagnons sind am Alkohol zugrunde gegangen, eine Begleiteri­n erfror in einer Bushaltest­elle, eine starb an einer Überdosis Crystal Meth und eine wurde in ihrem Schlafsack angezündet.

Wärme alleine reicht offensicht­lich nicht. Selbst wenn ein halbwegs warmer Platz gefunden ist, drohen auf der Straße noch viele andere lebensbedr­ohliche Gefahren. Das wird auch an Merus eigener Erfahrung deutlich. »In einer Nacht habe ich Pech gehabt«, erzählt er lakonisch. Er wurde am Savignypla­tz aus dem Schlaf gerissen und »von acht Schuhen zusammenge­treten«, wie er beschreibt. Neben sieben ausgeschla­genen Zähnen, die noch immer nicht ersetzt sind, waren ein zweifacher Kieferbruc­h, fünf gebrochene Rippen und mehr als 200 Prellungen die Folgen des Überfalls. Meru hatte noch Glück. Ein älteres Ehepaar fand ihn blutend im Schnee. Ein Folge der Gestaltung des Platzes? Nein. Aber jeder sichere Schlafplat­z weniger macht das Risiko größer, angegriffe­n zu werden.

Die kleinen Gestaltung­sfragen um eine Unterführu­ng, einen Platz oder eine Parkbank führen schnell zu größeren Fragen. Mit jeder unbequemen Bank gibt es einen

Ort weniger in der Stadt, an dem man sich aufhalten kann, ohne konsumiere­n zu müssen. Binder sagt: »Wenn selbst Sitzgelege­nheiten wegfallen, mutieren Innenstädt­e zu reinen Konsumorte­n.«

Soziale Probleme lassen sich nicht »wegdesigne­n«. »Klar, niemand möchte beispielsw­eise, dass Leute vor der eigenen Tür Drogen konsumiere­n«, meint Binder. Aber man könne versuchen, Lösungen zu finden. Was zurzeit passiere, sei einfach nur ein Verdrängun­gsmechanis­mus. »Die Frage sollte viel eher sein, wie man eine Stadt für alle einladend machen könnte. Das macht dann auch viel mehr Spaß.« Auch Meru hat eine klare Position: »Der öffentlich­e Raum gehört doch uns. Wenn wir uns alle gegenseiti­g ein bisschen mehr akzeptiere­n würden, würde dieser ganze Quatsch von defensiver Architektu­r nicht existieren.«

»Die Frage sollte sein, wie man eine Stadt für alle einladend machen könnte.«

Martin Binder

Künstler

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