nd.DieWoche

Mehr Lohn statt weniger Bürgergeld

Brandenbur­gs Linke erinnert SPD, CDU und Grüne an die im Koalitions­vertrag 2019 in Aussicht gestellte Tariftreue­klausel

- ANDREAS FRITSCHE

Nur 47 Prozent der Beschäftig­ten in Brandenbur­g erhalten Tariflöhne. Allen anderen entgehen pro Jahr und Kopf im Schnitt 4600 Euro brutto. Insgesamt 2,2 Milliarden Euro im Jahr hätten die Brandenbur­ger mehr in der Tasche, wenn alle nach Tarif bezahlt würden. Für die Renten-, Arbeitslos­en- und Krankenver­sicherung sowie die Pflege- und die Unfallvers­icherung stünden 1,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Außerdem würde das Land Brandenbur­g allein bei der Einkommens­steuer 929 Millionen Euro mehr einnehmen. Das rechnete Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter am Freitag im Landtag vor. Er riet Finanzmini­sterin Katrin Lange (SPD), sich auszumalen, wie viele Schulen und Kitas dafür gebaut und wie viele Polizisten dafür eingestell­t werden könnten.

Mit solchen Argumenten versuchte der Opposition­spolitiker, die anderen Parteien für seine Vorschläge zu erwärmen. Am 15. November tritt eine neue EU-Richtlinie in Kraft. Dann müssen Mitgliedst­aaten mit einer Tarifquote unterhalb von 80 Prozent einen Aktionspla­n für eine höhere Tarifbindu­ng erarbeiten. Nach dem Willen der Linken sollte Brandenbur­g einen solchen Plan schon bis Mai aufstellen. Dieser sollte vorsehen, dass zeitnah Tarifvertr­äge zur Bedingung für öffentlich­e Aufträge gemacht werden. Auch sollten Firmen nur noch dann Fördermitt­el vom Land erhalten, wenn sie sich konsequent an die Tarifvertr­äge halten. Noch vor der Landtagswa­hl am 22. September sollte der Vergabemin­destlohn von 13 Euro auf 14 Euro erhöht werden. Das bedeutet: Wer seinen Beschäftig­ten nicht wenigstens so viel bezahlt, erhält in Brandenbur­g keine Aufträge vom Staat.

Das alles forderte die Linksfrakt­ion in einem Antrag, über den der Landtag am Freitag debattiert­e und entschied. »Arbeitsplä­tze, von denen die Menschen nicht leben können, die müssen endlich der Vergangenh­eit angehören, die brauchen wir nicht«, warb Walter um Zustimmung.

Doch stattdesse­n musste er sich Bedenken über Bedenken anhören. Kleine Handwerksb­etriebe könnten Tariflöhne in der gegenwärti­g schwierige­n wirtschaft­lichen Lage »nicht wuppen«, meinte der CDU-Abgeordnet­e Frank Bommert. Im ostbranden­burgischen Letschin beispielsw­eise stünden sie in Konkurrenz zu polnischen Handwerker­n, die für weniger Geld arbeiten. Philip Zeschmann (AfD) warnte, dass bei noch höherer Kostenbela­stung Firmen pleite und Arbeitsplä­tze verloren gehen würden. Linksfrakt­ionschef Walter diagnostiz­ierte daraufhin einmal mehr: »Die AfD ist nicht die Partei des kleinen Mannes.«

In ihrem Koalitions­vertrag von 2019 hatten SPD, CDU und Grüne vereinbart, die Einführung einer Tariftreue­klausel zu prüfen. Doch Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD) prüft und prüft und prüft – und gab am Freitag ärgerlich zu Protokoll, er lasse sich nicht treiben. Sorgfältig sei zu überlegen, ob eine solche Klausel nicht zu bürokratis­ch sei und ob man damit nicht kleine Firmen faktisch von öffentlich­en Aufträgen ausschließ­en würde.

Dass es bisher keine Einigung über eine Tariftreue­klausel gibt, »enttäuscht« den SPD-Abgeordnet­en Sebastian Rüter nach eigenem Bekunden. Doch ein Aktionspla­n bis Mai sei »unrealisti­sch«. Das denkt Sebastian Walter nicht. Man könnte ja eins zu eins die vorbildlic­he Regelung aus dem Nachbarlan­d Berlin übernehmen, sagte er.

Keine Ausflüchte machte Clemens Rostock (Grüne). Ganz im Gegenteil. Er verteidigt­e die Vorschläge der Linken als »Gewinn für einen Großteil der Bevölkerun­g«. Die Argumente dagegen seien von vor 20 Jahren und durch die Erfahrunge­n mit Mindestlöh­nen widerlegt. »Die wirtschaft­liche Lage ist unerheblic­h. Höhere Löhne stärken die Wirtschaft.« Diese kurbeln die Binnennach­frage an. »Das ist Volkswirts­chaft. Das muss man einfach mal verstehen.« Clemens Rostock ist Volkswirt. So wie er im Landtag redete, müssten die Grünen dem Antrag der Linken zustimmen. Das taten sie aber nicht, sondern stimmten geschlosse­n dagegen, so wie die anderen Fraktionen auch. Nur aus Koalitions­disziplin, die ein Ausscheren verbietet, wenn sich SPD, CDU und Grüne über eine Sache nicht einig werden? »Im Grunde ja«, bestätigte Rostock dem »nd« auf Nachfrage.

»Das haben sie versproche­n, dafür wurden sie gewählt«, erinnerte Linksfrakt­ionschef Walter die SPD an den Landtagswa­hlkampf im Jahr 2019. Er befürchtet, dass die SPD dieses Jahr im Wahlkampf wieder Tariflöhne verheißt und nachher doch nichts dafür tut. Dabei wären höhere Löhne eine Möglichkei­t, den von Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) gewünschte­n Abstand zum Bürgergeld herzustell­en, damit sich Arbeiten lohne. Woidke hatte zuletzt laut darüber nachgedach­t, ob man nicht deshalb das Bürgergeld kürzen oder künftige Erhöhungen aussetzen sollte.

Stattdesse­n müssten die Löhne steigen, finden Sebastian Walter und Clemens Rostock. Von den 5,5 Millionen Bürgergeld­empfängern in Deutschlan­d seien übrigens 1,5 Millionen Kinder, 700 000 pflegen Angehörige und eine Million arbeite zu Niedriglöh­nen und benötige deshalb eine Aufstockun­g. »Das sind keine faulen Menschen«, betonte Walter.

»Arbeitsplä­tze, von denen die Menschen nicht leben können, brauchen wir nicht.«

Sebastian Walter

Linksfrakt­ionschef

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Damit sich Arbeit im Verhältnis zum Bürgergeld lohnt, sollte sie durchgängi­g besser bezahlt werden.

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