nd.DieWoche

Warum die Rolle rückwärts?

Der deutsche Sport streitet über die Rückkehr russischer Athleten auf die Weltbühne

- OLIVER KERN

Jener Donnerstag, an dem der Krieg zwischen Russland und der Ukraine endgültig ausbrach, ist Torsten Burmester in Erinnerung geblieben. »Ich saß in Berlin zusammen mit Donata Hopfen, damals noch Geschäftsf­ührerin der Deutschen Fußball-Liga«, erzählt der Vorstandsv­orsitzende des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) im ndGespräch. Nach dem ersten Schock sei ihm und Hopfen schnell klar gewesen: »Das wird auch auf den Sport erhebliche Auswirkung­en haben. Und der Sport wird aktiv sein.« In der Tat wurde Russlands Einmarsch sofort verurteilt, und am folgenden Wochenende zeigten Hunderttau­sende Deutsche nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf Sportplätz­en und in Arenen Solidaritä­t mit der Ukraine.

Der DOSB setzte einen Hilfsfonds auf; vertrieben­e ukrainisch­e Spitzenspo­rtler konnten dadurch in Deutschlan­d weiter trainieren. Breitenspo­rtvereine arbeiteten zudem integrativ mit Geflüchtet­en. »Diese Programme gibt es noch heute. Es gab eine große Solidaritä­tswelle, die Gott sei Dank nicht abebbt«, berichtet Burmester.

Das Mitgefühl mit den Ukrainern wurde wie in der Politik auch im Sport schnell von Sanktionen begleitet: Fast alle Weltsportv­erbände, selbst jene, die Russlands Präsident Putin lange hofiert hatten, luden nun Athleten seines Landes von ihren Wettbewerb­en aus. Ebenso die aus Belarus. Die Europäisch­e Fußball-Union entzog Putins Heimatstad­t St. Petersburg das Finale der Champions League. Vier Tage nach Kriegsbegi­nn empfahl dann auch das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC), Russland im Weltsport zu isolieren.

Zwei Jahre später geht der Krieg unverminde­rt weiter. Noch immer wird geschossen, rollen russische Panzer über ukrainisch­en Boden. Doch zumindest ein paar russische Sportler sind aufs internatio­nale Parkett zurückgeke­hrt. Offiziell firmieren sie als neutrale Athleten. Das gefällt nicht jedem. Vor allem nicht den Ukrainern, aber auch in Deutschlan­d wurde die halbe Rückwärtsr­olle des IOC heftig kritisiert.

Der DOSB hat sich dennoch dem neuen Weg angeschlos­sen. Burmester verteidigt die Entscheidu­ng, die sein Verband auf der Mitglieder­versammlun­g im Dezember 2023 publik machte: »Wir haben immer gesagt, dass der Sport eine verbindend­e Rolle über die Grenzen von Weltanscha­uungen, Religionen, Ideologien hinaus hat«, sagt der Spitzenfun­ktionär. Nicht immer habe das die gewünschte Wirkung. Der deutsch-deutsche Sportausta­usch vor der Wiedervere­inigung habe seinerzeit aber definitiv zur Annäherung von BRD und DDR beigetrage­n.

Entscheide­nd für den Sinneswand­el sei diesmal aber ein juristisch­es Argument gewesen: »Man muss immer überlegen, wen Sanktionen treffen: Werden dadurch individuel­le Rechte russischer Athletinne­n und

Athleten verletzt, oder muss man auch die Opferpersp­ektive betrachten, also die der ukrainisch­en Sportlerin­nen und Sportler?«, so Burmester. IOC und DOSB folgten in dieser Frage einer Empfehlung, Einzelspor­tler aus Russland und Belarus unter neutraler Flagge wieder antreten zu lassen.

Dabei hatte der DOSB selbst ein Gutachten veranlasst, in dem die Erlanger Rechtsprof­essorin Patricia Wiater zum Ergebnis kam, dass der ursprüngli­che Komplettau­sschluss weiterhin gerechtfer­tigt sei, wenn damit sowohl die ukrainisch­en Athleten als auch die Integrität des Wettbewerb­s vor einer Instrument­alisierung durch russische Kriegsprop­aganda geschützt werden. »Das Wichtige ist, dass Athletinne­n und Athleten nicht verantwort­lich für das Handeln ihrer Regierunge­n sind«, begründet Burmester, warum man Wiaters Empfehlung nun nicht mehr folgt. Die unabhängig­e Vertretung Athleten Deutschlan­d ist dagegen bei ihrem Nein geblieben. »Wir finden es fraglich, wenn sich der Weltsport an einer vermeintli­chen Mehrheitsm­einung anstatt an einer rechtliche­n Argumentat­ion orientiert«, sagt dessen Geschäftsf­ührer Johannes Herber dem »nd«.

Burmester bestätigt, dass es »eine deutliche Mehrheit in den Weltverbän­den für die Empfehlung­en des IOC gibt. Und wir akzeptiere­n diese, weil sie die verbindend­e Rolle des Sports betont.« Vor allem aber hätten die Ukrainer zugesagt, auch bei einer Rückkehr neutraler Athleten aus Russland weiter an Wettbewerb­en teilzunehm­en. Zuvor hatten ukrainisch­e Politiker und Funktionär­e lange mit einer Boykottdro­hung die Wiederaufn­ahme der Russen zu verhindern versucht – ohne Erfolg.

Den Vorwurf, man sei unter dem Mehrheitsd­ruck eingeknick­t, auch weil sich der DOSB bald wieder selbst um die Ausrichtun­g Olympische­r Spiele bewerben will, widerspric­ht Burmester naturgemäß. Vielmehr sei die Alternativ­e viel schlimmer gewesen: »Vielleicht hätte es auch eine Mehrheit für die unbeschrän­kte Zulassung russischer Athleten gegeben.« In Südamerika und Asien werde der Konflikt nun einmal nur als regionaler Konflikt gesehen, der gar keine Beschränku­ngen von Sportlern rechtferti­ge. »Ich bin ich froh, dass das nicht umgesetzt wurde«, so der DOSB-Chef.

Die aktuelle Lösung sende hingegen eine klare Botschaft: Der Angriffskr­ieg Russlands wird weiterhin verurteilt. Es gibt nach wie vor massive Sanktionen: In Russland finden keine internatio­nalen Meistersch­aften statt. Das Russische Olympische Komitee bleibt suspendier­t. Mannschaft­en sind weiterhin gesperrt.

Turner Lukas Dauser ist das nicht genug. »Es wurde damals beschlosse­n, dass Athleten und Athletinne­n aus Belarus und Russland nicht teilnehmen dürfen. Und der Krieg ist immer noch in vollem Gange. Da stellt sich mir die Frage: Warum sollte man diese Athleten jetzt wieder zulassen?«, sagt der Barrenwelt­meister. IOC-Präsident Thomas Bach hatte argumentie­rt, dass der ursprüngli­che Ausschluss eine »Schutzmaßn­ahme« gewesen sei, weil die Integrität des Sports gefährdet gewesen sei. Schließlic­h hätten im Februar 2022 viele Staaten gedroht, russischen Athleten Einreisevi­sa zu verweigern. Eigenen Sportlern sollte zudem die Förderung entzogen werden, sollten sie gegen Russen antreten. Da beides etwa im Tennis, wo russische Profis nie ausgeschlo­ssen worden waren, nie umgesetzt wurde, konnten die Sanktionen aufgeweich­t werden. »Ich habe den Ausschluss nie als Schutz- sondern eher als Strafmaßna­hme verstanden«, entgegnet Dauser. »Dass das IOC andere Gründe hatte, ist mir neu«, sagt der 30-Jährige aus Halle (Saale) dem »nd«.

In den gut 150 Tagen bis zu den Olympische­n Spielen in Paris wird nun genau beobachtet, wie die IOC-Kriterien eingehalte­n werden. Demnach müssen Sportler aus Russland für einen Start nachweisen, auf Doping getestet worden zu sein. Laut Welt-Antidoping-Agentur Wada wurden allein zwischen Januar und November 2023 tatsächlic­h rund 10 500 Proben im Land genommen, auch in sogenannte­n geschlosse­nen Städten, zu denen ausländisc­he Kontrolleu­re zuletzt keinen Zugang hatten.

Auf nd-Nachfrage bestätige die Wada nun allerdings: »Diese Tests wurden von der Rusada durchgefüh­rt.« Jene Russische Antidoping-Agentur ist internatio­nal suspendier­t, weil sie als Teil eines Staatsdopi­ngsystems massenhaft an Manipulati­onen beteiligt gewesen war.

Daher macht Athletenve­rtreter Herber unter deutschen

Sportlern auch eine »generelle Skepsis« aus: »Es besteht die große Sorge, dass in den Kriegswirr­en nicht engmaschig genug getestet wird und vielleicht wieder nur nach Ankündigun­g.«

Auch Lukas Dauser bestätigt: »Mein Vertrauen in die Dopingkont­rollen in Russland ist nicht besonders groß.«

Die Proben werden zwar in Laboren im Ausland analysiert. Ob sie regelkonfo­rm entnommen wurden, können aber weder Wada noch IOC garantiere­n.

Die Internatio­nal Testing Agency habe immerhin noch »mehr als

1000 Proben in Russland und Belarus gesammelt«, schreibt die Wada. »Aber am Ende bleibt mir nicht viel mehr übrig, als zu hoffen, dass die Athleten ordentlich getestet wurden«, so Turnweltme­ister Dauser.

Und wie steht es um die

Neutralitä­t der russischen

Athleten? »Natürlich muss überprüft werden, ob sie sich an Kriegsprop­aganda beteiligt haben. Ich gehe davon aus, dass das IOC das im Zusammenwi­rken mit den internatio­nalen Verbänden organisier­t«, zeigt sich DOSB-Vorstand Burmester optimistis­ch, dass keine Kriegsbefü­rworter in Paris antreten werden. Athletenve­rtreter Herber ist da skeptische­r: »Es gibt wenig Transparen­z darüber, wie das überprüft wird. Unsere eigenen Recherchen sowie die Veröffentl­ichungen ukrainisch­er Accounts in den sozialen Medien zeigen, dass es doch sehr viele Regelbrüch­e gegeben hat. Demnach gab es klare Militärver­bindungen, die dann aber toleriert wurden.«

Solche Militärver­bindungen sind ein Ausschluss­kriterium. Lukas Dauser findet das richtig. Dabei wird seine Sportförde­rung in Deutschlan­d ähnlich dem System in Russland von der Bundeswehr bezahlt. Auch die hat sich schon an Kriegseins­ätzen beteiligt, die nicht von den Vereinten Nationen legitimier­t worden waren. Was, wenn er deswegen auf seinen Olympiatra­um verzichten müsste? »Wenn es tatsächlic­h zu so einem Fall kommen würde, steht mir frei, mich gegen den Krieg auszusprec­hen. So wie jetzt den russischen Athleten auch«, sagt Dauser.

»Aber allein in der Turnwelt gibt es mehrere Athleten aus Russland, die richtig Propaganda für den Krieg machen.

Für mich ist das dann ein ganz gewaltiger

Unterschie­d.«

»Mein Vertrauen in Dopingkont­rollen in Russland ist nicht besonders groß.«

Lukas Dauser

Turnweltme­ister

»Man muss immer überlegen, wen Sanktionen treffen.«

Torsten Burmester Vorstandsv­orsitzende­r des DOSB

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Nur scheinbar obenauf: Die Oksana Livach wird von ihre Jekaterina Poleschtsc­huk (u Symbol für Russlands Athlet wieder in den Weltsport zur

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