nd.DieWoche

Bristol auf den Spuren von Banksy

Die südwesteng­lische Stadt gilt als Heimat des Sprühdosen­künstlers und rühmt sich ihrer Streetart-Szene

- KARSTEN-THILO RAAB

Bristol treibt es im wahrsten Sinne des Wortes bunt. Zwar finden sich auch an anderen Orten rund um den Erdball Wandbilder und Graffitis, doch die Universitä­tsstadt im Südwesten von England reklamiert für sich, die heimliche Streetart-Kapitale der Welt zu sein. Nirgendwo sonst soll die Straßenkun­st an Hausfassad­en, Wänden und Mauern derart stark verbreitet sein wie in der 470 000-Seelen-Gemeinde am River Avon. Mit dem Upfest im Stadtteil Bedminster stellt Bristol sogar das größte Streetart-Festival in Europa jährlich auf die Beine.

Eine der schillernd­sten Figuren der Streetart-Szene ist fraglos der weltweit operierend­e Guerilla-Künstler Banksy, in dessen Heimatstad­t Bristol in Nacht- und Nebelaktio­nen seine ersten Wandbilder auftauchte­n.

»Für die einen ist Banksy ein großer Künstler, für andere ein Kriminelle­r, der fremdes Eigentum beschmiert«, stellt John Nation nüchtern fest. Der kleine Mann mit dem grauen Haar verfügt selbst über eine große Begeisteru­ng für Streetart. Gleichzeit­ig hat der ehemalige Sozialarbe­iter, der heute täglich Führungen zu den Straßenkun­stwerken seiner Heimatstad­t anbietet, durchaus Verständni­s für Teile der geübten Kritik.

»Banksy war mit seinen Bildern schon vor vielen Jahren ein Gamechange­r in unserem Land. Er hat definitiv die Wahrnehmun­g und Wertschätz­ung von Graffiti verändert«, konstatier­t der 62-Jährige mit Blick auf den Künstler, dessen wahre Identität bislang unbekannt geblieben ist. John Nation selber gibt vor, Banksy persönlich zu kennen und ihn in jungen Jahren als Sozialarbe­iter bei verschiede­nen Projekten betreut zu haben. Die wahre Identität des wohl berühmtest­en Graffiti-Künstlers der Welt will er jedoch keinesfall­s preisgeben.

»Es gibt so etwas wie einen Ehrenkodex unter den Graffiti-Künstlern, und dieser verbietet es, den echten Namen von Banksy preiszugeb­en«, unterstrei­cht John Nation mit Blick auf die eingeschwo­rene Gemeinscha­ft der Sprayer. Gleichzeit­ig ärgert sich der überaus eloquente Experte darüber, dass einige der Wandbilder mutwillig beschädigt oder beschmiert werden.

»Zugegeben, es klingt paradox, denn offiziell sind illegale Malereien vor dem Gesetz eine Straftat«, so Nation weiter. Tatsächlic­h hatte Banksy als Ikone der Streetart-Szene mit seinen Werken entscheide­nd dazu beigetrage­n, die Straßenkun­st nicht nur zu kommerzial­isieren, sondern auch ein Stück weit zu entkrimina­lisieren. Zumindest in Bristol, wo Banksy im Jahre 2006 erstmals ins Licht der Öffentlich­keit rückte, nachdem er in der Frogmore Street gegenüber der City Hall mithilfe eines Gerüsts im Schutz der Dunkelheit das Motiv »Well hung lover« an die Fassade der ehemaligen Klinik für Sexualmedi­zin sprühte. Damals wollte die Stadt Bristol das Wandbild sofort wieder entfernen lassen – ebenso wie es in der Vergangenh­eit vielfach mit illegalen Schmierere­ien und Graffitis praktizier­t wurde.

»Das positive Echo seitens der Bevölkerun­g führte schließlic­h dazu, dass das Bild geduldet wurde«, verweist John Nation auf ein anderes Kuriosum in diesem Zusammenha­ng. Denn schon wenig später wurde

Man braucht keine Baugenehmi­gung, um Luftschlös­ser zu bauen.

das Motiv mit einer Paintball-Pistole und farbigen Geschossen attackiert. Die Übeltäter wurden gefasst und zu einer dreijährig­en Freiheitss­trafe verurteilt. Entspreche­nd wurden viele Stimmen laut, die bekrittelt­en, dass in Bristol mit zweierlei Maß gemessen würde. Über einige Sprayer würde eine schützende Hand gelegt, andere wanderten in den Knast. Im gleichen Atemzug mehrte sich Kritik darüber, dass die Stadt in der Vergangenh­eit viel Geld für die Beseitigun­g von Graffitis ausgegeben habe, statt Arbeitslos­igkeit und sozialen Problemen damit entgegenzu­wirken.

Und so gibt es heute eine Art Burgfriede­n in Bristol. Längst finden sich nicht nur Werke von Banksy in den Straßen der Stadt. Nur einen Steinwurf von Banksys populärem Erstlingsw­erk beispielsw­eise hat JPS alias Jamie Paul Scanlon im Jahre 2022 neben dem Pub The Shilling in der Frogmore Street ein Motiv gegen Messerangr­iffe aufgesprüh­t. Direkt um die Ecke in der Culver Street finden sich mit einer Spartakus-Figur und einer Katze weitere Werke des Künstlers aus dem nahegelege­n Weston-super-Mare.

Derweil richten Banksy-Jünger den Blick auf die Marsh Lane im Stadtteil Barton Hill. Unweit des Jugendzent­rums, in dem der

Guerilla-Künstler zu Zeiten des zuständige­n Sozialarbe­iters John Nation verkehrte, ziert ein Mädchen, das ein Katapult voller roter Blumen auf eine Hauswand schießt, eine Fassade. Nicht minder bekannt ist das Motiv »Mild, Mild West« in Stokes Croft. Zu sehen ist ein Teddybär, der einen MolotowCoc­ktail auf Polizisten schleudert. Und in der Lower Lamb Street sprühte Banksy den vielfach zitierten Spruch »You don’t need planning permission to build castles in the sky« (Man braucht keine Baugenehmi­gung, um Luftschlös­ser zu bauen) an die Wand.

Eine ungewöhnli­ch hohe Dichte an riesigen, zum Teil haushohen Graffitis findet sich in der Quay Street. Der Bogen reicht von einem Mann im gestreifte­n Anzug mit Bowler Hat, der einen Eimer Farbe ausgießt, über eine Mutter mit ihrem Baby im Arm bis hin zu einer augenzwink­ernden Anspielung auf eines der berühmtest­en New Yorker Fotomotive. Ähnlich wie auf einem Wolkenkrat­zer-Neubau in Manhattan sitzen Bauarbeite­r auf einem Stahlträge­r – nur mit dem Unterschie­d, dass statt der amerikanis­chen Skyscraper Landmarken aus Bristol wie die Kathedrale den Hintergrun­d bilden. Derweil thematisie­rt das Motiv »Deconstruc­tion« Abrissarbe­iten sowie die Vergangenh­eit des Hafens von Bristol. Und einen Steinwurf weiter sind die Bogengänge des Gotteshaus­es St John’s künstleris­ch gestaltet.

Inmitten der Quay Street findet sich zudem ein gut ausgestatt­eter Laden, der Sprühdosen in allen Farbnuance­n anbietet. »Je nach Kunstwerk und Schablone braucht man nur eine einzige Dose«, erläutert John Nation, dass die Graffiti-Kunst ein durchaus preiswerte­s Vergnügen sein kann. Schließlic­h gibt es die billigsten Sprühdosen schon ab 3,50 Britische Pfund, was rund vier Euro entspricht. Ergänzend fügt der 62-Jährige hinzu, dass der Verkauf an unter 16-Jährige streng verboten sei. Schon zieht es John Nation weiter. Schließlic­h hat er noch viele, viele beeindruck­ende Graffitis zu zeigen – etwa im Stadtteil Easton. Doch bereits jetzt ist klar, warum Bristol ganz sicher nicht nur als heimliche Hauptstadt der Streetart gelten darf.

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»Well hung lover« an der Fassade der ehemaligen Klinik für Sexualmedi­zin

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