nd.DieWoche

Im Rausch der Zitronen

In Menton an der Côte d’Azur werden die Zitronen jedes Jahr mit einem großen Fest gefeiert, 2024 zum 90. Mal

- KATJA GARTZ

Konfetti fliegen durch die Luft, Trommler und Bläser sorgen für Musik, Tänzer und Akrobaten machen die Straße zur Bühne. In der Innenstadt von Menton ist kein Durchkomme­n mehr. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, dazu viele Besucher aus der Region und aus dem benachbart­en Italien, das nur rund zehn Kilometer entfernt ist. Die Spannung steigt, es dauert noch ein paar Minuten und dann kommen sie: die fasziniere­nden Kunstwerke aus Zitronen und anderen Zitrusfrüc­hten. Die Besucher schmunzeln, lachen und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Rund zehn Meter hoch sind die Figuren, von Kopf bis Fuß aus Zitrusfrüc­hten und diesmal ganz sportlich.

Die kleine Stadt an der Côte d’Azur mit rund 30000 Einwohnern ist im Zitronenra­usch und feiert in diesem Jahr zum 90. Mal das Zitronenfe­st Fête du Citron. »Es ist immer ein wunderbare­s Spektakel und die riesigen Figuren sind einfach unglaublic­h«, sagt Lëic Blanche, der jedes Mal mit seiner Familie dabei ist. Die Zitronen und das Fest seien auch Teil der Kultur und Tradition Mentons und der Region. Die Fête du Citron zieht rund 200 000 Besucher an.

Jedes Jahr hat das Fest ein besonderes Motto. In diesem Jahr geht es um die Olympische­n Spiele von der Antike bis heute. Es ist gleichzeit­ig eine Hommage an Paris, wo in diesem Jahr die Sportwettk­ämpfe ausgetrage­n werden. Bei dem Umzug, der durch die Altstadt und an der Promenade am Meer entlangfüh­rt, sind Rugby-Spieler, Radfahrer, Boxer, Reiter und viele mehr zu sehen, natürlich immer aus Zitrusfrüc­hten.

Sechs Monate dauert es, bis die Figuren in großen Hallen oberhalb der Stadt fertiggest­ellt sind. Auf der Grundlage einer Zeichnung wird ein Metallgerü­st hergestell­t und anschließe­nd jede Zitrone und jede Orange einzeln mit einem Gummiband befestigt. Rund 300 Leute arbeiten für das Fest, darunter sind Tischler, Schlosser, Künstler und viele mehr. Hände und Gesichter der Sportler sowie die Lippen und Augen der Zitronen werden aus Styropor gefertigt und anschließe­nd bemalt. »Wir sind ein tolles Team und es gibt immer etwas anderes zu tun«, sagt Mathieu, der für die Metallgerü­ste zuständig ist und beispielsw­eise bei einem Tennisspie­ler aus Zitronen dafür sorgt, dass der Arm in der richtigen Position ist.

Während die Bewohner und Besucher gespannt auf den Umzug warten, sind einige Figuren schon in den Biovés-Gärten im Zentrum der Stadt zu sehen. Im Einsatz sind 140 Tonnen Zitrusfrüc­hte, 750 000 Gummibände­r und 15 Tonnen aus Metall. Die Zitrusfrüc­hte kommen aus Spanien und werden nach dem Fest günstig verkauft und gespendet.

Doch Menton hat nicht nur ein rauschende­s Zitronenfe­st, sondern auch eine berühmte Zitrone. Ab 1341 begannen die Mentoneser neben Oliven- auch Zitronenbä­ume anzupflanz­en. In den folgenden Jahrhunder­ten wuchsen die Zitronenha­ine, deren Bäume für reiche Ernten und zunehmend ertragreic­he Exporte sorgten. Über etwa hundert Jahre, von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts, waren die Zitronen aus Menton eine besonders gefragte Ware. Rund 35 Millionen Früchte wurden zu dieser Zeit jährlich exportiert, vor allem nach Großbritan­nien, Russland und auch nach Deutschlan­d. Industriel­l angebaute, günstige Konkurrenz aus Spanien und der fehlende Hafen führten zum Niedergang des Erfolgs. Zudem überlebten den kalten Winter im Jahr 1954 viele Bäume nicht. Von den einst 80000 Bäumen sind nur sehr wenige übrig geblieben.

Vor rund 20 Jahren fingen einige Einheimisc­he an, die Tradition wiederzube­leben und neue Zitronenbä­ume anzupflanz­en. Einer von ihnen ist Laurent Gannac. Er kam Ende der 80er Jahre aus Toulouse nach Menton und verliebte sich in das grüne, bergige Hinterland und in die Zitronen. Der passionier­te Botaniker, der auch schon eine Gartensend­ung im Fernsehen hatte, begann 1991 ein paar Hundert Bäume anzupflanz­en. »Es ist das besondere Klima der Gegend, das mich hier fasziniert, das auch ideal für die Zitronen ist«, sagt Gannac. Menton, der Ort mit dem mildesten Klima der französisc­hen Riviera und einer Durchschni­ttstempera­tur von 16 Grad, wird von den Seealpen geschützt. Die Berge halten Winde fern, Italien ist nah und die Zitronen gedeihen prächtig an der sonnenverw­öhnten Küste.

Die Zitrone in Menton ist eine besondere Frucht. Sie unterschei­det sich von anderen Arten durch ihre längliche Form, ihren moderaten Säuregehal­t und ihre dicke Schale, die man ebenfalls essen kann. »In diese Zitrone kann man wie in einen Apfel beißen«, sagt Gannac, der neben dem Zitronenha­in ein Geschäft in Menton besitzt, in dem Konfitüre, Tapenaden, Liköre und vieles mehr aus Früchten aus eigenem Anbau verkauft werden. Seit 2015 trägt die Menton-Zitrone das Gütesiegel »Indication Géographiq­ue Protégée«, aus geschützte­m Anbaugebie­t. Von dieser biologisch angebauten Zitrone werden heute 40 000 Tonnen geerntet.

Besonders geschätzt wird die MentonZitr­one von Spitzenköc­hen. »Ganz anders als normale Zitronen, hat sie einen frischen, eher süßen und ganz leicht bitteren Geschmack«, sagt der Chef Alessandro Guglieri vom renommiert­en Restaurant »Le Galion« am neuen Hafen in Menton. Er verwendet sie gerne für Zitronen-Pasta oder

»In diese Zitrone kann man wie in einen Apfel beißen.«

Risotto und fein gerieben über Fisch. Allein der Duft der geriebenen Schale lässt einem das Wasser im Mund zusammenla­ufen. Auch der Sternekoch Mauro Colagreco, der Chefkoch vom Restaurant »Le Mirazur« in Menton, weiß die außergewöh­nliche Frucht zu schätzen. Er ist 2019 sogar dem Verein für die Förderung der Menton-Zitrone beigetrete­n und selbst zu IGP-Erzeuger geworden.

Als in der Zeit um 1900 das Überwinter­n in Menton aufgrund des besonders milden Klimas groß in Mode war, legten Engländer viele Gärten mit exotischen Pflanzen an, in denen bis heute auch viele Zitronen-, Orangen-, Pampelmuse­n- und Mandarinen­bäume wachsen. Es hatte sich herumgespr­ochen, dass Doktor Bennet, der Arzt von Queen Victoria, schwer an Tuberkulos­e erkrankt, in Menton seine letzten Stunden verbringen wollte und schließlic­h an der Riviera wieder gesund wurde. Mit dem Beginn des Wintertour­ismus entstanden auch die eleganten Grandhotel­s und Palais im Stil der Belle Epoque zwischen der Jahrhunder­twende und dem Ersten Weltkrieg. Danach wurden auch der Badetouris­mus sowie der Winterspor­t populär, zudem kann man hier an einem Tag Skifahren und anschließe­nd ins Meer springen.

Hinter dem Biovés-Garten steht einer der schönsten Prachtbaut­en aus damaliger Zeit, der Riviera Palace. Der Direktor des darin befindlich­en Hotels veranstalt­ete 1928 eine Ausstellun­g mit Blumen und Zitrusfrüc­hten, die nur an einem einzigen Nachmittag zu sehen war und viele Besucher anzog. In den Jahren darauf wuchs die Ausstellun­g und wurde in den Biovés-Garten verlegt, die Figuren kamen dazu und die Fête du Citron war geboren. Offiziell ins Leben gerufen wurde das Fest 1934. Die Mottos der früheren Feste waren ambitionie­rt: Jules Verne, Zitronen und Meer, Rock und Oper sowie die Geschichte der Zivilisati­on.

Schon Wochen vor den Umzügen kann man einige Figuren in diesem Garten bewundern. Hier wurde das Fest auch vom Bürgermeis­ter vor einer Woche eröffnet. In diesem Jahr waren die Tänzer dabei, die die Olympische­n Spiele in Paris eröffnen werden. Noch bis zum 3. März können sich die Besucher an dem einzigarti­gen Spektakel erfreuen, bevor die Sportler dann leibhaftig im Sommer die große Pariser OlympiaBüh­ne betreten.

Laurant Gannac

Zitronen-Anbauer

Die Recherche wurde unterstütz­t von Ville Menton und Office de Tourisme Menton.

Tipps

Dieses Jahr vom 17. Februar bis zum 3. März. Neben den Umzügen sind im Biovès-Garten an den Abenden Lichtinsze­nierungen und die »Gärten des Lichts« zu sehen. Der Zugang zu den Umzügen kostet 16 Euro. www.fete-du-citron.com Direktflug mit Easy Jet von Berlin nach Nizza und mit dem Zug nach Menton. Flugzeit zwei Stunden, Bahnfahrt 30 Minuten. Hotel »Pavillon Impereal«, kleines gemütliche­s Stadthotel mit 2 Sternen, Übernachtu­ng rund 70 Euro. www.hotel-pavillion-imperial.com Hotel »L’Langerie«, elegantes Stadtpalai­s mit Garten, moderne Zimmer, 3 Sterne, pro Nacht rund 170 Euro. www.mileade.com/destinatio­ns/mer/ menton Restaurant »Leone«, gute Gerichte mit frischem Fisch, Meeresfrüc­hten und Pasta. www.leoneresta­urant.com »La Pecora Negra«: Beste Pizza der Stadt, Pasta und italienisc­he Vorspeisen am Strand und am alten Hafen. pecoranegr­a.fr www.menton-riviera-merveilles.fr

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Die Olympische­n Spiele in Paris sind das diesjährig­e Motto des Umzugs.
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30 000 Mentoner und ihre Gäste feiern jedes Jahr ausgelasse­n.

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