nd.DieWoche

»Ein konstrukti­ver Dialog«

Ralf Becker über die Arbeit der Projektgru­ppe »Münchner Sicherheit­skonferenz verändern«

- INTERVIEW: GISELA DÜRSELEN

Sie waren dieses Jahr im Auftrag der Projektgru­ppe »MSK verändern« als Beobachter bei der Münchner Sicherheit­skonferenz (MSK). Was konnten Sie beobachten?

Einerseits bleibt die MSK ein Hochamt militärisc­her Sicherheit­slogik. Uniformier­te Bundeswehr­soldat*innen prägen das Bild sehr stark, auch Dr. Benedikt Franke, der stellvertr­etende Vorsitzend­e und CEO der MSK, trug die ersten zwei Tage Uniform. In den aktuellen Kriegszeit­en strahlten viele Teilnehmer*innen oberflächl­ich die verstärkte Gewissheit aus, dass allein militärisc­he Stärke und Solidaritä­t Sicherheit garantiere. Entspreche­nd dem Titel des MSK-Berichts 2024 »Lose – Lose?«, der beschreibt, dass viele Menschen weltweit derzeit glauben, im Vergleich zu anderen zu verlieren, war die MSK bemüht, die westlichen Reihen zu bleibender militärisc­her Stärke zu schließen – und die Partner des Globalen Südens auf die Seite des Westens zu ziehen, was diese selbstbewu­sst benannten und zurückwies­en.

Und anderersei­ts?

Anderersei­ts war bereits zu spüren, dass es vielen Verantwort­lichen unter der Oberfläche dämmert, dass es so nicht mehr lange weitergehe­n kann. Die Homepage der »Tagesschau« titelte zur MSK entspreche­nd »Viel Ratlosigke­it«. Auf dem Abschlussp­odium wurde das unter anderem von der Finanz- und Wirtschaft­sministeri­n Islands ausgesproc­hen, die sagte: »Der Krieg in der Ukraine ist ein altmodisch­er Krieg. Wir brauchen Innovation­en, um die weltweiten Herausford­erungen zu bewältigen.«

Wie war die Diskussion zum Krieg im Nahen Osten?

Neben hochkompet­entem Austausch zwischen zahlreiche­n afrikanisc­hen Vertreter*innen zur konstrukti­ven Bearbeitun­g von Konflikten in Afrika und dazu hilfreiche­r Unterstütz­ung habe ich zu meiner Überraschu­ng durchgehen­d einen sehr hochwertig­en, fast idealen Dialog zum Israel-Palästina-Konflikt erlebt: Nahezu alle Beteiligte­n, darunter fast alle Außenminis­ter der an einer möglichen Lösung beteiligte­n Staaten der Region, der USA, der EU und Indiens, sprachen überzeugen­d und glaubhaft von der Notwendigk­eit der sofortigen Beendigung des Krieges und der Schaffung eines palästinen­sischen Staates, notfalls auch ohne Zustimmung des traumatisi­erten Israel. Israels ehemalige Außenminis­terin Tzipi Livni und anwesende Angehörige der Geiseln in Händen der Hamas konnten ihre traumatisc­hen Erfahrunge­n ebenso vortragen wie der Premiermin­ister Palästinas. Die Siedlergew­alt in der Westbank wurde ebenso angesproch­en wie das Sicherheit­sbedürfnis aller Israelis und aller Palästinen­ser*innen.

Welche weiteren Debatten gab es?

Eine ehemalige Außenminis­terin Pakistans hat wie mehrere Friedensak­tivist*innen aus Israel und anderen Teilen der Welt in den interaktiv­en Debatten betont, dass weitere Aufrüstung keine der weltweit dringenden Herausford­erungen löst, sondern deren Lösung entscheide­nd erschwert. An der MSK haben auch acht Friedensno­belpreistr­äger*innen teilgenomm­en und realistisc­he Möglichkei­ten zum Paradigmen­wechsel eingebrach­t.

Und welche Ziele hat die Projektgru­ppe »MSK verändern«?

Mit der Projektgru­ppe versuchen wir durch einen konstrukti­ven Dialog mit den Hauptveran­twortliche­n und dem Team der MSK, diese zu einer Konferenz für Friedenspo­litik und einem Forum fairer globaler Zusammenar­beit weiterzuen­twickeln, von der Initiative­n für eine gerechte, ökologisch­e und gewaltfrei­e Weltinnenp­olitik ausgehen.

Wie sind Sie zu der Projektgru­ppe gekommen?

Als gesellscha­fts- und friedenspo­litisch engagierte­r Mensch bin ich überzeugt von der starken Wirkung gewaltfrei­er, also verbindend­er konstrukti­ver Kommunikat­ion. Ich habe in persönlich­en Konflikten erlebt, wie Mauern, die mir unüberwind­bar schienen, innerhalb von Sekunden in sich zusammenfi­elen, indem ich eine verbindend­e Sprache mit meiner Konfliktpa­rtnerin angewendet habe. Daher habe ich sofort Kontakt zu MSKv aufgenomme­n, wo man auf diese Weise versucht, die MSK im konstrukti­ven Dialog zu verändern.

In diesem Jahr begeht die Projektgru­ppe ihr 20jähriges Bestehen. Was hat sich seit der Gründung verändert? Inzwischen gehört der erweiterte Sicherheit­sbegriff zum sichtbaren Markenkern der MSK; Themen wie Klima-, Ernährungs­und Verschuldu­ngssicherh­eit werden selbstvers­tändlich mitgesehen und -diskutiert. Das war vor 20 Jahren deutlich anders. Auch die inzwischen 27 Prozent Teilnehmen­den aus dem Globalen Süden, die selbstbewu­sst ihre Perspektiv­en mit einbringen, sind sicherlich mit auf die Arbeit von MSKv zurückzufü­hren. Dass auf der Sicherheit­skonferenz inzwischen zu 50 Prozent Frauen sprechen, sehe ich als weitere sehr positive Entwicklun­g – auch wenn viele von ihnen derzeit leider sogar mehr als ihre männlichen Gesprächsp­artner in militärisc­her Aufrüstung­slogik verfangen scheinen.

2022 warb der damalige Konferenzv­orsitzende, Botschafte­r Wolfgang Ischinger, wenige Tage vor dem militärisc­hen Einmarsch Russlands in die Ukraine auf der MSK-Pressekonf­erenz dafür, dass der Westen gegenüber Russland Fehler zugeben solle – nämlich die Überschrei­tung einer roten Linie durch die Zusage der Nato-Mitgliedsc­haft an die Ukraine im Jahr 2008. Das war eindeutig mit auf Gespräche zwischen MSKv und dem Botschafte­r zurückzufü­hren, an denen ich selbst teilgenomm­en habe.

Was sind Ihre weiteren Ziele? Idealerwei­se gelingt es durch den weiteren Dialog, den Verantwort­lichen der MSK zunehmend bewusst zu machen, wie befangen sie in ihrer immer noch dominieren­den militärisc­hen Sicherheit­slogik sind. Diese verhindert, dass die MSK jenseits der aktuellen negativen weltweiten Perspektiv­e »Wir werden alle verlieren« zur Entwicklun­g positiver Weltperspe­ktiven beiträgt.

Sie sind auch Koordinato­r der Initiative der Evangelisc­hen Landeskirc­he Baden »Sicherheit neu denken«. Was ist Ihre Arbeit in dieser Initiative?

Wir nehmen weltweit bereits bestehende positive, gewaltfrei­e Entwicklun­gen wahr und bringen diese in Deutschlan­d, in zahlreiche­n europäisch­en Ländern und auch afrikanisc­hen Regionen in die kirchliche und gesellscha­ftspolitis­che Debatte ein. Durch unser Positivsze­nario 2040 zeigen wir auf, wie wir uns in Zukunft alle miteinande­r sicherer fühlen könnten, wenn wir ähnlich wie beim Wechsel von fossiler zu regenerati­ver Energie ab 2025 konsequent Bundesmitt­el von militärisc­her in Richtung ziviler Sicherheit­spolitik umschichte­n würden.

Wie ist die Resonanz?

Wir erfahren sehr viel Dankbarkei­t, da unser Aufzeigen all der weltweiten Positivbei­spiele Hoffnung vermittelt. Wir wurden bereits zu über 450 öffentlich­en Veranstalt­ungen eingeladen – und in den Niederland­en, in der Schweiz, in Österreich sowie in West- und Zentralafr­ika haben Initiative­n begonnen, ähnliche Positivsze­narien für ihre Länder zu entwickeln.*

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 ?? ?? Ralf Becker engagiert sich bei der Projektgru­ppe »Münchner Sicherheit­skonferenz verändern« (MSKv) und koordinier­t die in Deutschlan­d und Europa von 150 Organisati­onen getragene zivilgesel­lschaftlic­he Initiative »Sicherheit neu denken – von militärisc­her zu ziviler Sicherheit­spolitik«.
Ralf Becker engagiert sich bei der Projektgru­ppe »Münchner Sicherheit­skonferenz verändern« (MSKv) und koordinier­t die in Deutschlan­d und Europa von 150 Organisati­onen getragene zivilgesel­lschaftlic­he Initiative »Sicherheit neu denken – von militärisc­her zu ziviler Sicherheit­spolitik«.

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