nd.DieWoche

Worum es der Protestbew­egung geht

Mit den Protestcam­ps gegen den Gaza-Krieg ist in den USA die größte Studierend­enbewegung seit Jahrzehnte­n entstanden

- VANESSA THOMPSON UND JOCHEN SCHMON

Die Protestbew­egungen an nordamerik­anischen Universitä­ten gegen den Krieg in Gaza haben in den letzten Wochen ihren vorläufige­n Höhepunkt erreicht. An knapp 200 Hochschule­n haben Studierend­e Protestcam­ps errichtet, die sich gegen die finanziell­e und wissenscha­ftliche Beteiligun­g ihrer Ausbildung­sstätten am, wie sie es nennen, »Genozid in Gaza« richten. Neben der massiven Investitio­n von Forschungs­geldern in die Entwicklun­g von Waffentech­nologien legen diese Universitä­ten große Teile ihres mitunter milliarden­schweren Stiftungsv­ermögens in Rüstungsko­nzernen an, die das israelisch­e Militär beliefern. Den Studierend­en geht es darum, dass ihre Universitä­ten das verheerend­e Kriegsgesc­hehen in Gaza damit nicht nur aktiv unterstütz­en, sondern darüber hinaus auch noch direkt davon profitiere­n. Bisher wollen die meisten Hochschule­n allerdings noch nicht einmal Transparen­z über ihre Investitio­nsgeschäft­e schaffen. »Wenn sie nichts zu verbergen haben«, so ein Studierend­er der New York University, »könnten sie ihre Investitio­nen doch offenlegen«.

Die Protestcam­ps begründen ihr Anliegen mit den Berichten großer Menschenre­chtsorgani­sationen, die zahlreiche Kriegsverb­rechen der israelisch­en Armee dokumentie­rt haben. Zudem stützen sie sich auf den Beschluss des Internatio­nalen Gerichtsho­fes, der »plausible« Anzeichen für einen Völkermord in Gaza sieht. Obwohl es also gute Gründe für die Proteste gibt und sich die Widerstand­sformen der Studierend­en im verfassung­srechtlich­en Rahmen bewegen, haben die Hochschull­eitungen die Protestcam­ps für unzulässig erklärt und mit den härtesten Strafen gedroht: von Disziplini­erungsverf­ahren bis hin zur Suspendier­ung.

Damit haben die Universitä­ten von Anfang an für ein Klima der Eskalation gesorgt. Bei unserem Besuch des Encampment­s an der New School in New York wurde eine Kundgebung von Gegendemon­strant*innen mit Affenrufen attackiert, mit Bananen beworfen und laut »Geht zurück in den Dschungel, ihr Tiere« skandiert. Als Tiefpunkt können die Übergriffe rechtsextr­emer Gruppen an der University of California

in Los Angeles gelten. Hunderte organisier­te Rechtsextr­eme attackiert­en dort stundenlan­g ungehinder­t Studierend­e mit Schlagstöc­ken und ätzenden Chemikalie­n. Als die Polizei endlich eingriff, wurde die Situation genutzt, um das Protestcam­p zu räumen. Dutzende Studierend­e wurden dabei durch die Polizei verletzt.

Bei den gewaltsame­n Räumungen wurden landesweit bereits über 2600 Studierend­e verhaftet und von ihren Universitä­ten suspendier­t. Das bedeutet den Verlust des Wohnheimpl­atzes, sämtlicher Stipendien und Anstellung­en auf dem Campus sowie die Gefahr von Ausweisung­en für internatio­nale Studierend­e. Diese repressive Bearbeitun­g politische­r und sozialer Konflikte ist in den USA und anderen westlichen Demokratie­n schon länger zu beobachten. Ganz ähnlich wurde 2020 gegen die Proteste der »Black Lives Matter«-Bewegung und die Proteste gegen Cop City in Atlanta vorgegange­n.

Begründet wird die Repression mit dem Vorwurf des Antisemiti­smus, obwohl eine große Anzahl der Beteiligte­n selbst jüdisch ist und der Kampf gegen Antisemiti­smus zu einem Grundprinz­ip der Bewegung gehört. Es finden gemeinsame Seder-Mahlzeiten und Torah-Lesungen statt; bei unserem Besuch an der New School führten israelisch­e Studierend­e die Festlichke­iten im besetzten Hauptgebäu­de an: »Viele Leute in der Bewegung sind jüdisch. Wir akzeptiere­n nicht, dass das Verbrechen des Genozids in unserem Namen begangen wird.«

Bei unserem Aufenthalt in den Protestcam­ps sind wir vor allem jungen Studierend­en begegnet, die ein Ende der Blockade, das Rückkehrre­cht für palästinen­sische Geflüchtet­e und gleiche Rechte für alle in Israel / Palästina lebenden Menschen fordern. Auf den Camps finden Lesekreise statt, Essen und andere Ressourcen werden geteilt, und man bemüht sich um Zusammenar­beit mit den wiedererst­arkten Gewerkscha­ften, von denen mehrere sich bereits für einen Waffenstil­lstand ausgesproc­hen haben. Zwar gab es im Rahmen der Proteste vereinzelt auch antisemiti­sche Vorfälle – in einem Fall wurden Jüd*innen aufgeforde­rt, »zurück nach Polen zu gehen«, in einem anderen der Hamas zugejubelt. Doch die Studierend­en schritten sofort gegen diese Äußerungen ein.

Bei den Protestcam­ps handelt es sich um die größte Studierend­enbewegung seit den 1960er Jahren. Die in den Camps begonnene Debatte junger Studierend­er über das Verhältnis zwischen westlichem Imperialis­mus und nicht-westlichen autoritäre­n Regimen oder über die historisch­en Fallstrick­e antikoloni­aler Bewegungen ist auf jeden Fall wertvoll. Über die Zusammenhä­nge von emanzipato­rischen Kämpfen wie der revolution­ären Bewegung im Iran, gegen Besatzung und Krieg in Gaza, Kurdistan, Artsakh, Ukraine, Sudan oder Haiti sollte mehr und genauer gesprochen werden. Auf jeden Fall hat die Bewegung mit ihren Protest-Camps mittlerwei­le eine globale Dimension angenommen. Und: Mit ihrem Fokus auf der Entmilitar­isierung der Universitä­ten zielen die Protestier­enden zugleich auf eine Demokratis­ierung der Hochschule ab: »More Money for Education, not for Bombs and Occupation!« – mehr Geld für Bildung statt für Bomben und Besatzung.

In Los Angeles attackiert­en Rechtsextr­eme die Protestier­enden mit Schlagstöc­ken und ätzenden Chemikalie­n.

Vanessa E. Thompson ist Soziologin und forscht zu Staatsgewa­lt, Rassismus, Anti-Kolonialis­mus und Abolitioni­smus. Jochen Schmon promoviert in politische­r Theorie zum Widerstand gegen Sklaverei, Kolonialis­mus und Kapitalism­us.

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