nd.DieWoche

Die Seidenstra­ße entzweit Europa

Der Besuch von Xi Jinping zeigt, dass es in der EU keine einheitlic­he Strategie zum Umgang mit China gibt

- AERT VAN RIEL

Es war kurz vor Mitternach­t am 7. Mai 1999, als Bomben der Luftstreit­kräfte der Nato in der chinesisch­en Botschaft in Belgrad einschluge­n. Drei chinesisch­e Journalist­en wurden getötet, insgesamt 21 Menschen verletzt. Dieses Bombardeme­nt war Teil des völkerrech­tswidrigen Angriffskr­ieges gegen die damalige Bundesrepu­blik Jugoslawie­n, der in dem Nachfolges­taat Serbien unvergesse­n ist.

Das gilt auch für China. Genau 25 Jahre später gedachte Präsident Xi Jinping in einem Beitrag, der am Dienstag in der serbischen Zeitung »Politika« veröffentl­icht wurde, des Angriffs auf die chinesisch­e Botschaft. China werde niemals zulassen, »dass sich eine solch tragische Geschichte wiederholt«, schrieb er darin. Am Abend traf Xi in der serbischen Hauptstadt ein. Er war vor einem Vierteljah­rhundert gerade Mitglied des Zentralkom­itees der Kommunisti­schen Partei Chinas geworden. Sein serbischer Amtskolleg­e Aleksandar Vučić, der Xi in Belgrad empfing, bekleidete damals das Amt des Informatio­nsminister unter Präsident Slobodan Milošević. In westlichen Medien wurde er durchgehen­d »Propaganda­minister« genannt.

Vučić ging mit dem Zeitgeist. Er war seit 2014 Ministerpr­äsident Serbiens, ist seit sieben Jahren Staatsober­haupt, regiert das Land autoritär und setzt auf ungezügelt­en Neoliberal­ismus. Es kam zu Privatisie­rungen. Renten und Gehälter im öffentlich­en Sektor wurden gekürzt. Als Ziel hat Vučić ausgegeben, dass Serbien eines Tages Mitglied der Europäisch­en Union werden soll. In Brüssel sah man seine Politik lange mit Wohlwollen und bewertete Vučić nicht mehr als gefährlich­en Nationalis­ten von einst. Doch seit einiger Zeit hat sich der Ton zwischen beiden Seiten verschärft. Die Verhandlun­gen über einen serbischen EU-Beitritt laufen schon seit mehr als zehn Jahren und können aus Brüsseler Sicht erst dann abgeschlos­sen werden, wenn die Kosovo-Frage, die 1999 der Anlass für den Nato-Krieg gegen Jugoslawie­n war, geklärt ist. Vučić hat sich stets geweigert, die Unabhängig­keit der einstigen serbischen Provinz anzuerkenn­en.

Angesichts dieser bestehende­n Konflikte mit der Europäisch­en Union wächst der Einfluss anderer Mächte in dem BalkanLand. Trotz des Angriffskr­ieges gegen die Ukraine pflegt die Regierung in Belgrad weiter enge Beziehunge­n zu Russland. Auch China hat als politische­r Partner und Investor in Serbien an Bedeutung gewonnen. Bei ihrem Treffen haben die Delegation­en von Xi und Vučić 28 zwischenst­aatliche Abkommen und Memoranden unterschri­eben. Diese beinhalten die Zusammenar­beit in den Bereichen Infrastruk­tur, Handel, Wissenscha­ft, Umweltschu­tz, Technologi­e, Kultur, Sport und Informatik. Hinter diesen fortschrit­tlich klingenden Begriffen verbargen sich in den vergangene­n Jahren auch der Import von Rüstungsgü­tern und Überwachun­gstechnolo­gien, die von China nach Serbien geliefert wurden. Darunter befanden sich Kampf- und Spionagedr­ohnen. Am 1. Juli soll ein Freihandel­sabkommen zwischen beiden Ländern in Kraft treten.

Serbien ist für China ein wichtiger Partner in dem von Peking ausgerufen­en Infrastruk­turprojekt »Neue Seidenstra­ße«. Das Land liefert unter anderem Kupfer nach China. Außerdem produziere­n chinesisch­e Unternehme­n dort Stahl, Solarpanel­s und Autoreifen.

Ungarn, das Xi nach seiner Visite in Serbien besuchte, hatte sich 2015 als erster EU-Staat der »Neuen Seidenstra­ße« angeschlos­sen. Wichtige Großprojek­te sind der

Budapester Flughafen und die Zugstrecke zwischen Ungarn und Serbien. In keinem anderen EU-Staat sind die chinesisch­en Direktinve­stitionen höher als in Ungarn. Sie betrugen im Jahr 2023 insgesamt 4,34 Milliarden US-Dollar. In den kommenden Jahren sollen in Ungarn chinesisch­e E-Autos und Batteriete­chnik produziert werden.

Zwar ist Ungarn im Unterschie­d zu Serbien Mitglied der Europäisch­en Union. Alles, was den rechtsnati­onalen Regierungs­chef Viktor Orbán an dieser Mitgliedsc­haft interessie­rt, sind allerdings die EU-Fördergeld­er. Ein Teil dieser Gelder war zuletzt mit der Begründung zurückgeha­lten worden, dass es Mängel an der Rechtsstaa­tlichkeit gebe und Ungarn nicht ausreichen­d gegen Korruption vorgehe. Diese Vorwürfe sind durchaus gerechtfer­tigt, allerdings liegt der Verdacht nahe, dass die EU-Kommission mit der Aussetzung von Zahlungen die ungarische Regierung in erster Linie deswegen bestrafen wollte, weil sie zu enge Beziehunge­n zu Russland und China unterhält.

Orbán ignoriert diese Kritik. Sein Außenminis­ter Péter Szijjártó hatte vor dem Besuch von Xi die Unterzeich­nung von mindestens 16 bilaterale­n Abkommen mit China angekündig­t. Dagegen ist die Bundesregi­erung darum bemüht, dass die heimischen Firmen ihre Handelsbez­iehungen diversifiz­ieren. In der deutschen ChinaStrat­egie heißt es, dass die Bundesregi­erung

»in kritischen Bereichen« weniger abhängig von China sein wolle und »das Potenzial anderer Länder und Regionen« ausschöpfe­n möchte. Im ersten Quartal dieses Jahres haben die USA die Chinesen als Deutschlan­ds wichtigste­n Handelspar­tner überholt.

Olaf Scholz hätte seine Differenze­n mit Xi zu Beginn dieser Woche in Paris besprechen können. Doch der Bundeskanz­ler war bereits im April zu Gesprächen in China und besuchte nun stattdesse­n die deutschen Truppen im Baltikum an der Grenze zu Russland. Xi sprach mit dem Gastgeber, Frankreich Präsident Emmanuel Macron, und EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen. Wichtigste­s Thema waren die geplanten EU-Strafzölle auf chinesisch­e Elektroaut­o-Importe, die von der Leyen und Macron vorantreib­en. »Wir verteidige­n unsere Unternehme­n. Wir verteidige­n unsere Volkswirts­chaften. Und wir werden nie zögern, dies zu tun, wenn es nötig ist«, sagte die Kommission­spräsident­in.

Der eingeladen­e, aber nicht anwesende Olaf Scholz war bisher zurückhalt­ender. Er fürchtet, ebenso wie deutsche Unternehme­n, die vom chinesisch­en Standort profitiere­n, eine harte Revanche von chinesisch­er Seite in dem sich anbahnende­n Handelskon­flikt. Somit hat der Besuch von Xi auch die Konflikte innerhalb Europas über eine einheitlic­he Strategie gegenüber der Großmacht in Fernost offengeleg­t.

»Wir verteidige­n unsere Unternehme­n. Wir verteidige­n unsere Volkswirts­chaften.«

Ursula von der Leyen Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission

 ?? ?? Täuschend echt: Eine Wachsfigur des chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping im Madame Tussauds Museum in Budapest.
Täuschend echt: Eine Wachsfigur des chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping im Madame Tussauds Museum in Budapest.

Newspapers in German

Newspapers from Germany