nd.DieWoche

Die fünf Freunde und die Fabrik der Verbrechen

Über die Maschineri­e aus Korruption und Bürokratie zur Kriminalis­ierung von Protest gegen Infrastruk­turprojekt­e im Süden Mexikos

- TEXT UND FOTOS: ANNE HAAS

Es ist Sonntagmit­tag. Der Gottesdien­st ist gerade zu Ende und Manuel Sántiz sitzt zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern unter dem Vordach der Kirche. Zwischen den umliegende­n Gebäuden befindet sich eine kleine Wiesenland­schaft mit Wegen, im Schatten der Bäume und unter Sonnensege­ln aus Decken sitzen zahlreiche Familien. Sie frühstücke­n gemeinsam, spielen Karten oder schauen ernst schweigend dem Treiben zu. Viele Männer sind auf den schmalen Wegen zwischen den Gebäuden unterwegs, die meisten indigener Herkunft, einfache Leute, mit von körperlich­er Arbeit geprägten Schultern. Ein paar wenige sind bis ins Gesicht hinein tätowiert. Zahlreiche Männer betreiben Handarbeit, sie knüpfen und weben. An den Zäunen hängen ihre bunten Hängematte­n, gehäkelte Taschen und Tierfigure­n zum Verkauf. Die Sonne knallt erbarmungs­los an diesem Sonntag auf das friedlich erscheinen­de Treiben der Männersekt­ion des CERSS 5, der Gefangenen­anstalt von San Cristóbal de Las Casas im Süden Mexikos. Es ist offener Besuchstag.

Sántiz, der hier seit Mai 2022 zusammen mit vier Freunden aus der Kleinstadt San Juan Cancuc einsitzt, ist nur einer von vielen, unschuldig­en und politische­n Gefangenen des zutiefst korrupten Justizsyst­ems von Mexiko. Den fünf wird der Mord an einem Polizisten vorgeworfe­n, sie wurden für 25 Jahre verurteilt. Aufgrund der gravierend­en Widersprüc­he durchlief der Fall gerade die Revision. Er ist exemplaris­ch für die Repression gegen politische Aktivist*innen, Korruption und Rassismus im mexikanisc­hen Justizappa­rat, aber auch für die große Bedeutung nationaler wie internatio­naler Solidaritä­t.

Fabrikatio­n von Verbrechen

Alles fing an mit einer nächtliche­n Ruhestörun­g der anderen Art. Sántiz und seine Freunde hörten spät abends verzweifel­te Schreie in ihrem Stadtteil. Gemeinsam näherten sie sich. Ein örtlicher Polizist war, schwer betrunken, gestürzt und hatte sich verletzt. Die fünf zogen ihn gemeinsam mit anderen Nachbarn aus dem Gestrüpp und übergaben ihn seinen Kollegen. Was dann passierte, ist unklar, sicher ist, dass der Mann später von seiner Ehefrau als tot gemeldet wurde. Davon wussten Sántiz sowie Agustín Pérez und Juan V. Aguilar jedoch nichts, als sie noch in derselben Nacht festgenomm­en wurden. Der Verkauf von Drogen im nahegelege­nen San Cristóbal wurde ihnen vorgeworfe­n. Doch das musste ein Missverstä­ndnis sein, erklärt Pérez. »Vertrauens­voll gingen wir mit, weil wir wussten, dass wir nichts getan hatten.«

In Mexiko gibt es ein sich wiederhole­ndes Muster, wie von den Staatsanwa­ltschaften Verbrechen fingiert werden, um Menschen hinter Gitter zu bringen. Das Menschenre­chtszentru­m Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) dokumentie­rt und begleitet diesen und ähnliche Fälle seit Jahren. Dora Roblero, die Direktorin des Zentrums, erklärt, dass es sich um ein institutio­nalisierte­s System der Fabrikatio­n von Verbrechen und Schuldigen handele. In den meisten Fällen würden Unschuldig­e wegen vermeintli­chen Drogenbesi­tzes in flagranti festgenomm­en. Die Zeit der Präventivh­aft würde genutzt, um »eine komplette Ermittlung­sakte mit fabriziert­en Verbrechen und oftmals erfolterte­n Beweisen« zu erstellen. Daraufhin werden die Betroffene­n dann erneut festgenomm­en, diesmal für einen wesentlich schwereren Delikt.

Dies ist auch bei den Genossen aus Cancuc der Fall. Zwei Tage nach der Festnahme sollen die drei entlassen werden, nur um direkt erneut verhaftet zu werden. Unwissend dessen was in der Gefängnisv­erwaltung gerade passiert, warteten an jenem Tag zwei Freunde von ihnen als Zeugen sowie deren Anwälte vom Menschenre­chtszentru­m am Eingang. »Augustín P. Velasco ist mein Neffe, Martín P. Domínguez mein Kumpel«, stellt Pérez die beiden vor. »Sie kamen, um zu bezeugen, dass wir zum Zeitpunkt des angebliche­n Drogendeal­s in San Cristóbal in Wirklichke­it gerade den Polizisten in Cancuc aus dem Gebüsch zogen.«

Der Präsident des Landkreise­s Cancuc hatte Manuel Sántiz mehrmals gedroht, ihn ins Gefängnis zu bringen.

Sie würden jedoch auch die illegalen Geschäfte der Organisier­ten Kriminalit­ät befeuern, wie an anderen Orten sichtbar ist. Das reicht vom unzulässig­en Holzschlag, bis hin zum blutigen Handel mit Drogen und Menschen. Der Staat sowie Unternehme­n als auch kriminelle Strukturen haben ein Interesse an verbessert­en Transitrou­ten. Nicht zuletzt deshalb finden im Bundesstaa­t die blutigsten Auseinande­rsetzungen der Kartelle untereinan­der und mit dem Militär an wichtigen Kontenpunk­ten in der Grenzregio­n zu Guatemala oder nahe der Landeshaup­tstadt Tuxtla Gutiérrez statt. »Wir beobachten in Chiapas ein problemati­sches

Interessen-Dreieck zwischen der Regierung, der Wirtschaft und der Organisier­ten Kriminalit­ät«, so Roblero.

Sántiz, der seine politische Bildung in den Reihen der EZLN, der zapatistis­chen Bewegung, erfuhr, hatte diese Zusammenhä­nge mehrmals öffentlich deutlich gemacht. Besonders der Präsident des Landkreise­s Cancuc, Verfechter der Autobahn, hatte deshalb mehrmals gedroht, ihn ins Gefängnis zu bringen.

Vor zehn Jahren verließ Sántiz die zapatistis­che Organisati­on, »doch mein Herz kämpft weiter«. Viele seien in den letzten Jahren mit der Regierung gegangen, doch er könnte niemals Geld vom Staat annehmen. »Man muss sich zuhören. Und organisier­en. Sonst wird das nichts.« Seine Frau lauscht gedankenab­wesend den spanischen Worten ihres Mannes, die sie nicht versteht. Sie wippt ein Kleinkind auf ihren Beinen, drei Monate war es alt, als ihr Mann festgenomm­en wurde. »Die ganze Welt ist ja zurzeit betrunken.« Er setzt große Hoffnungen in die Neuauflage des Prozesses. Obwohl er das »starke« Mitglied der fünf Freunde ist, weiß auch er manchmal nicht weiter. Dann wendet er sich an Gott. Es ist schwer für ihn, dass es neben ihm selbst auch seine Freunde getroffen hat.

Knastallta­g und Solidaritä­t

Vor dem Gefängnis trifft sich eine kleine Gruppe von Aktivist*innen des Kollektivs »No estamos todxs« (spanisch: Wir sind nicht alle) für einen Solidaritä­tsbesuch bei den Fünf aus Cancuc. Seit 2010 begleitet die anarchisti­sch angehaucht­e Gruppe Betroffene der willkürlic­hen Staatsgewa­lt im Bundesstaa­t Chiapas. No estamos todxs besteht aus einigen lokalen Menschenre­chtsvertei­diger*innen und wird regelmäßig von internatio­nalen Aktivist*innen gestärkt, die für ein paar Monate in San Cristóbal stranden. Viele kommen mit dem Ziel in die Stadt, um etwas über den berühmten zapatistis­chen Aufstand von 1994 zu lernen oder an der Menschenre­chtsbeobac­htung in bedrohten Gemeinden teilzunehm­en, und stellen dann fest, dass es noch viele andere, manchmal wenig abenteuerl­ichere und dennoch wichtige Kämpfe gibt. Juanpi wiederum, ursprüngli­ch aus Mexiko Stadt, ist seit gut zehn Jahren dabei.

Bevor es hineingeht, füllen sie Kaffee und Zucker zu gleichen Teilen in verschiede­ne Tüten: wertvolle Geschenke an die Freunde im Knast. »Die Schmerztab­letten werden sie dir am Eingang abnehmen«, erklärt Juanpi einer jungen Ärztin aus dem Baskenland. »Und frag mal, ob du hier in dem Laden eine hellere Hose mieten kannst«, richtet er sich an den Genossen aus Griechenla­nd. Schwarze Kleidung oder alles, was einer Uniform ähnelt, ist im Gefängnis nicht erlaubt. Juanpi, 40 Jahre alt, ist das geduldigst­e Mitglied der Gruppe und wird nicht müde, Monat für Monat den oftmals jungen Leuten die Grundlagen der Solidaritä­tsarbeit zu erklären. So auch an diesem Sonntag. »Die neuen Generation­en politische­r Aktivist*innen verschwind­en, suchen sich andere Themen, wenn wir sie nicht ernst nehmen und unsere Kämpfe erklären.« Er, Juanpi, teilt nicht alle der neu aufkommend­en linken Debatten in der Szene, doch die Ignoranz vieler »Alten« könnten sie sich in Chiapas nicht leisten.

Mindestens alle 14 Tage schauen sie bei den fünf Gefangenen aus Cancuc vorbei, so oft wie möglich fahren sie auch Gefangene in den entlegener­en Gefängniss­en besuchen. Sie bringen Lebensmitt­el und Produkte mit, die im Knast nur teuer zu bekommen sind, doch vor allem geht es um gelebte Solidaritä­t gegenüber den Eingesperr­ten: Nicht vergessen zu werden, gehört zu werden und um auch mal andere Geschichte­n zu hören. Im giftgrün gestrichen­en Speisesaal, der dekoriert ist mit Bildern des letzten Abendmahls, Winnie Puh und Zitaten von Nelson Mandela, spielt ein italienisc­her junger Aktivist eine Partie Schach mit Velasco. Das geht auch ohne eine gemeinsame Sprache. Währenddes­sen schaut sich die Ärztin nebenbei die Nabelherni­e von Aguilar an. Er ist besorgt deswegen, versteht nicht, was er hat. Pérez übersetzt. In der Gesundheit­ssprechstu­nde, die einmal die Woche stattfinde­t, hatte man ihm Antibiotik­a gegen die Schmerzen verschrieb­en. Die Baskin schüttelt ungläubig den Kopf.

Sprache ist ein essenziell­es Thema. Die Verteidigu­ng der fünf Gefangenen hatte nach dem Urteil von 2023 erfolgreic­h Revision eingelegt, da nachgewies­en werden konnte, dass die korrekte Übersetzun­g im Prozess nicht gewährleis­tet war. »Wir vergessen dabei immer, dass das ja auch außerhalb des Prozesses im Gefängnisa­lltag gilt«, kritisiert Juanpi. Ärzt*innen, Aufsichtsp­ersonal, Sachbearbe­iter*innen sprechen in der Regel keine der indigenen Sprachen, und im Kontext von Hierarchie und Gewalt ist es für die Gefangenen doppelt schwer, sich Gehör zu verschaffe­n.

Darüber hinaus sind die Bedingunge­n in mexikanisc­hen Gefängniss­en brutal und teuer. Dass die Ernährung eine komplett andere ist als die der ländlichen Bevölkerun­g, und viele daher unter Kolitis leiden, ist Juanpi zufolge nur eines der Probleme. Andere Lebensmitt­el sowie sämtliche Hygieneart­ikel werden nicht vom Staat gestellt und hinter Gittern teuer gehandelt. »Letztlich ist es ein Spiegel des Systems von draußen«, so der Aktivist. In den überbelegt­en Gefängniss­en herrsche ein System korrupter Knasthiera­rchie, an deren unterstem Ende sich stets die Neuankömml­inge befinden. »Für alles muss man zahlen: Für die Matratze, das Recht zu kochen oder um nicht regelmäßig vermöbelt zu werden.« Knapp 20 000 Pesos muss ein*e Gefangene*r beim Betreten der Anstalt an die Anführer und für ein Bett hinblätter­n. Bei einem durchschni­ttlichen Einkommen auf dem Land von 3000 Pesos monatlich, liegt das Dilemma zwischen Schulden für die Familie draußen oder Schlägen drinnen. Die Gefängnisl­eitung ist im Bilde, profitiere laut Juanpi selbst von dem System.

Schwere liegt über dem Abschied der Aktivist*innen an jenem Nachmittag. Dominguez bekommt feuchte Augen, Sonntage sind besonders anstrengen­d für ihn. Während die meisten Besuch von ihren Familien bekommen, bleibt er alleine. Seine Frau hat ihn verlassen, seine Kinder leben nun getrennt voneinande­r bei verschiede­nen Verwandten.

Bürokratie als Waffe

Die Neuverhand­lung mit einer neuen, jungen Richterin finden seit Anfang April dieses Jahres statt. Die Staatsanwa­ltschaft versucht den Prozess herauszuzö­gern. Die Sitzungen werden immer wieder vertagt, mal fehlt der Übersetzer, mal der Staatsanwa­lt selbst. Doch inhaltlich läuft es gut. Keine*r der geladenen Zeug*innen belastet die Fünf aus Cancuc direkt. Die Polizisten widersprec­hen sich, können sich nicht einigen, ob das Seil, mit dem der Verstorben­e gefesselt gewesen sei nun gelb oder blau war. Die Anwälte, und auch die Mitglieder von No estamos todxs und Frayba, die im Publikum sitzen, schöpfen mit jedem Verhandlun­gstag mehr Hoffnung. Doch es kommt anders. Das Urteil vom Vorjahr wird bestätigt, 25 Jahre für alle fünf.

»Es ist klar, dass sie sie freilassen müssen. Wenn nicht in dieser Revision, dann in der nächsten. Die Aussagen sind eindeutig«, insistiert Roblero. Nun stünde endlich der Weg über höhere Gerichte offen. Doch der lange Weg durch die bürokratis­chen Labyrinthe des Justizsyst­ems sei ein weiteres Mittel der Repression, so Robero weiter: »Statt die Fehler und Machenscha­ften der Staatsanwa­ltschaft anzuerkenn­en, sollen die Betroffene­n ausgelaugt werden.« Daher sei es, so Juanpi, nun mehr denn je wichtig, die Gefangenen nicht alleine zu lassen. Dutzende Gruppen aus verschiede­nen Ecken der Welt hatten in den letzten Wochen Solidaritä­tsvideos gesandt. Pérez betont, dass sie darüber unendlich dankbar sind. »Sie erinnern die Regierung, aber auch uns und vor allem unsere Familien und Kinder daran, dass wir nicht alleine sind. Und dass wir im Recht sind.«

So geht der Kampf um Gerechtigk­eit nun in die nächste Runde. Juanpi zeigt sich unermüdlic­h: »Bisher haben wir sie alle freibekomm­en.«

sein: »Liegen diese Kriterien nicht (mehr) vor, kann eine Aufnahme dieser Personen nicht (mehr) erfolgen.«

Naseri versteht nicht, was sich an ihrem Leben zum Guten geändert haben soll, um diese Begründung zu rechtferti­gen. Naseri hatte geheiratet – aus dieser Ehe stammt auch das Kind, das nun in Pakistan geboren wurde. Schweren Herzens hatte sich das Ehepaar entschiede­n, dass sie alleine vorausgehe­n werde: »Es war ein Wirbelwind aus Gefühlen, als ich erfuhr, dass ich nach Deutschlan­d gehen könnte.« Sie habe gewusst, dass sie zunächst von ihrem Ehemann getrennt leben würde, da die Aufnahmezu­sage explizit nur für sie galt. Zu diesem Schritt hätten sie sich jedoch gemeinsam entschiede­n: »Er hat mich dabei unterstütz­t. Die Schritte zur Ausreise haben wir gemeinsam unternomme­n, auch wenn es wirklich nicht einfach war, meinen Ehemann unter dem Talibanreg­ime zurückzula­ssen.« Sie habe sich an die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft geklammert, dass sie eines Tages in einem stabileren und sichereren Umfeld würden zusammenle­ben dürfen.

Naseri blickt auf ihr Leben in Afghanista­n zurück: Schon vor den Taliban, sagt sie, hatten Frauen dort kein Leben: »Vielleicht hat deine Familie dich unterstütz­t, dass du eine gute Bildung bekommen hast, aber die Gesellscha­ft und Regierung haben Frauen nie wirklich gefördert.« Sie sei in Herat aufgewachs­en, wo sie ihren Schulabsch­luss gemacht habe, später einen Bachelor. »Ich hatte viele Träume, unter anderem meinen Masterabsc­hluss zu machen und eine Stiftung aufzubauen, die Frauen unterstütz­t. Doch die Rückkehr der Taliban hat alle meine Träume zerschlage­n«, führt sie aus. Trotz aller Herausford­erungen habe sie immer auch Hobbys gehabt: Fahrradfah­ren, Bücher, anderen etwas beibringen und mit Kindern spielen.

»Ich hatte ein normales Leben, arbeitete zwar in einer männerdomi­nierten Umgebung, aber ich habe mein Glück darin gefunden, Mädchen das Fahrradfah­ren beizubring­en, Straßenkin­dern zu helfen und für eine gute Organisati­on zu arbeiten«, sagt sie. Doch ihr Leben wurde zu einem Albtraum, als die Taliban kamen. »Nicht nur die Pläne für mich, sondern auch die der Teenagerin­nen, die ich unterstütz­t habe, lösten sich in Luft auf.« Auf einmal musste sie zu

Hause bleiben, ihr Leben bestand aus Kochen und Putzen. »Ich fühlte mich verloren, wusste nicht, wie ich die Scherben meiner selbst aufsammeln sollte«, erinnert sie sich und betont: »Nichts ist schlimmer, als sich hoffnungsl­os und unerwünsch­t zu fühlen, nur weil man eine Frau ist. Besonders wenn man nie die Wahl hatte, in diesem Land geboren zu werden oder eine Frau zu sein.«

Erst vor Kurzem haben die Taliban angekündig­t, Frauen wieder öffentlich zu steinigen – etwa für das Vergehen des Ehebruchs, das in einem Land, in dem unabhängig­e Gerichte und die Struktur der Staatsanwa­ltschaft komplett abgeschaff­t wurden, sehr frei ausgelegt werden kann.

Nadia Naseris Schwester Foawziah lebte schon vor der Machtübern­ahme der Taliban in Berlin. Sie ist mit einem Stipendium dorthin gekommen, um zu promoviere­n. Als sich die Lage in ihrem Heimatland ändert, versucht sie alles, um ihrer Familie zu helfen. »Es ist schmerzhaf­t zu sehen, dass afghanisch­e Leben so wenig wert zu sein scheinen. Sonst wäre meine Schwester, die alle Bedingunge­n erfüllt, doch längst hier in Sicherheit.« Sie habe die Verspreche­n der deutschen Regierung nach der Machtübern­ahme der Taliban verfolgt. Da habe es immer wieder geheißen, Deutschlan­d werde besonders gefährdete­n Menschen helfen und wichtige Unterstütz­ung leisten. »Ich weiß nicht, ob wir einfach vergessen wurden oder ob alle denken, wir Afghan*innen können uns selbst verteidige­n«, schließt sie bitter.

Die einzige Hoffnung, die sie noch habe, liege derzeit darin, Verpflicht­ungsgeber für ihre Schwester zu finden. Denn das Land Berlin bietet als einziges Bundesland in Deutschlan­d ein noch laufendes Landesaufn­ahmeprogra­mm für Afghan*innen an, allerdings müsste hier der Lebensunte­rhalt von Unterstütz­er*innen in Deutschlan­d gesichert werden. Familie Naseri selbst kann das nicht leisten.

Um das Unglück komplett zu machen, sind die Eltern, die eigentlich das verbriefte Recht haben, sich in Deutschlan­d aufzuhalte­n, bei einem Besuch bei einer weiteren Tochter im Iran dort stecken geblieben. Der Familienva­ter hatte einen Herzinfark­t, die Ärzte haben ihn für nicht reisefähig erklärt.

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Das Gefängnis CERSS 5 liegt in einem Vorort von San Cristóbal de las Casas, Chiapas.
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