Unter Vorbehalt
Die Afghanin Foawziah Naseri will ihre Schwester nach Deutschland nachholen. Die Aussicht auf ein humanitäres Visum war gut. Doch dann kam alles anders
Ich brauche dringend Hilfe, ich kann das nicht allein schaffen«, schreibt Nadia Naseri¹ auf Whatsapp, denn akut von Obdachlosigkeit bedroht zu sein, ist nicht ihre einzige Sorge. Momentan hangelt sie sich mit privaten Spenden, die ihre Unterkunft finanzieren, von Tag zu Tag. Vor etwa sechs Wochen hat sie ihr erstes Kind per Notkaiserschnitt zur Welt gebracht; einen gesunden Jungen. Mit der Geburt tickte schon die Zeit, denn ihr war gesagt worden, sie könne in der von Deutschland finanzierten Unterkunft nur bis zwei Wochen nach Niederkunft bleiben. Bereits das war ein Entgegenkommen aus Kulanz, hieß es.
In unterschiedlichen Gästehäusern und Hotels in Pakistan leben, von der GIZ, einer deutschen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, betreut und von Deutschland bezahlt, Afghan*innen, die Aussicht auf ein humanitäres Visum haben. Eigentlich hätte Naseri bereits im Januar ausziehen müssen, als ihre Aufnahmezusage, also das Zugangsticket zum Visumverfahren als anerkannte Gefährdete, aufgehoben wurde. Naseri ist dankbar für diese Unterstützung: »Sicher versorgt zu sein während meiner Schwangerschaft, war mein Rettungsanker in diesem Meer aus Unsicherheit.« Die Unterkunft sei simpel eingerichtet, biete aber alles, was man zum Leben brauche. Besonders möchte sie hervorheben, dass sie sich absolut sicher gefühlt habe, dafür sei sie enorm dankbar.
Denn Nadia Naseri war im siebten Monat schwanger, als sie die Nachricht erreichte, die alles veränderte: schwanger – und allein in Pakistan. Sie hatte gehofft, bald zu ihrer Schwester und ihren Eltern nach Deutschland ausreisen zu dürfen, wartete auf den Termin für das Sicherheitsinterview, das alle Afghan*innen seit Juli 2023 auf dem Weg zum humanitären Visum durchlaufen müssen.
Doch am 16. Januar erreicht sie statt eines Termins eine E-Mail, die diese Hoffnung zerschlägt: Nach erneuter Prüfung habe das Innenministerium festgestellt, dass doch keine Gründe für eine Aufnahmezusage gegeben seien, steht da zu lesen, ein Standardtext, der nicht nur sie erreicht. Der Autorin liegen mehrere solcher Mails vor, die sich nur in Namen und den Daten unterscheiden. Innerhalb weniger Tage soll Naseri die deutsche Unterkunft verlassen, Deutschland sei nun nicht mehr für sie verantwortlich. Näher erklärt wird diese Entscheidung nicht, auch nicht auf Nachfrage. Immerhin kann ihr Bitten erwirken, dass sie nicht sofort, sondern erst nach der Geburt ihres Kindes die Unterkunft verlassen muss.
Erst wenige Monate zuvor, Ende September 2023, hatte Nadia Naseris Vater die frohe Nachricht erhalten, dass auch seine Tochter in Deutschland aufgenommen werde. Eine solche Aufnahme bedeutet den Zugang zum deutschen Visumverfahren, die konkrete Aussicht auf ein humanitäres Visum. Mit der Aufnahmezusage erkennt Deutschland die besondere persönliche Gefährdungslage an. Die Einreise nach Deutschland ist derzeit für gefährdete Afghan*innen ausschließlich über Pakistan möglich, weil dort die deutsche Botschaft die Visumanträge bearbeitet und zusätzliche Sicherheitsbefragungen durchgeführt werden.
Doch eben diese Anerkennung ist nun nichtig. Ein Pressesprecher des Innenministeriums möchte trotz Vorliegen einer Vollmacht, in der die Betroffene ausdrücklich erklärt, dass die Autorin Einblick in ihre persönlichen Daten nehmen darf, nicht auf den Einzelfall eingehen; stattdessen antwortet er allgemein: »Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Aufnahmen im Rahmen der Aufnahmeverfahren aus Afghanistan stets unter dem Vorbehalt stehen, dass sich im weiteren Verfahren keine Erkenntnisse ergeben, die gegen eine Aufnahme sprechen, und das Visumverfahren erfolgreich durchlaufen wird.« Neue oder weitere Erkenntnisse könnten sich beispielsweise auch im Zuge der Vorsprache für ein Visum ergeben. In Naseris Fall hatte bisher kein Gespräch stattgefunden. »Ich war nur einmal auf der Botschaft, um meine biometrischen Daten erfassen zu lassen«, schildert sie. Eine Befragung habe nicht stattgefunden.
Weiter erklärt der Sprecher: »Eine Berücksichtigung von Nichtkernfamilienmitgliedern – unter anderem volljährige Kinder der Hauptperson – ist bei Vorliegen härtefallbegründender Umstände im Einzelfall möglich.« Maßgeblich hierfür könnten ein individuelles Abhängigkeitsverhältnis oder eine abgeleitete Gefährdung von der Hauptperson
»Es ist schmerzhaft zu sehen, dass afghanische Leben so wenig wert zu sein scheinen. Sonst wäre meine Schwester doch längst hier in Sicherheit.«
Foawziah Naseri