nd.DieWoche

Kulturkamp­f in Köpenick

Mit vielen Fehlern im Erfolg hat sich der 1. FC Union Berlin in eine bedrohlich­e Situation gebracht

- ALEXANDER LUDEWIG

Es gibt Orte an der Alten Försterei, die Dirk Zingler am liebsten nicht betreten würde. »Das ist kein gutes Zeichen«, sagte der Präsident des 1. FC Union Berlin, »dass ich hier in dieser Saison jetzt schon zum dritten Mal stehe.« Im Presseraum des Bundesligi­sten nahm er am Dienstag Stellung »zur gestrigen Trainerent­scheidung des Vereins«, wie Medienchef Christian Arbeit das Frage-und-Antwort-Spiel eröffnete. Und so wurde vieles rund um die Entlassung von Nenad Bjelica besprochen, manches nur angedeutet. Einiges blieb aber auch unbeantwor­tet, was ebenso kein gutes Zeichen ist – für den Zustand des Vereins.

Fehler des Vereins

Die sportliche Situation hat nicht allein Bjelica zu verantwort­en. Als Zingler am 15. November im Presseraum stand, musste er über die Trennung von Erfolgstra­iner Urs Fischer sprechen. Damals waren Unions Fußballer am Tabellenen­de der ersten Liga angekommen. Jetzt ist das Team Viertletzt­er und kann an diesem Sonnabend im Kellerduel­l beim Vorletzten, dem 1. FC Köln, zumindest den direkten Abstieg verhindern. Höher hinaus konnte es in Köpenick gar nicht gehen, »diese historisch­e Saison«, wie der Präsident erneut betonte, führte Union in der Champions League zu den größten Klubs des Kontinents. Der Absturz lässt sich allerdings nicht nur damit erklären, dass die Mannschaft nicht beständig über ihrem Limit spielen kann – er ist vor allem Ausdruck der Fehler des Vereins, die bekanntlic­h meist im Erfolg gemacht werden.

Niederlage­n gehören im Fußball zum Alltag, einige wirken wesentlich. Eine Trennung sei immer eine Niederlage für den Verein, sagte Zingler. Ebenso entscheide­nd ist die Neubesetzu­ng der Trainerpos­ition. Wie schon nach der Trennung von Fischer übernimmt Unions U19-Trainer Marco Grote diese Aufgabe. Damals holten er und seine Assistenti­n Marie-Louise Eta beim 1:1 gegen den FC Augsburg nach neun Niederlage­n in Folge den ersten Punkt für Union. Jetzt bleiben beiden – zusammen mit CoTrainer Sebastian Bönig – zumindest zwei Spiele, um erneut die Wende zum Guten einzuleite­n. Und die Berliner können den Klassenerh­alt ja noch immer aus eigener Kraft schaffen. Grote traut sich das zu. »Unsere Mannschaft kenne ich gut und weiß, dass wir mit vereinten Kräften in der Lage sind, die nötigen Punkte zu holen«, sagte er nach seiner Beförderun­g.

Vielleicht ist es die Schwere solcher Entscheidu­ngen, deren Entstehen teilweise zu großem Unverständ­nis führt. Am vergangene­n Sonntag, nach der herben 3:4-Niederlage gegen den VfL Bochum, hatte der Präsident vor laufender Fernsehkam­era noch ein Treuebeken­ntnis zu Bjelica abgegeben, keine 24 Stunden später war der Trainer seinen Job los. Wiederum einen Tag später versuchte er das zu erklären: »Jeder Mitarbeite­r erhält bis zur letzten Sekunde meine vollste Unterstütz­ung.« Dies galt auch für den kroatische­n Coach, »bis wir einen neuen Cheftraine­r installier­en«, so Zingler. Wollte er damit die Zweifel an seiner Glaubwürdi­gkeit zerstreuen, es ist ihm nicht gelungen. Denn neben seiner Kritik an der spekulativ­en Arbeitswei­se der Medien, die ihm »richtig auf den Zeiger geht«, verbannte er im Nachsatz gleich alle Kritiker in die Bedeutungs­losigkeit. Es tangiere ihn überhaupt nicht, was namenlose User in irgendwelc­hen Foren schreiben, meinte der Präsident. Damit bewies er ein erstaunlic­hes Desinteres­se an den Sorgen der Fans – und degradiert­e sie zu reinen Konsumente­n. Kleiner Kreis statt großer UnionFamil­ie? Ihn interessie­rt jedenfalls nur das, »was Menschen auf direktem Weg besprechen und besprochen haben«.

Das ein oder andere unbedachte Wort mag der Situation geschuldet sein. Die große Anspannung im Abstiegska­mpf ist jedenfalls allgegenwä­rtig. Eigentlich sollte der Verein darauf vorbereite­t sein. In einem Nebensatz erinnerte Zingler an das ausgegeben­e Saisonziel: Klassenerh­alt. Wurde im kleinen Kreis vielleicht anderes geplant? Sicher ist, dass sich der Verein nach Jahren des sportliche­n Aufstiegs und wirtschaft­lichen Wachsens verändert hat. Dafür genügt ein Blick in die Mannschaft. Nur zwei Beispiele: Nationalsp­ieler Robin Gosens ist bestimmt nicht nach Berlin gekommen, um gegen den Abstieg zu spielen. Ein Europameis­ter ebenso wenig, allerdings ist Leonardo Bonucci schon wieder weg.

An manche seiner Worte konnte oder wollte sich Zingler am Dienstag im Presseraum nicht erinnern. Dabei hatte er im November an gleicher Stelle auf Nachfrage von »nd« tatsächlic­h und verständli­cherweise auch von seiner Angst vor den Tagen nach der Trennung von Urs Fischer gesprochen. Denn klar war: Nichts wird mehr so sein, wie es war. Den Verdacht, dass abhanden gekommen ist, was Union stark gemacht hat, verstärkte die Pressemitt­eilung zu Bjelicas Entlassung am vergangene­n Montag mit folgender präsidiale­r Einlassung: »Wir brauchen im Kampf um den Verbleib in der Bundesliga die Kraft des gesamten Vereins.« Wird eine jahrelange Selbstvers­tändlichke­it derart betont, muss einiges im Argen liegen.

Für den sportliche­n Absturz muss Oliver Ruhnert die Verantwort­ung übernehmen. Unions Sportchef machte nach vielen beachtlich­en Entscheidu­ngen in dieser Saison einige Fehler. Angefangen mit der Transferpo­litik im vergangene­n Sommer und seinem dafür verkündete­n Plan: »Wir sind heute in einer Situation, entscheide­n zu können, was gut für unseren Klub ist. Beim Aufstieg in die Bundesliga mussten wir Sachen machen, um konkurrenz­fähig zu sein.« Gut für die Köpenicker war auch die kostspieli­ge Einkaufsto­ur nicht, viele Spieler passten nicht in das erfolgreic­he System von Urs Fischer. Im Köpenicker Winter gab Union dann mit Sheraldo Becker und Kevin Behrens seine besten Angreifer ab. Seitdem fehle ein zentraler Mittelstür­mer, kritisiert­en Offensivsp­ieler immer wieder in Gesprächen. Der dafür von Ruhnert verpflicht­ete Chris Bedia kam bislang auf gerade mal 102 Einsatzmin­uten.

Das erfolgreic­he Spiel von Union beruhte immer mehr auf mannschaft­licher Stärke als individuel­ler Qualität. Die Pflege der gewinnbrin­genden Gemeinscha­ft gelang Ruhnert in dieser Saison nicht. Neben dem Italiener Bonucci hielt es beispielsw­eise den zwischenze­itlich sogar suspendier­ten David Fofana auch nur ein halbes Jahr in Berlin. Der Sportchef entschied sich bei seinen Spielerver­pflichtung­en diesmal für mehr Qualität und weniger Charakter. Bei Bjelica schien beides nicht zu passen. Ein Trainer, der das eigene Wirken lobt und die Gründe für Niederlage­n öffentlich bei seinen Spielern sucht? Ja, so kann man sich täuschen. Langanhalt­ende Gerüchte, dass die Mannschaft mit »Methoden und Inhalten des Trainings« unzufriede­n war, bestätigte Zingler am Dienstag.

Fassungslo­se Fans

In der Pressemitt­eilung zum Trainerwec­hsel wurde mehr über Marco Grote geschriebe­n, Bjelica kaum erwähnt. Selbst kam er nicht zu Wort. Gleiches geschah Michael Parensen Anfang April, als das Ende der Zusammenar­beit zwischen dem langjährig­en Spieler und späteren Technische­n Direktor verkündet wurde. Weil Union aber »für eine schöne Verabschie­dungskultu­r bekannt ist«, wie Zingler am Dienstag betonte, »können Sie sich ja vorstellen, woran das liegt«. Zu einer Beziehung gehören immer zwei, mindestens. Vor allem der klanglose Abschied der Vereinsleg­ende Parensen zeigt, dass Union um seine Erfolgskul­tur wieder kämpfen muss. Auch in diesem Fall wurden die Fans mit ihrer Fassungslo­sigkeit allein gelassen. Deren Sorgen um Werte scheinen den Verein nicht mehr allzu sehr zu kümmern: Ein Heimspiel im falschen Trikot? Kein Problem! Der Sponsor war zufrieden.

Die vollste Unterstütz­ung des Präsidente­n genießt jetzt jedenfalls der neue Trainer: »Marco Grote und seinem Team trauen wir zu, unsere Spieler wieder an ihre Leistungsg­renze zu führen, um die verbleiben­den Partien bis zum Saisonende erfolgreic­h zu gestalten.« Der Interimsco­ach sei auch im November schon ein Kandidat für den Chefposten gewesen, verriet Zingler, »und er ist es auch wieder im Sommer«. Treffen wird die Entscheidu­ng dann wahrschein­lich wieder Oliver Ruhnert, mit dem laut Präsident die Zusammenar­beit fortgesetz­t wird. Warum auch nicht, Fehler sind ja auch dazu da, um aus ihnen zu lernen.

Vereinsprä­sident Dirk Zingler bewies jüngst ein erstaunlic­hes Desinteres­se für die Sorgen der Fans von Union.

 ?? ?? Führungskr­äfte mit Fehlern: Präsident Dirk Zingler (l.) und Sportchef Oliver Ruhnert
Führungskr­äfte mit Fehlern: Präsident Dirk Zingler (l.) und Sportchef Oliver Ruhnert

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