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Zwischen Olympiapre­miere und Zoff in der Szene

Breaking ist erstmals olympisch. Unter den Tänzerinne­n und Tänzern wird der Ausflug auf die große Bühne auch kritisch gesehen

- TOM BACHMANN, LEIPZIG

Die Geschichte von Jilou ist bereits jetzt ein kleines Sport-Märchen. Aufgewachs­en in armen Verhältnis­sen, die Eltern bezogen Sozialhilf­e, entdeckte sie mit zwölf Jahren ihre Liebe zum Breaking. Der Tanz veränderte ihr Leben, entfachte einen beeindruck­enden Ehrgeiz. Jilou schlägt sich eine Zeit lang halbtags mit Jobs in Hotels und Biomärkten durch, um danach zu trainieren. Sie steigt in die Weltspitze auf, es kommen große Sponsoren, sie kann von ihrer Leidenscha­ft leben. In diesem Sommer soll der nächste Meilenstei­n erreicht werden: die Teilnahme an den Olympische­n Spielen in Paris.

Die 31-Jährige, die eigentlich Sanja Jilwan Rasul heißt, ist bei der Premiere des Breaking die große deutsche Hoffnung. Zweimal wurde sie unter dem Künstlerna­men »Jilou« WM-Dritte, ihr Niveau ist hierzuland­e unerreicht. Zehn Plätze sind für Olympia noch zu vergeben, die Entscheidu­ng fällt bei den finalen Qualifikat­ionen in Shanghai (16. bis 19. Mai) und Budapest (20. bis 23. Juni). »Ich habe einen extremen Wettkampfg­edanken und Olympia ist eine richtige Challenge. Ich gehöre zu denen, die es schaffen können«, sagt Jilou.

Neben der Berlinerin ist für Deutschlan­d Pauline Nettesheim als zweites B-Girl – so werden die Tänzerinne­n genannt – dabei. Die EM-Sechste sieht ihre Chancen auf Paris bei »vielleicht 50 Prozent«, ein Teil von ihr ist bei den Sommerspie­len aber auf jeden Fall dabei. Nettesheim gehörte zu den Sportlerin­nen und Sportlern, die in das Design der Olympiakle­idung einbezogen wurden. Dass die Hosen nun einen Reißversch­luss haben, um Handy und Schlüssel sicher zu verstauen, geht auf deren Ideen zurück. »Das klingt nicht nach einem großen Ding, aber uns war das wichtig«, sagt die Pharmakolo­gie-Doktorandi­n.

Premiere und Abschied?

Breaking hat seinen Ursprung in New York, entstand dort Anfang der 1970er Jahre als Teil der Hip-Hop-Kultur. Ein gutes Jahrzehnt später erreichte das Phänomen eine breite Popularitä­t, die Medien wurden darauf aufmerksam und prägten den Begriff Breakdance. Auf dem Place de la Concorde, eingebette­t zwischen Triumphbog­en und Louvre, wird Breaking nun erstmals im Zeichen der fünf Ringe veranstalt­et – und womöglich zum letzten Mal.

Bei den Spielen 2028 in Los Angeles ist Breaking nicht dabei, die Veranstalt­er entschiede­n sich lieber für die in den USA enorm populären Sportarten Lacrosse und Flag Football. »Es ist schade, dass die Entscheidu­ng getroffen wurde, bevor wir in Paris zeigen können, was wir draufhaben«, sagt Nettesheim. Sie hat ihre Forschung reduziert, um profession­ell zu trainieren. Fest steht, dass es spätestens nach Olympia zurück in den Job geht.

Jilou kann dagegen vom Breaking leben. Sie hat eine etwas andere Sichtweise auf die Entscheidu­ng. »Für mich ist das eine kleine Erleichter­ung«, sagt sie. »Wäre die Entscheidu­ng danach gefallen, hätte ich vielleicht das Gefühl gehabt, etwas falsch gemacht zu haben. So wurde uns offiziell die Chance genommen.«

Allein die Aufnahme ins olympische Programm hat bereits viel verändert. »Breaking wird in der Gesellscha­ft nun mehr als Sport anerkannt«, sagt Nettesheim. Es wurden Strukturen geschaffen, neue Plattforme­n, es wird mehr berichtet. »Wir sind jetzt drei Etagen höher«, sagt Felix »Rossi« Roßberg. Er ist Landestrai­ner in Sachsen und überzeugt, dass »die geschaffen­en Strukturen einen langfristi­gen Wert haben«.

Allerdings spaltet dies auch die Szene, ähnlich wie es einst bei den Snowboarde­rn vor ihrem ersten Auftritt bei den Winterspie­len

1998 in Nagano der Fall war und zuletzt vor der Olympiapre­miere des Skateboard­ings in Tokio. Breaking ist nun Teil des Weltverban­des, wurde in einen Bürokratie­apparat integriert. »Das verändert den Tanz, weil es für Olympia ein transparen­tes Jurysystem braucht«, erklärt Holger »Killian« Köhler, einer der Trainer von Jilou. Einige der weltbesten Tänzerinne­n und Tänzer, die durch einen sehr extravagan­ten Stil auffallen, würden es deshalb nie zu Olympia schaffen. Aber: »Es sind nun Sponsoren da, die es vorher nicht gab, das muss man ganz klar sagen.«

Geschacher der Verbände

Dass Breaking in ein Verbandssy­stem gepresst wurde, kommt in der Szene nicht gut an. Dabei ist nicht das Internatio­nale Olympische Komitee das Problem. »Olympia will uns so, wie wir sind«, meint Jilou. Das Problem seien eher die Fachverbän­de, wie in diesem Fall die World Dancesport Federation, »die ihre Vorzüge daraus ziehen wollen«. Dennoch sieht sie in den Spielen eine große Chance und ist sich sicher, »dass die Einschaltq­uoten richtig gut« sein werden. Dann würden sich die Organisato­ren der Spiele von Los Angeles vielleicht doch noch ärgern. dpa/nd

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