nd.DieWoche

»Wir öffnen Räume«

Adriana Heredia über die Bedeutung afrokubani­scher Kultur und ein Kulturzent­rum in Havanna

- INTERVIEW: ANDREAS KNOBLOCH

Kuba ist in einer schwierige­n Lage. Viele Menschen verlassen das Land, vor allem junge Leute. Doch Sie eröffnen ein neues Kulturzent­rum. Was treibt Sie an? Das ist eine gute Frage. In einem Kontext, in dem viele Menschen weggehen und mir alle sagen, ich sei verrückt, sehe ich immer noch den Wert meines Landes. Ich liebe Kuba. Mit dem Centro de las Raíces möchte ich der gesamten Community die Botschaft vermitteln, dass man es schaffen kann, wenn man nur fest genug träumt. Es spielt keine Rolle, ob du eine Frau oder ein Mann bist, ob du weiß oder schwarz bist. Es ist eine Frage der Mentalität. Wenn man sich etwas in den Kopf setzt, kann man sich automatisc­h dafür entscheide­n, alles, was um einen herum geschieht, positiv zu interpreti­eren und etwas aufzubauen.

Was genau wird in dem Kulturzent­rum geschehen?

Es wird ein Zentrum sein, das Afro-Ästhetik und -Identität fördert. Wir werden einen Laden mit Produkten für die Pflege von natürliche­m Afro-Haar und den Haarsalon als einen Raum der Wiederhers­tellung der Verbindung zu unserer Identität haben. Wir werden ein Café einrichten; es wird Musik und Live-Performanc­es geben. Und wir werden den Ort der Community zur Verfügung stellen; es wird ein Raum für Austausch und eine Aula des Wissens sein. Wir werden Unternehme­rinnen im Bereich der Haarpflege von Afro-Haar ausbilden.

Woher kommt der Impuls zur Förderung afrokubani­scher Kultur?

Der Anstoß dazu kommt aus meiner persönlich­en Geschichte. Die afrokubani­sche Kultur ist meine Kultur. Ich habe mit touristisc­hen Angeboten angefangen, bei denen ich Reisenden meine Realität zeige. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Moment mal, ich bin auch eine schwarze Frau. Und ich fühle mich nicht repräsenti­ert. Wo sind die Produkte für mich? Wo sind die Menschen, die aussehen wie ich? Warum müssen wir unsere Identität ständig ändern, um einem Stereotyp oder einem von der Gesellscha­ft festgelegt­en Muster zu entspreche­n? Und das hat mich dazu gebracht, den Laden »Beyond Roots« zu eröffnen.

In dem Laden sieht man eine Menge Shirts mit Slogans.

Ja, es gibt Shirts mit empowernde­n Botschafte­n. Die Leute kaufen vielleicht kein Shirt, aber sie lesen die Botschaft. Uns geht es darum aufzuzeige­n, dass ich kein glattes Haar haben muss, um mich als schöne Frau zu betrachten. Das ist eines der größten Traumata unserer Kundinnen. Denn wir alle haben uns als kleine schwarze Mädchen irgendwann ein Handtuch um den Kopf geschlunge­n und so getan, als wäre das Handtuch unser langes Haar. Denn die Disney-Figuren haben uns beigebrach­t, dass Prinzessin­nen glattes, langes Haar haben, und mit diesem Muster wächst man auf. Dann sagt dir die kubanische Gesellscha­ft: »Mädchen, dein Haar ist so furchtbar, warum hast du dich heute nicht gekämmt? Hast du deine Bürste vergessen?« Diese Art von Kommentare­n wirkt sich auf dich aus.

»Beyond Roots« ist also eine Reaktion darauf?

Als ich den Laden eröffnet habe, habe ich gesagt: Das kommt alles weg. In diesem Laden werden wir das Afro-Haar zelebriere­n. Kundinnen kommen und sagen: Ihr alle hier habt so schönes Haar, aber meine pasas [abwertende­r Ausdruck für gekräuselt­es Afro-Haar, Anm. d. Red.] sind nicht die gleichen wie deine. Nein, du hast keine pasas! Als Erstes musst du dein Vokabular ändern, denn die Worte, die du benutzt, sind Wertungen. Du kannst nicht sagen, dass du pelo malo, schlechtes Haar, hast. So fängt Veränderun­g an. Dasselbe im Haarsalon. Der Salon ist ein Raum, um der Kundin zu sagen: Setz dich, ich werde nach einer Frisur suchen, die zu dir passt, und gebe dir alle Informatio­nen, damit du in der Lage bist, dein Haar selbst zu behandeln. Wir wollen, dass die Leute das zu Hause machen können, und nicht in einen Salon gehen müssen. Empowermen­t ist das Wort.

Sie haben marxistisc­he Ökonomie gelehrt. Wie sind Sie zur Unternehme­rin geworden?

Zuallerers­t denke ich, dass es das Bedürfnis nach wirtschaft­licher Unabhängig­keit war. Das Gehalt an der Universitä­t hat ehrlicherw­eise nicht ausgereich­t. Und ich wollte mehr vom Leben. Ich war Professori­n an der Fakultät für Wirtschaft­swissensch­aften. Ich habe mein Herz und meine Seele gegeben und ich habe jede Sekunde meiner Arbeit an der Universitä­t geliebt. Aber als rastlose junge Frau wollte ich andere Dinge. Wenn ich beruflich reiste, wollte ich die Möglichkei­t haben, zu sagen: »Okay, heute trinke ich ein Bier in einer Bar.« Vielen meiner Dozentenko­llegen ist das nicht möglich. Selbst meine Mutter, die an der Universitä­t arbeitete und reiste, konnte es sich nie leisten, außerhalb Kubas ein Eis zu essen oder ein Bier zu trinken, denn das wenige Geld, das sie bekam, sparte sie, um Dinge für mich und meinen Bruder zu kaufen. Und das hat mir schon als Kind sehr zu schaffen gemacht. Das führte dazu, dass ich Unternehme­rin werden wollte, weil ich mich wirtschaft­lich verbessern wollte.

Und dann haben Sie den Laden eröffnet. Ich hatte eine Idee und konnte diese in die Praxis umsetzen. Wow! Ich habe mich so stark gefühlt. Ähnlich ist es jetzt mit dem Kulturzent­rum. Es war eine Idee in meinem Kopf und jetzt wird sie realisiert. Mein Team wächst und die Leute bekommen gutes Gehalt. Kürzlich waren wir bei einem Fotoshooti­ng, und da standen vier Elektromot­orräder von Leuten aus meinem Team vor der Tür. Es sind diese kleinen Errungensc­haften, die albern erscheinen, Menschen in Kuba aber eine Menge bedeuten. Für einen 24-jährigen Kubaner etwa zu sagen: Ich lebe nicht mehr bei den Eltern und habe eine eigene Wohnung gemietet. Oder: Ich habe mir von meinem Gehalt einen Elektrorol­ler gekauft. Für mich ist das eine wichtige Auswirkung. Das ist es, was mich antreibt, Unternehme­rin zu sein. Deshalb habe ich immer verteidigt – und das ist ein wichtiger Gedanke –, dass wir Unternehme­r sind und kein soziales Projekt. Wir verlangen Geld für das, was wir tun. Aber wir haben auch eine soziale Wirkung. Für mich besteht die Stärke als Unternehme­rin darin, dass ich sagen kann: Es gibt Inflation in Kuba, ich erhöhe das Gehalt meiner Leute. Meine Kundinnen kommen und sehen Frauen, die allein leben. Und sagen: Wenn die es geschafft haben, kann ich es auch schaffen. Das ist die Magie, wenn man eine Referenz hat.

Inwieweit sind Sie Referenz für die afrokubani­sche Community?

Irgendwann habe ich verstanden, dass »Beyond Roots« kleine Revolution­en in unserer Community auslöst. Wir öffnen Räume. Andere Unternehme­rinnen kommen, um diese Räume zu füllen. Jetzt gibt es eine Menge Afro-Projekte und Afro-Unternehme­r. Es geht darum, wie ich auf den Kontext reagiere. Kuba befindet sich in einer totalen Krise. Aber wir haben zwei Möglichkei­ten. Entweder wir sind Opfer oder wir sagen: Okay, ich lasse mich nicht so einfach unterkrieg­en. Wenn Leute kommen, kannst du ihnen Vorträge halten, bla, bla, bla. Aber wenn sie die Veränderun­g sehen, sagen sie: Die haben es geschafft. Viele Leute in unserer Community haben gesehen, wie wir unseren Bauchladen von Communityp­rojekt zu Communityp­rojekt geschleppt haben, bevor wir diesen Laden hatten. Gestern kam zufällig eine Frau, ihr haben wir zum Anfang die Haare in unserer Küche gemacht, denn wir hatten nicht einmal einen Salon. Diese Frau glaubt an uns. Und wenn sie uns in dem neuen Kulturzent­rum sieht, wird sie sagen: Man kann alles erreichen. Das ist meine Vision.*

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 ?? ?? Adriana Heredia ist Gründerin von »Beyond Roots«, einem Unternehme­n zur Förderung afrokubani­scher Kultur. Sie betreibt einen kleinen Laden in Havannas Altstadt, zu dem ein kleines Haarstudio gehört. Im Sommer will sie ein privates Kulturzent­rum eröffnen.
Adriana Heredia ist Gründerin von »Beyond Roots«, einem Unternehme­n zur Förderung afrokubani­scher Kultur. Sie betreibt einen kleinen Laden in Havannas Altstadt, zu dem ein kleines Haarstudio gehört. Im Sommer will sie ein privates Kulturzent­rum eröffnen.

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