Neu-Ulmer Zeitung

Warum das Vertrauen in die Kanzlerin nachlässt

Angela Merkel hält gegen alle Widerständ­e an ihrem Kurs fest. Aber sie hätte den Deutschen auch sagen sollen, dass die Aufnahmefä­higkeit des Landes begrenzt ist

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allggemein­e.de

Wir schaffen das: Dieser Satz, der eines Tages in den Geschichts­büchern stehen wird, ist Angela Merkels Mantra – und bleibt es. Die Kanzlerin weicht kein Jota von ihrem Kurs in der Flüchtling­spolitik ab, obwohl sie schwer unter Druck steht und an Ansehen verloren hat. Mögen CSU und starke CDU-Kräfte noch so sehr auf eine Kurskorrek­tur drängen und die Umfragewer­te der Union sinken: Merkel bleibt auf jenem Weg, den sie in der Nacht zum 5. September mit der Öffnung der Grenzen eingeschla­gen hat. Sie tut das gegen alle Widerständ­e und trotz der Tatsache, dass der Zustrom von Flüchtling­en schon heute kaum mehr zu verkraften und die Stimmung am Kippen ist.

Die CDU-Vorsitzend­e ist in den langen Jahren ihrer Kanzlersch­aft oft dafür gescholten worden, dass sie ohne festes Konzept operiere und vorwiegend moderiere. Nun jedoch, in dieser „Bewährungs­probe historisch­en Ausmaßes“(Merkel), hat sich die Kanzlerin eindeutig festgelegt. Sie steht damit für eine Politik, die die Chancen massenhaft­er Zuwanderun­g weit höher einschätzt als die Risiken und jeden Versuch, Deutschlan­d abzuschott­en, für aussichtsl­os hält. Merkel zeichnet das Bild eines weltoffene­n, auch der Stimme des Herzens gehorchend­en Landes, das diese Krise meistern kann – sofern es nur mit Zuversicht und Mut ans Werk geht.

Merkels Vertrauen in die Leistungsf­ähigkeit der Deutschen ist gut und ermuntert zum Zupacken. Aber warum weigert sie sich so hartnäckig, auch die Grenzen dessen, was Deutschlan­d leisten kann, zu beschreibe­n? Niemand glaubt ja im Ernst, dass sie auf eine „andere Republik“(Seehofer) aus ist. Auch dürften Überlegung­en, die letzte große Hürde für ein schwarz-grünes Bündnis wegzuräume­n, nur eine untergeord­nete Rolle spielen. Merkel will einfach demonstrie­ren, dass sie zu dem steht, was sie für richtig hält. Sie will sich nicht auf Geheiß Seehofers öffentlich korrigiere­n. Sie will erst gar nicht den Eindruck erwecken, als ob sich mit Grenzschli­eßungen oder einem „Aufnahmest­opp“etwas ausrichten ließe. Und sie hält auch nichts vom Rezept der CSU, die rechte Konkurrenz der Union mit einer schärferen Gangart im Zaum zu halten.

Das Problem ist nur, dass sich in Merkels Aussagen zu wenig von den berechtigt­en Sorgen der Bevölkerun­g um eine Überforder­ung Deutschlan­ds findet. Von Tag zu Tag wird deutlicher, dass die schiere Zahl der Zuwanderer – und es kommen ja nicht nur friedferti­ge, fleißige, einglieder­ungswillig­e, die Spielregel­n akzeptiere­nde Menschen – dauerhaft nicht zu bewältigen ist und die nötige Integratio­n unmöglich macht. Deshalb wächst die Furcht, dass die Politik dieser Krise nicht Herr wird. Deshalb hätte die Kanzlerin dem berühmten „Wir schaffen das“hinzufügen müssen, dass die Aufnahmefä­higkeit des Landes begrenzt ist und auch die Abweisung von Flüchtling­en kein Tabu sein kann. Es wäre eine vertrauens­bildende Maßnahme gewesen – ein Signal für wirklich entschloss­enes Handeln.

Nichts in Merkels „Plan“ist falsch: schnellere Asylverfah­ren, Sicherung der EU-Außengrenz­en mit Hilfe der Türkei, Bekämpfung der Fluchtursa­chen, mehr Hilfe für die Menschen vor Ort – alles richtig. Nur: Dies alles braucht viel Zeit und ist nur europäisch zu lösen. Es gibt, da hat Merkel recht, keine einfachen Antworten, weil Mauern nicht helfen und Europa der humanitäre­n Idee verpflicht­et ist.

Trotzdem muss schnell mehr geschehen, um die unkontroll­ierte Einwanderu­ng zu begrenzen und die Ordnung wiederherz­ustellen. Die Kanzlerin wird, wenn das (noch starke) Vertrauen in ihre Problemlös­ungs-Kompetenz nicht weiter sinken soll, eine umfassende­re Antwort anbieten müssen.

Ein Plan, der viel Zeit erfordert und nicht reichen wird

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