Lion Feuchtwanger – Erfolg (177)
WUm die Begnadigung ihres zu Unrecht verurteilten Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlicher Genehmigung des Aufbau Verlages, Berlin ©
enn man ihn näher belinste, den nordischen Gedanken, dann war er Bluff. Es gab kein wissenschaftliches Kriterium, das eine Rasseneinteilung der Menschen nach der Beschaffenheit ihres Blutes, ihres Gehirns, ihrer Begabung ermöglichte.
Und dennoch: es gab Juden, die daran starben, daß sie keine Arier waren, und der junge Student Jäger hatte sich erschossen, weil er der Sohn dieses deutschvölkischen Vaters war.
Er, Erich, war blonder von Haar, blauer von Aug als die meisten der Wahrhaft Deutschen; unter denen waren viele, die in Dollars dafür bezahlt hätten, wenn ihre Augen so blau, ihre Haare so blond gewesen wären wie die seinen. Wenn es auf die Körpermale ankam, da langte es bei ihm zweimal zum nordischen Menschen. Was für Albernheit, daß solche Körpermerkmale Vorbedingungen sein sollten des Schöpferischen. Klar, daß gerade solche, die nichts aufweisen konnten als eben
diese Leibesmale, eine so vernunftbare Theorie aufstellten. Schöpfergeist, heldischer Haß und heldische Liebe, und was sonst alles als Merkmal des nordischen Gedankens zusammengefaßt wurde, gab es das nicht genauso bei den Braunen und Gelben, wuchs das am Stillen Ozean und am Indischen nicht genauso wie am Atlantischen?
Verflucht. Gerade daß die Theorie Logik ablehnte und Glauben verlangte, zog ihn an. Es war verlockend, das Herz mit dem nordischen Gedanken zu füllen, mit dem heldischen Glauben. Was an Mystik in einem stak, konnte man da hineinschmeißen. Es löste sich alles so einfach, wenn man die Menschen teilte in Helden, in Herrenrassen, von der Natur bestimmt, auszubeuten, und in Feiglinge, in Sklaven, bestimmt, ausgebeutet zu werden.
Er war frisch, frech, eine Augenweide für Männer und Frauen. Sicher gehörte er dem Herrenvolk an, das die Hochkultur der Welt errichtet hat. Nie und nimmer war der zappelige, hysterische Geyer sein Vater. Mit Inbrunst verachtete er den Alten, den seine Mutter mit guter, nordischer List hereingelegt hat.
Immerhin wäre es wünschenswert, absolute Klarheit zu schaffen. Manchmal nimmt er eine Geste an sich wahr, eine kleine Bewegung, die er an dem Alten ebenso gesehen hat. Das kann Angewöhnung sein, Nachahmung. Man müßte das richtig analysieren, das zwischen ihm und dem Alten. Der Professor Zangemeister in Königsberg hat ein Stufenphotometer erfunden, durch das man auch die feinsten Blutreaktionen wahrnehmen kann. Mischt man die Blutsera zweier Personen, so treten Trübungen auf oder Aufhellungen. An dem Stufenphotometer kann man den Grad der Trübungen ablesen, die Kurve der Trübungen oder der Aufhellungen ermitteln. In der Zeiteinheit nimmt in einem Gemisch von Seren blutsverwandter Personen die Helligkeit ab, in einem Gemisch blutsfremder schlägt sie ins Gegenteil um. Damit ist manches zu beweisen. Nur: wie kriegt er den Alten so weit, daß der sich der Königsberger Blutprobe unterzieht?
Weiber wie die Insarowa fliegen auf ihn; aber diese Johanna Krain hat gelacht. Es wäre scheußlich, der Sohn des widerwärtigen Geyer zu sein. Sie war eine Frau von typisch bayrischem Schlag. Die Orthodoxen der Rassenlehre nehmen die Bayern nicht für voll. Die seien Rundköpfe, sagen sie, Homines alpini, dinarisch im wesentlichen, verseucht durch römisches und wendisches Mischlingsblut.
Der Student Jäger hatte sich erschossen, weil er der Sohn seines Vaters war.
Er selber, wenn er in der Partei davon spricht, man munkle, Dr. Geyer sei sein Vater, bekommt zur Antwort schallendes Gelächter. Niemand, der den militärisch straffen Jungen sieht, glaubt an diese Vaterschaft. Man frotzelt ihn, gutmütig, derb.
Einmal in diesen Tagen, in seiner Wohnung, zwischen den Hundemasken, als man trank und lustig war, spielte Erich Bornhaak der Gesellschaft spaßhafterweise auf Grammophonplatten jiddische Lieder vor. Man lachte stürmisch, doch bald wurde es langweilig. Schließlich hörte Erich allein den Platten zu, während die andern längst woanders waren. Es waren gefühlsselige Lieder, überschwenglich, ekstatisch. Sie sehnten sich nach der Mutter, jubelten über kleine Freuden, klagten über die in Pogromen Erschlagenen.
Ganz spät, das war eine große Ehre, kam Klenk. Als er hörte, Erich habe ein jiddisches Konzert gegeben, lachte er schallend, forderte ihn auf, auch ihm die Platten vorzuspielen. Allein Erich machte Ausflüchte, sagte, als Klenk weiter drängte, geradezu nein.
Den Montag darauf sprach Rupert Kutzner in seinen Versammlungen über den Fall Dellmaier. Er hatte einen sehr guten Tag. Er schilderte anschaulich die niederträchtigen Methoden, mit denen man der Wahrhaft-Deutschen-Bewegung einen ihrer wichtigsten Männer entziehen wollte. Es saßen viele Unschuldige in den deutschen Gefängnissen, Martin Krüger war nicht allein; täglich berichteten die Zeitungen von Fehlurteilen, die die Mehrheit der Bevölkerung empörten. Doch keiner von den Tausenden seiner Zuhörer, während Kutzner Zorn glühte ob des zum Himmel stinkenden Unrechts, dachte der Verurteilten aus den Zeitungsberichten.
Nicht dachte, während Kutzner heilige Wut klirrte ob der niederträchtig verfolgten Unschuld, der Altmöbelhändler Lechner an den Mann Krüger, von dessen Schuld er, damals im Zimmer der Geschworenen, keineswegs überzeugt war. Ihnen allen vielmehr erschien verfolgte Unschuld allein in der Gestalt des Patrioten Georg von Dellmaier. Der riesige Saal, aufgepeitscht von den Worten des Führers, ging hoch in stürmischer Empörung, in Pfuirufen, in Drohungen gegen den Minister Messerschmidt. Als gar ein Bild des Versicherungsagenten von Dellmaier auf die Leinwand projiziert wurde und Rupert Kutzner mit großer Gebärde rief: „Sieht so ein Mann aus, der Hunde vergiftet?“, da sprangen die Menschen auf, mit Wucht schlugen sie die grauen Krüge auf die Holztische, tausendstimmig riefen sie: „Nein!“, und die Fahnen mit dem Hakenkreuz senkten sich vor dem Lichtbild von Dellmaiers. So hatte vor fünfundzwanzig Jahren der Hofschauspieler Konrad Stolzing den Römern die Leiche des Cajus Julius Cäsar gezeigt in der Rolle des Marc Anton, einer Figur des englischen Bühnendichters Shakespeare.
In drei weiteren Versammlungen dieses Abends sprach Rupert Kutzner von Dellmaier. Er sprach von deutscher Treue, deutschem Recht, deutscher Kameradschaft, geißelte mit markigen Worten den frechen Hohn der Gegner, die einen deutschblütigen Mann zu Fall bringen wollten, ihm unterstellend, er vermöge es über sich, ein so treues Tier wie den Hund zu beseitigen. Dreimal noch wogte Empörung, dreimal noch senkten sich die Fahnen mit dem exotischen Fruchtbarkeitsemblem vor dem Lichtbild von Dellmaiers.