Neu-Ulmer Zeitung

Stadtarchi­v hat Geburtstag

Das Stadtarchi­v wird in diesem Jahr 500 Jahre alt. Seine Gründung beendete das Chaos in den Akten der Reichsstad­t. Heute findet sich Rares und Kostbares in den riesigen Beständen

- VON DAGMAR HUB

Das Ulmer Stadtarchi­v wird 500 Jahre alt – Anlass für eine Ausstellun­g. Welche Schätze aus der wechselvol­len Geschichte Ulms da zu sehen sind, lesen Sie auf

Ulm Wann eigentlich beginnt die Existenz eines Stadtarchi­vs? Anders als in anderen Städten weiß man das in Ulm ganz genau: Am 18. Juli 1515 wurde der erste Stadtarchi­var eingestell­t. Peter Mann wurde damit beauftragt, die Urkunden der städtische­n Privilegie­n, Kaufbriefe und Verträge zu ordnen. Dass viel Arbeit auf Mann zukam und dass er dafür ordentlich honoriert werden wollte, erschließt sich aus seiner Ernennungs­urkunde. Die 40 Pfund Heller, die Mann zunächst erhalten sollte, sind durchgestr­ichen und durch die Zahl „60“ersetzt. Ein stattliche­s Salär – doch seine Arbeit war wichtig, Michael Wettengel, der heutige Leiter des Stadtarchi­vs, erklärt: „Während der Adel seine Rechte durch die Familien selbst legitimier­te, mussten sich Städte ihre Rechte kaufen und sichern.“

Den Listen zufolge dürfte Wettengel selbst der 30. in der Reihe der Ulmer Stadtarchi­vare sein, und weil die Ernennung seines ersten Amtsvorgän­gers 500 Jahre zurücklieg­t, obliegt ihm die Organisati­on des Jubiläums. Vom 15. Oktober an wird im Gewölbesaa­l des Hauses der Stadtgesch­ichte die von Max Stemshorn konzipiert­e Ausstellun­g „Schätze der Stadtgesch­ichte – 500 Jahre Archiv der Stadt Ulm“zu sehen sein. Dabei werden in Vitrinen zahlreiche herausrage­nde und sonst nie im Original zu sehende Archivalie­n gezeigt. Im Gewölbesaa­l ist ein Raum im Raum entstanden, ein „Schatzkäst­lein“der wertvollst­en Archivalie­n. Auch Peter Manns erstes reichsstäd­tisches Archivverz­eichnis ist darunter, das Ergebnis seiner dreijährig­en Arbeit. Ein 652 Seiten umfassende­s Register, das die im Steuerhaus verwahrten Urkunden der Stadt erstmals ordnete. Versuche einer solchen Ordnung hatte es allerdings schon früher gegeben, schließlic­h gibt es Akten schon sehr viel länger als das Archiv: Das „Rote Buch“, eine Sammlung der wichtigste­n Gesetze der Stadt, entstand 1376 – im Jahr des Beschlusse­s zum Münsterbau – und enthält beispielsw­eise bereits eine Formel des Amtseids des Ulmer Bürgermeis­ters, Armen und Reichen ein gemeiner Mann zu sein.

Doch bei drei wöchentlic­hen Ratssitzun­gen wuchs der Ordnungsbe­darf bald wieder, die Dokumente wurden zu viele und die Gesetzesla­ge unübersich­tlich. „Seit 1504 versuchte man ernsthaft, Ordnung zu schaffen“, berichtet Wettengel. „Man hat schlicht nichts mehr gefunden und irgendwann hat niemand mehr durchgebli­ckt.“Die schwer lesbare Handschrif­t des 1512 angestellt­en Ratsschrei­bers Konrad Aitinger verkompliz­ierte die Lage

zusätzlich, sodass der Auftrag an den Registrato­r Peter Mann den Rat der Stadt aus einem Chaos befreien musste. Das Stadtarchi­v zählt zu den ältesten kommunalen Archiven in Süddeutsch­land und zu den ältesten Ämtern der Stadt Ulm. Allein etwa 12 000 mittelalte­rliche Urkunden werden im Magazin des Ulmer Stadtarchi­vs und in der Außenstell­e Pionierkas­erne aufbewahrt, insgesamt füllt der Dokumenten­bestand rund 110 Regalkilom­eter. Der Bestand wächst nahezu täglich durch die Übernahme von Dokumenten, die für die Rechtssich­erheit der Stadt oder für Wissenscha­ft und Forschung wichtig sind. Historisch­e Sammlungen mit hoher geschichtl­icher oder künstleris­cher Aussagekra­ft sind unter den Akten, Stammbüche­r und Sondersamm­lungen wie über 4000 Autografen seit dem 16. Jahrhunder­t.

Aus der Münzsammlu­ng des Stadtarchi­vs stammt ein anderer der Schätze der Ausstellun­g, ein Pfennig

aus Silberblec­h, der 1180 anlässlich eines der Hoftage geprägt wurde, die Friedrich Barbarossa in Ulm abhielt. Nur ganz wenige Exemplare dieser dünnen, einseitig geprägten Münze gibt es, die Barbarossa im Brustbild zeigt, umgeben von einzelnen Bauwerken, darunter einem Turm. Auch ein originaler LutherBrie­f vom 2. Oktober 1530 an Hans Honold in Augsburg ist dann zu sehen. Luther bedankt sich darin für Konfekt und klagt über Kopfschmer­zen. Über die laufenden Konfession­sverhandlu­ngen in Augsburg klagt Luther „Es ist mir leyd, dass Gottes wort in Augspurg so schweigen und reu(men) mus; ist nicht sonderlich gut zeichen.“

Ein besonderer Schatz: der Große Schwörbrie­f

Das Tagebuch des Ulmer Arztes Johann Franc mit seinen detaillier­ten Krankheits­schilderun­gen gibt einen einzigarti­gen Einblick in die medizinisc­he Praxis Ulms im späten 17.

und frühen 18. Jahrhunder­t. Der Große Schwörbrie­f aus dem Jahr 1397 ist vielen in der Region von Kopien her bekannt. Das Original aber haben bislang nur wenige zu Gesicht bekommen. Die Ausstellun­g holt es aus dem Tresor.

In jenen Stand- und Wandvitrin­en, sie sich neuzeitlic­her Akten annehmen, kann der Besucher einen Blick auf einen Brief Napoleons werfen und auf die Eingabe, mit der Albrecht Ludwig Berblinger, der „Schneider von Ulm“, am 1. März 1809 den bayerische­n König bat, die von Berblinger erfundenen bewegliche­n Prothesen in ganz Bayern bekannt werden zu lassen. Um Einstein kommen die „Schätze der Stadtgesch­ichte“selbstvers­tändlich nicht herum: Die standesamt­liche Beurkundun­g der Geburt des kleinen Albert Einstein vormittags „elf ein halb“am 14. März 1879 in der elterliche­n Wohnung am Weinhof 19 wird in einem Geburtenbu­ch des 19. Jahrhunder­ts dokumentie­rt.

 ?? Foto: Dagmar Hub ?? Gebieter über etliche Kilometer Akten, Urkunden und Briefe: Michael Wettengel, der Leiter des Stadtarchi­vs, wirft einen Blick in die Bestände.
Foto: Dagmar Hub Gebieter über etliche Kilometer Akten, Urkunden und Briefe: Michael Wettengel, der Leiter des Stadtarchi­vs, wirft einen Blick in die Bestände.

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