Das Ende der Demokratie oder ein Garant für mehr Wohlstand?
Die Gegner der Freihandelsabkommen TTIP und Ceta machen mobil. Die Befürworter halten dagegen. Weil beide übertreiben, ist eine Annäherung unmöglich
Können sich so viele Menschen irren? Eine solch große Demonstration hat Berlin, wo täglich irgendjemand gegen irgendetwas protestiert, schon lange nicht mehr gesehen. Mindestens 150000 Menschen marschierten am Samstag durch das Regierungsviertel, um gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und mit Kanada (Ceta) mobilzumachen. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Sozialverbänden sowie Globalisierungsgegnern forderte ein sofortiges Ende der Verhandlungen.
An pathetischen Worten und markigen Forderungen herrschte dabei kein Mangel. Glaubt man den Initiatoren, dann stellen TTIP und Ceta eine erhebliche Gefahr für Deutschland und Europa dar, weil sie die Demokratie aushebeln, eine unkontrollierbare Paralleljustiz schaffen, die hohen europäischen Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards außer Kraft setzen und den Interessen der Wirtschaft absoluten Vorrang einräumen. Man dürfe die Zukunft nicht den Märkten überlassen, sondern müsse den Primat der Politik und somit die Demokratie retten.
Wie ernst die Politik den Protest der Bürger nimmt, zeigt das Verhalten von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der in zahlreichen Zeitungen eine ganzseitige Anzeige schaltete und schon vorab die Argumente der Kritiker widerlegte. Europa habe die Chance, die Regeln für die Globalisierung und somit die Standards für den wachsenden globalen Handel zu setzen. Und auch die Repräsentanten der Wirtschaft warben um Zustimmung. Der freie Handel sichere die Arbeitsplätze in Deutschland und damit den Wohlstand.
Tiefer könnte der Graben zwischen den Gegnern und den Befürwortern kaum sein, eine Annäherung, gar eine gemeinsame Linie ist nicht in Sicht. Denn beide Seiten neigen zur Übertreibung, argumentieren mit Extremen und betreiben eine explizite Rosinenpickerei. Den Globalisierungsgegnern ist der Freihandel per se suspekt, sie träumen von geschützten Märkten, die es im Zeitalter der offenen Grenzen nicht mehr gibt, und pflegen ihre Ressentiments gegen die Wirtschaft. Die Kritik an den USA und der Macht der US-Konzerne eint dabei paradoxerweise antikapitalistische linke wie nationalistische rechte Kräfte, die einem neuen Isolationismus das Wort reden. Auf der anderen Seite werden die Freihandelsabkommen weder so viele neue Arbeitsplätze schaffen noch das Wirtschaftswachstum derart erhöhen, wie die Befürworter behaupten. Der Effekt dürfte eher verhalten ausfallen, zumal die EU und die USA schon heute wirt- schaftlich eng verflochten sind. Zudem setzt der Abbau von Zöllen auch Branchen unter Druck, die bislang noch geschützt sind. So wird es nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer geben.
Nötig sind daher mehr Realismus und eine Versachlichung der Debatte. TTIP und Ceta haben weder die Hölle noch den Himmel auf Erden zur Folge. Die Politik sollte das Unbehagen der Bürger ernst nehmen und in den Verhandlungen mit der US-Regierung berücksichtigen, den Menschen aber auch nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Die bisherige mangelnde Transparenz hat das Misstrauen geschürt, daher sind Regierung und EU-Kommission gut beraten, für mehr Offenheit zu sorgen und die Bürger über alle Verhandlungsschritte zu informieren. Gleichzeitig darf es keinen bedingungslosen Automatismus geben. Am Ende der Verhandlungen müssen nüchtern Vor- und Nachteile abgewogen werden, wobei die Devise gilt: Lieber kein Abkommen als ein schlechtes. Das macht schließlich den Primat der Politik aus.
Die Kritik an den
USA eint linke und rechte Kräfte