Wenn Europas letzter Diktator wählen lässt
Weißrusslands Machthaber Lukaschenko will die Ex-Sowjetrepublik positiv präsentieren. Diesmal gibt es eine echte oppositionelle Gegenkandidatin und seine Gegner dürfen demonstrieren
Minsk Weißrusslands autoritärer Machthaber Alexander Lukaschenko begibt sich bei Wahlen buchstäblich auf die „Siegerstraße“. Auf dem „Prospekt der Sieger“, so heißt die breite ehemalige Sowjetallee von Minsk, im Wahllokal Nummer 1 machte der seit 21 Jahren regierende Dauerherrscher gestern sein Kreuzchen. Man darf davon ausgehen, hinter seinem eigenen Namen, denn der 61-Jährige hat sich das vermeintlich ehrgeizige Ziel von mindestens 80 Prozent bei der Präsidentschaftswahl gesetzt.
Dass Lukaschenko die Ex-Sowjetrepublik für fünf weitere Jahre führen wird, bezweifelte schon vor der Wahl niemand. „Europas letzter Diktator“, wie Lukaschenko nicht nur im Westen genannt wird, lehnt Demokratie und Pluralismus nach westlichem Muster offen ab. Seine drei Mitbewerber gelten als reine Zählkandidaten. Selbst bei der ersten weiblichen Bewerberin Tatjana Korotkewitsch, die als einzige echte Oppositionelle gilt, gehen Beobachter davon aus, dass sie nur deshalb kandidieren darf, weil es dem Regime nutzt. Lukaschenko brauche eine gute Bewertung der Wahl durch die europäische Beobachterorganisation OSZE, um die zerrütteten Beziehungen zur EU aufzubauen, sagen Bürgerrechtler.
Brüssel hat harte Sanktionen gegen Minsk verhängt und bestraft damit Druck auf Opposition und Zivilgesellschaft. Die Strafmaßnahmen haben die wirtschaftliche Abhängigkeit vom „großen Bruder“und engsten Partner Russland verschärft. Lukaschenko möchte das ändern – bei aller Loyalität zu Moskau – und hofft auf westliche Finanzspritzen. Nach der Wahl 2010, als Lukaschenko knapp 80 Prozent der Stimmen zugesprochen bekam, knüppelten Polizisten in Minsk zum Entsetzen des Westens Demonstranten nieder. Viele Oppositionelle landeten im Gefängnis. Der Schock von damals sitzt bis heute tief.
Einige hundert mutige Regimegegner zieht es am Vorabend der Wahl trotzdem auf die Straßen zu einer nicht genehmigten Kundgebung. Mit „Sascha-verschwinde“-Chören fordert die Menge Lukaschenkos Rücktritt. Vereinzelt wedeln EU-Banner in der kalten Abendluft. Manche tragen Bilder der neuen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Aktivisten sehen in der Auszeichnung für die Lukaschenko-Kritikerin einen Hoffnungsschimmer. Die Behörden lassen die Regimegegner gewähren. „Ich habe angeordnet, dass niemand vor der Wahl angerührt wird“, erklärt Lukaschenko später. Doch die Drohung schwingt mit.
Viele der jungen Demonstranten wollen nicht wählen gehen. „Am Tag nach der Wahl wird dieser kurze Moment der Freiheit wieder vorbei sein“, meint ein Student. Viele Weißrussen kritisieren, dass sie keine echte Wahl hätten. In Minsk geben sich trotz breiter Unzufriedenheit die Bürger in den Wahllokalen die Klinke in die Hand. Doch Schlangen wie früher in der Sowjetrepublik bilden sich nicht. OLesen
Sie im wie Swetlana Alexijewitsch auf die Wahl reagiert