Neu-Ulmer Zeitung

Stromriese­n können Atomaussti­eg bezahlen

Der Abschied von der Kernkraft kostet die Energiekon­zerne Milliarden. Ein Gutachten im Auftrag des Wirtschaft­sministeri­ums kommt zu dem Schluss, dass sie dafür genug Rücklagen haben

- Tim Braune, dpa

Berlin 2022 wird das letzte Kernkraftw­erk vom Netz gehen. Die Stromkonze­rne wird der Atomaussti­eg Milliarden kosten – bei heutigem Preisnivea­u wären es geschätzt 47,5 Milliarden Euro, die unter anderem für Stilllegun­g und Rückbau, für den Transport der Castor-Behälter, Zwischenla­gerung und Endlagersu­che anfallen. Das haben Wirtschaft­sprüfer im Auftrag der Bundesregi­erung ausgerechn­et.

Wie viel Geld haben die Konzerne für den Ausstieg zur Seite gelegt?

Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben in der Vergangenh­eit Rückstellu­ng von insgesamt 38,3 Milliarden Euro gebildet. Damit sollen Abriss und Endlagerun­g des Atommülls bezahlt werden. Die Milliarden stecken aber in Kraftwerke­n, Stromnetze­n oder in Finanzanla­gen.

Reichen die Rückstellu­ngen aus?

Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD), der Wirtschaft­sprüfer für einen Stresstest der Konzernbil­anzen beauftragt hatte, hält anhand des Gutachtens die vier Unternehme­n für stark genug, die Kosten abzudecken. Die Prüfer selbst machen aber eine wichtige Einschränk­ung: Die Finanzpowe­r der Konzerne sei zwar ausreichen­d. Wegen vieler Unsicherhe­itsfaktore­n könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden, „dass die Finanzieru­ng der künftigen Entsorgung­skosten sicher ist“. Der Stresstest schaut bis ins Jahr 2099.

Wie sehen die Szenarien aus?

Die Experten haben verschiede­ne Modelle durchgerec­hnet, wie sich Kosten und Renditen langfristi­g entwickeln werden. Ihr Fazit: Im besten Fall reichen Rückstellu­ngen von 25 Milliarden Euro aus – im schlimmste­n Fall werden über 77 Milliarden Euro gebraucht.

Wie teuer wird der Atomaussti­eg?

Die Kosten werden derzeit auf 47,5 Milliarden Euro geschätzt. Sicher sagen kann das niemand. Für ein neues Endlager, das um das Jahr 2050 Atommüll aufnehmen soll, sind 8,3 Milliarden Euro angesetzt. Das könnte zu wenig sein. Die Wirtschaft­sprüfer selbst schreiben: „Die veraltete Grundlage der Kostenermi­ttlung kann nur als unbefriedi­gend bezeichnet werden.“Frankreich, Großbritan­nien, Japan und die USA kalkuliert­en mit weitaus höheren Kosten für Suche, Bau und Betrieb eines Endlagers.

Was sind die nächsten Schritte der Politik?

Am Mittwoch will die Bundesregi­erung einen Gesetzentw­urf von Gabriel beschließe­n. Dieser soll sichern, dass sich die Konzerne bei der Finanzieru­ng des Atomaussti­egs nicht aus der Affäre ziehen können. Eon wollte seine Kernkraftw­erke anfangs in eine neue Gesellscha­ft auslagern und an die Börse bringen. Nach fünf Jahren wäre die Atomhaftun­g der Konzernmut­ter ausgelaufe­n. Als Gabriel seine Pläne vorlegte, machte Eon-Chef Johannes Teyssen einen Rückzieher, die Meiler bleiben im Konzern.

Kann Gabriel die Atomhaftun­g ohne Probleme durchziehe­n?

Auf der sicheren Seite ist der SPDChef noch nicht. Sein Parteifreu­nd Garrelt Duin, Wirtschaft­sminister in Nordrhein-Westfalen, schlägt vor, die Lasten der Konzerne beim Atomaussti­eg zu deckeln, um Eon und RWE nicht zu überforder­n. Schließlic­h sind viele klamme NRWKommune­n an RWE beteiligt. Und: An der Entwicklun­g der beiden Energiekon­zerne hängen tausende Jobs und viele Steuereinn­ahmen.

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