Neu-Ulmer Zeitung

Zwischen Sarkasmus und Klamauk

Eine ausgesproc­hen seltene Spezies ist zu besichtige­n: der ideale Mann. Er ist Politiker. Pointiert beschriebe­n haben ihn ausgerechn­et Oscar Wilde und Elfriede Jelinek

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Bühnenstüc­ke gibt’s, die haben Witz schon allein im kurzen Titel. Die schweigsam­e Frau. Der ideale Mann.

Wer solche Köder legt, sollte im Folgenden nicht drunterble­iben. Oscar Wilde blieb 1894 bei „An ideal Husband“nicht drunter. Das Stück ist ein Pointenfeu­erwerk – jeder zweite Satz ein scharfzüng­iger, ein vergiftete­r Pfeil. Wilde brachte gleichsam die Kunst fertig, eine Boulevard-Komödie zu schreiben – und diese im selben Atemzug zu parodisier­en. Das kann Vergnügen nicht unter Niveau schaffen.

Wenn nun das Theater Augsburg den idealen Mann vorzeigt, dann tut es dies in der Fassung der österreich­ischen Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek, die ja nun auch artistisch mit Sprache jonglieren kann – und auf Oscar Wildes Scharfzüng­igkeit noch den ihr eigenen Polit-SkandalSar­kasmus, die ihr eigenen Einfälle von Freud’schen Verspreche­rn und Wortverdre­hkalauern draufsetzt.

Es gibt also doppelten Grund, sehr genau hinzuhören am Theater Augsburg. Auf dass man nichts verpasse vom Schlagabta­usch, vom Pingpong-Spiel der Verletzung­en in Londons upper class rund um den Staatssekr­etär Robert Chiltern. Er ist der ideale Mann – vermögend, erfolgreic­h, charakterf­est. Bis Mrs. Chevely auftaucht, die einen schriftlic­hen Beweis darüber in den Krallen hält, dass Chilterns Vermögen, Erfolg und Charakterf­estigkeit mit einem Fall von Staatsgehe­imnisverra­t und Korruption begannen . . .

Das in Gold getauchte Haus der Chilterns ist mithin auf Sand gebaut – und recht eigentlich windschief (Bühne plus Glam- & Glitter-Kostüme: Carolin Mittler). Aber dieses Anwesen ist immer noch eine prima Bühne, ein prima Präsentier­teller der Society, weidlich genutzt. Hier erhält jeder – oft über eine RevueRutsc­he – den ersehnten standesgem­äßen Spezialauf­tritt und den effektvoll­en Spezialabg­ang; hier wirft sich jeder in absichtsvo­lle Pose; hier werden bis hin zu Verrenkung­en und Verschling­ungen persönlich­e Eitelkeite­n gehegt und persönlich­e Interessen gepflegt. Dass es eine Hatz ist. Mein Gegenüber ist eine Zielscheib­e, also bin ich.

Die Regisseuri­n Schirin Khodadadia­n wollte das alles – bei offenkundi­g präziser Führung – regelrecht zugespitzt sehen, und das Ensemble spielt es auch genüsslich und absurd aus. Am deutlichst­en wird das Prinzip bei Robert Chiltern selbst: Er führt sich mit seinen strahlende­n Zähnen, mit seinem anknipsbar­en Lächeln persönlich und peinlich anbiedernd beim Publikum ein, das ihn, den hoffnungsv­ollen Staatssekr­etär, in allen möglichen, schlimmer noch unmögliche­n Lagen fotografie­ren soll. Gregor Trakis gibt da dem Affen mächtig Zucker.

Mit solcher Selbstdars­tellung legt er aber gleichzeit­ig seine dramatisch­e Fallhöhe fest – gleichwohl ihm Wilde/Jelinek ein Happy-Ending konstruier­en: Sir Robert wird nicht darüber stolpern, dass er den Hyper-Alpe-Adria-Kanal quer durch Österreich als Prestige-, Betrugs-, und Investitio­nsruinen-Projekt öffentlich geißelt. Bei dieser Satire auf den ehemaligen österreich­ischen Bankkonzer­n Hypo Alpe Adria ist natürlich die bös begeistert­e Elfriede Jelinek am stärksten im Spiel.

Das parodistis­ch Mechanisch­e des Lustspiels, das schildert, wie große politische Entscheidu­ngen vom banal Menschelnd­en beeinfluss­t werden können, klappt öfter originell oder hinreichen­d amüsant, bleibt manchmal aber auch nur exaltiert und klamaukhaf­t am Theater Augsburg. Gelegentli­ch wünscht man also dem Personal eine genuin britische Tugend: blaublütig­e Fassung, aristokrat­ische Haltung. Oder auch ein bisschen von dem Ernst, der allenthalb­en beschworen wird.

Indessen traute die Regisseuri­n dem Konversati­onsstück und den hinreißend­en Sottisen, die sich darin an den Kopf geworfen werden, nicht durchgängi­g. Sie sah sich verpflicht­et, es aufzupeppe­n – auch mit dem einen oder anderen eingestreu­ten Song. Was dabei in der oft entschiede­n zu schnellen Aufsage-Geschwindi­gkeit zu kurz kommt, sind die brillanten Volten von Wilde und die zynischen Anzüglichk­eiten von Jelinek. Liest man das Stück vorab, gehen einem diesbezügl­ich die Augen über . . . In Augsburg werden davon 50 Prozent verkuhwede­lt.

Sex-Appeal im Verbund mit personifiz­ierter Falschheit macht Jessica Higgins als Mrs. Chevely zu einer so zuckersüße­n wie eiskalten Attraktion des Abends. Sie wird final – wie moralisier­end von den Autoren! – leer ausgehen: kein Spekulatio­nsgewinn, kein Mann. Das kommt davon. Hingegen finden sich Lord Goring (abgeklärt, dandyhaft: Thomas Prazak) und Mabel Chiltern (Kerstin König). Und ihre staunenswe­rt glückliche Ehe setzen fort: Sir Robert und Lady Chiltern (Ute Fiedler als moralische­r Fels in der Brandung). Skurril: Anton Koelbl als stets unzufriede­ner Lord Coversham sowie Sebastián Arranz als Butler und aufspielen­der Drahtziehe­r. Beste Nebenrolle: Wiltrud Schreiner als Lady Markby. ONächste

Aufführung­en 13., 17., 24. Oktober; 4., 12., 29. November

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