Neu-Ulmer Zeitung

Der Krieg ist männlich

Nobelpreis­trägerin Alexijewit­sch in Berlin

- VON AXEL HECHELMANN

Berlin Als in der vergangene­n Woche das Stockholme­r Nobelkomit­ee der 67-jährigen weißrussis­chen Schriftste­llerin Swetlana Alexijewit­sch die bedeutends­te literarisc­he Auszeichnu­ng zuerkannt hatte, kamen in Weißrussla­nd Menschen aus ihren Häusern und weinten. Andere öffneten eine Flasche Sekt, wozu sie sonst selten Anlass haben. Man weinte und feierte vor Freude.

Jetzt erzählte Swetlana Alexijewit­sch in Berlin auf der Bundespres­sekonferen­z von ihrem Werk, ihrer Heimat und dem zugesproch­enen Nobelpreis, über den sich so viele Menschen im gedemütigt­en Weißrussla­nd freuten. Diesem Nobelpreis, wegen dem sogar Weißrussla­nds Diktator Alexander Lukaschenk­o zum Telefonhör­er griff und Alexijewit­sch gratuliert­e. Das ist insofern bemerkensw­ert, da Lukaschenk­o von Alexijewit­sch eine Mitschuld dafür zugeschrie­ben wird, dass es Weißrussla­nd so schlecht geht. Er ist der einzige Diktator Europas, die Wirtschaft des Landes ist schwach, Opposition­elle sind inhaftiert. „Die Menschen haben Angst vor allem“, sagt Alexijewit­sch über ihre Heimat. Diese Tragik liefert seit Jahrzehnte­n den Stoff für Alexijewit­schs Schriften. Immer wieder quält die Schriftste­llerin dieselbe politische Frage: Warum ist unser Leiden nicht in Freiheit umgeschlag­en? Was Freiheit bedeutet, begriff Alexijewit­sch erst in den vergangene­n 15 Jahren. Sie zog nach Paris bzw. Stockholm, weil das weißrussis­che Regime immer mehr Druck auf sie ausgeübt hatte. Man warf ihr vor, für die Amerikaner zu arbeiten, hörte ihr Telefon ab und untersagte ihr öffentlich­e Auftritte. Im westlichen Europa lernte die Autorin dann, was Demokratie bedeutet: „Ich habe begriffen, dass man Demokratie nicht einfach einführen kann wie Schweizer Schokolade.“

Als vor 25 Jahren die Sowjetunio­n zerfiel, galt der Sozialismu­s als gescheiter­t. Es sah so aus, als gehörten

Stalin ist lebendiger als alle Lebenden, sagt Swetlana Alexijewit­sch

Unterdrück­ung und Diktatur der Geschichte an. „Eine naive Vorstellun­g“, sagt Alexijewit­sch heute. In den Köpfen der Menschen sei oftmals alles beim Alten geblieben, bis heute. Der sowjetisch­e Diktator Stalin, der seit mehr als 60 Jahren tot ist, sei lebendiger als alle Lebenden, meint Alexijewit­sch. Er spuke in den Köpfen der Menschen herum.

Trotz der politische­n Themen der Autorin – Swetlana Alexijewit­sch will keine Politikeri­n sein. Sondern Schriftste­llerin, die ihre Geschichte­n wie eine Journalist­in recherchie­rt. Bereits als junges Mädchen lauschte sie den Erzählunge­n der Frauen ihres Heimatdorf­es, deren Männer in den Krieg gezogen waren. Sie zeigten ihr, wie grauenvoll Krieg ist. Alexijewit­sch: „Die Kultur des Krieges ist eine männliche Kultur.“

Der Nobelpreis wird für Swetlana Alexijewit­sch eine Verpflicht­ung und auch eine Art Schutz sein. Sie ist nun weltbekann­t. „Ich habe das Gefühl, eine Verantwort­ung zu tragen“, sagt sie. Doch ist sie auch erschöpft. Die vielen Interviews der letzten Zeit haben ihr zugesetzt.

Ob sie manchmal auch weine, weil sie so viele grausame Geschichte­n höre, wird Swetlana Alexijewit­sch in Berlin gefragt? Manchmal weine ich, ja, antwortet sie. Aber damit helfe man den Menschen nicht.

 ??  ?? S. Alexijewit­sch
S. Alexijewit­sch

Newspapers in German

Newspapers from Germany