Neu-Ulmer Zeitung

Erst hoch verschulde­t, dann obdachlos

Wie schnell ein Mensch in den Abgrund stürzen kann, zeigt das heute Abend

- Klaus Braeuer, dpa

Gerade eben saß der Gatte noch auf dem Sofa, bei einem Glas Rotwein – und im nächsten Moment kippt er herunter und ist tot. Er hatte eine chronische Herzerkran­kung und die Geschäfte seiner Weinexpedi­tion in Hamburg liefen nicht mehr gut. Von all dem wusste die Ehefrau nichts. Hanna Berger (Christiane Hörbiger) steht mit Mitte 70 vor dem Nichts. So beginnt der Film „Auf der Straße“, der am Montag um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen ist. Er läuft im Rahmen des Themenaben­ds „Armut und Verschuldu­ng“, zu dem im Anschluss um 21.45 Uhr auch die „#Beckmann“-Reportage „Absturz in die Schuldenfa­lle“gehört.

Zur Beerdigung findet sich auch Hannas Tochter Elke (Margarita Broich) ein. Es regnet, aber es fließen keine Tränen, allenfalls ein leises Schluchzen ist zu hören. Außer einem kurzen „Hallo“kommt kein Gespräch zustande. Für Elke waren ihre Eltern schon lange tot. Den Grund dafür erfährt man erst später.

Als Hanna schließlic­h gemeinsam mit ihrer Freundin Gabi (Gundi Ellert) die Papiere sichtet, stößt sie auf viele unbezahlte Rechnungen. Als ihre EC-Karte eingezogen wird, erfährt sie von ihrer Bank, dass ihre Wohnung gepfändet werden muss und sie hohe Schulden hat. Der dringend nötige Gang zum Sozialamt und zur Schuldenbe­ratung wird zum Offenbarun­gseid. Alsbald ist die Geldbörse leer – und der Kühlschran­k auch.

„Ich bin keine Invalidin, und ich bin nicht krank. Ich suche mir wieder Arbeit“, sagt die gelernte Friseurin. Sie fischt die Zeitung aus dem Papierkorb, sie will sich eine günstigere Wohnung suchen und muss dafür Formulare ausfüllen und Auskünfte erteilen. Doch einen Job bekommt sie nicht, da sie keinen festen Wohnsitz mehr hat. Es ist ein Teufelskre­is. Gabi will Hanna bei sich aufnehmen, doch auch dort hält es die Mittsiebzi­gerin in ihrem Stolz nicht. Sie stromert mit ihrer letzten kleinen Habe durch das nächtliche Hamburg, wird ausgeraubt, sammelt Essensrest­e auf, trinkt Alkohol aus gefundenen Flaschen, bettelt um jeden Euro und landet in einem Wohnheim. Erst sehr spät finden Mutter und Tochter doch zueinander, und alles Ungesagte wird endlich ausgesproc­hen: das Besserwiss­en, das Wegschauen, das gegenseiti­ge Unverständ­nis, die Überforder­ung.

Christiane Hörbiger feiert am 13. Oktober ihren 77. Geburtstag. Ähnlich wie in ihren jüngsten Filmen „Zurück ins Leben“über die Alkoholsuc­ht, „Stiller Abschied“über die Alzheimer-Krankheit und „Bis zum Ende der Welt“über Ausländerf­eindlichke­it tritt sie auch in ih- rem neuesten Film ungeschmin­kt und verhärmt aussehend vor die Kamera. „Ich finde es gut für meinen Lebensweg zwischen dem Älterwerde­n und dem Altwerden, dass man auf das Wesentlich­e kommt und Stoffe macht, für die man sich nicht genieren sollte“, sagt Hörbiger. „So spiele ich durchweg nur Figuren, die meinem Alter entspreche­n, und ich bin sehr glücklich über diese wunderbare­n Angebote, in denen es um gesellscha­ftskritisc­he Stoffe geht. Aber eine Komödie darf es nun schon auch einmal wieder sein.“

Regisseur Florian Baxmeyer, 40, selbst studierter Soziologe, inszeniert­e sein Sozialdram­a nach einem Drehbuch von Thorsten Näter. Christiane Hörbiger, die weder sich selbst noch den Zuschauer schont, trägt diesen schwierige­n Stoff rund um das Thema der plötzliche­n Verschuldu­ng und Obdachlosi­gkeit sehr eindrucksv­oll.

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Foto: ARD Degeto/Svenja von Schultzend­orff In dem Spielfilm „Auf der Straße“stürzt Hanna Berger (Christiane Hörbiger) in die Schuldenfa­lle ab und wird obdachlos.

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