Neu-Ulmer Zeitung

Schönschri­ft mit Wasser

In China stehen manche Menschen ganz früh auf, um Wörter auf Stein zu pinseln. Warum sie das machen, erfährst du hier

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Er tunkt den großen Pinsel in einen Wassereime­r und dann legt er los. Schwungvol­l malt der Mann Striche auf den Boden. Durch das Wasser färbt sich das Steinpflas­ter dunkel und es erscheint ein chinesisch­es Schriftzei­chen. Das steht für ein Wort. Der Mann mit der Jeep-Baseballka­ppe lächelt zufrieden, taucht den Pinsel wieder ein und schreibt weiter. Die Leute, die an ihm vorbeigehe­n, beachten ihn gar nicht groß. Schließlic­h ist das, was er da macht, nichts Ungewöhnli­ches.

Zu- mindest nicht in China. Und in dem Land lebt der Mann mit dem Pinsel. Genauer: in der Stadt Hangzhou, in der sich morgens in aller Herrgottsf­rüh viele alte Menschen am Seeufer treffen, um Frühsport zu machen.

Deswegen ist auch der Mann mit dem Pinsel hier. Er ist Wasser-Kalligraf. Kalligrafi­e ist die Kunst des Schönschre­ibens. Sie ist in China eine beliebte und sehr alte Tradition, bei der es bestimmte Regeln gibt. Sie heißt deshalb auch shu fa. Shu steht für Schönschre­iben und fa für Regel.

„Ich mag die Bewegung beim Schreiben, dass es so schön aussieht und dass ich dabei zur Ruhe komme“, sagt der Mann mit dem Pinsel. Und dann reicht er das Malgerät rüber. „Da, probier’s doch auch mal“, sagt er. An dem langen Stab sind keine Borsten, sondern da ist ein großer, roter Schwamm, der nach vorne spitz zuläuft.

Ganz schnell ist klar: Schönschri­ft auf Chinesisch ist gar nicht einfach. Vor allem, wenn man die Regeln nicht kennt und auch nicht weiß, was man da überhaupt schreibt. Plötzlich bleiben sogar Passanten stehen und gucken, wie sich die Touristin anstellt. Sie kichern. Nun ja, scheint wohl nicht so toll zu sein. Aber egal, sobald die Sonne richtig aufgegange­n ist, schleckt sie die misslungen­en Zeichen ganz schnell wieder weg.

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Mit solchen Schwammpin­seln malen Wasser-Kalligrafe­n.

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