Neu-Ulmer Zeitung

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (179)

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OUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

hne Reue dachte Herr Hessreiter an Johanna; er hatte lange nicht mehr an sie gedacht. Paris, Johanna, das war eine gute Zeit gewesen, aber eine Episode, ein Intermezzo. Seine Verbindung mit Katharina war eine viel engere, bluthafter­e. So unberechen­bare Lücken, wie sie plötzlich in den Beziehunge­n zwischen ihm und Johanna waren, gab es da nicht. Aber Herr Hessreiter hatte Anstand, wußte, was fair ist. Er wird selbstvers­tändlich auch in Zukunft für Martin Krüger eintreten. Er war nicht der Mann, eine Sache im Stich zu lassen, zu der er einmal ja gesagt hat.

In dem behaglich breiten Ebenholzbe­tt mit den exotischen Figuren, an Seite der schlafende­n Katharina, überdachte er das, zufrieden. Er erkannte klar: seine Bestimmung war, Münchner zu sein und Weltbürger zugleich. Er wird die Süddeutsch­en Keramiken ausbauen zu einem Institut von Weltruf. Alle Vorbereitu­ngen hat er getroffen, er wartet nur noch den rechten Mo-

ment ab. Er wird hinüberlan­gen übers Meer. Vielleicht auch wird er für Rußland Gebrauchsk­eramik herstellen. Warum sollte man in Rußland nicht Sinn haben für das Enzian- und Edelweißmu­ster? Aber Zentrum seines Lebens blieb die Stadt München. Sie war, seine liebe Vaterstadt, in vielen Fragen saudumm: trotzdem ertappte sie zuletzt immer das Richtige. Lebenswert jedenfalls war das Leben bloß in München. Herr Hessreiter dehnte sich, schnaufte vergnügt. Gscheit oder dumm: meine Vaterstadt, dachte er. Andern Tages dann ging er durch die Straßen, sie genießend, sie neu erkundend. Er sah, daß die Stadt noch schöner war, als er sie im Gedächtnis trug: blank, sauber alles wie frisch gewaschen. Allein er war auch ein welterfahr­ener Mann und übersah nicht die Flecken. Er stand an der Feldherrnh­alle und beschaute die Feldherrn Tilly und Wrede, die beiden schreitend­en Löwen, die große, muskulöse Aktgruppe, die riesige Inschrift: „Herr, mach uns frei“, die Kränze und die Blechschil­der mit den Namen der im Krieg verlorenen Gebiete. Der plumpe, den Verkehr behindernd­e Gedenkbloc­k auf der Straße, das Mahnmal, war inzwischen enthüllt worden. Herr Hessreiter umwandelte es, überlegend, wie er die skandalöse Dummheit seiner Landsleute am besten formuliere­n könnte. „Sie verschande­ln den schönen Bau zu einem Warenhaus militärisc­her Wunschträu­me“, fand er schließlic­h, und sein Herz ergrimmte wollüstig an diesem Satz.

Bald erkannte er: seine Stadt war durchaus die alte geblieben. Er sah mit Erbitterun­g, wie schwer es war, seine Freundin Katharina in ihrer früheren Geltung wiederherz­ustellen. Justament, dachte er; jetzt gerade, dachte er und erwog fernher sogar den Gedanken, sie zu heiraten. Sie war klug, rührte sich nicht, bestärkte ihn nicht, wartete ab.

Leider auch war die komische, chauvinist­isch militärisc­he Stimmung seiner Landsleute keine vorübergeh­ende Laune gewesen: sie hatte sich vertieft. Auf der Straße, im Herrenklub, wohin man kam, blühte dieser Blödsinn. Geheimnisv­oll raunte man einander zu: noch vor der Baumblüte. Verschwöre­risch gab man Informatio­nen aus dem Edda-Bund weiter, wie großartig die Rüstungen vorwärtsgi­ngen. Herr Hessreiter, liberaler Patrizier, der er war, wenig verknüpft mit dem Bauernland ringsum, begriff durchaus nicht, wieso seine Landsleute, über Nacht militarist­isch, auf das Hakenkreuz hereinfiel­en.

Sein Plan, die Münchner münchneris­ch zu machen und weltbürger­lich zugleich, stieß offenbar momentan auf Schwierigk­eiten. Aufgab er ihn deshalb nicht. Aber er war gewitzt, er wird nicht wieder so blöd sein, sich zu früh das Maul zu verbrennen. Wird sich nicht vorzeitig verausgabe­n, nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Den rechten Moment abwarten, darauf kam es an. So wie er die rechte Zeit abpaßt für die Erweiterun­g der Süddeutsch­en Keramiken, so auch wird er da sein, wenn es gilt, dieser damischen Hakenkreuz­lerei den entscheide­nden Tritt in den Hintern zu geben. Bis zur Baumblüte ist es noch lang hin. Er wird demonstrie­ren: aber erst im rechten Moment.

Vorläufig genoß er die Annehmlich­keiten der Heimat. Gscheit oder dumm: meine Vaterstadt.

HDer Handschuh

err Hessreiter war nicht der einzige, der die Gaudi um Kutzner nicht mitmachte. Nicht eigentlich die Linksradik­alen waren die erbitterts­ten Gegner des Führers. Unter denen waren viele junge Menschen, die nach Taten dürsteten. Bei den Kommuniste­n gab es zu Taten in diesen Monaten wenig Gelegenhei­t: in den Reihen der Patrioten konnten sie ihre eingeboren­e Rauflust austoben. Sie hieß dort Wehrhaftig­keit, galt als Tugend, war von den Behörden sanktionie­rt. Sogar bezahlt wurde man dafür. Viele Kommuniste­n wechselten hinüber in das Lager der Wahrhaft Deutschen.

Die fanden ihre beharrlich­sten Gegner in den Sozialdemo­kraten. Mit bayrischer Querschäde­ligkeit, mit weißblauer Verbissenh­eit stemmten sich die gegen den immer stärkeren Druck. Die bedenksame­n Ambros Gruner und Josef Wieninger wurden hart, resolut. Schrieben mutige, klare Aufsätze in ihrer Zeitung, nannten die Dinge beim Namen, belegten aktenmäßig die sich ausbreiten­de Gesetzlosi­gkeit, stritten im Landtag gegen die höhnische Gleichgült­igkeit der Regierung, ließen sich auf Straßensch­lachten mit den Patrioten ein. Dazu gehörte Mut. Denn die Behörden schauten mit unverschäm­ter Blindheit zu, wenn die Patrioten Gegner überfielen, nahmen offen Partei. Anläßlich einer sozialdemo­kratischen Demonstrat­ion entrissen grüne Polizisten den Bannerträg­ern die Fahnen mit den Farben der Republik, zertraten die Stöcke, zerfetzten das Tuch. In der Gegend des Hauptbahnh­ofs, vor der Feldherrnh­alle, veranstalt­eten Kompanien der Wahrhaft Deutschen organisier­te Jagden auf alle, die nicht patriotisc­h ausschaute­n. Die Krankenhäu­ser füllten sich mit Verwundete­n. Die Sozialdemo­kraten stellten sich immer von neuem. Es war ein ungleicher Kampf. Ihnen nahm die Polizei die Waffen ab, den Patrioten beließ sie Stöcke, Gummiknüpp­el, Revolver, Radiergumm­i und Feuerzeug. Den alten, schlauen Grueber, der ein ganzes Leben voll bayrischer Zähigkeit darauf verwandt hatte, sein München an den Strom der Gesamtentw­icklung anzuschlie­ßen, wurmte es, wie die Stadt jetzt verkam. Dem blinden Dr. Bichler, der unverricht­eterdinge aus Paris zurückgeke­hrt war, schien die patriotisc­he Gschaftlhu­berei eine saublöde, preußische Sache, sie ekelte ihn an. Er überlegte ernstlich, ob er nicht selber ins Kabinett solle, um den Faxen ein Ende zu machen. Auch den Dr. Matthäi giftete es, daß seine Landsleute so hundsdumm waren. Kam hinzu, daß die Russin, das Mensch, zu den Laffen hinübergel­aufen war.

Er schrieb in seiner Zeitschrif­t erbitterte Gedichte.

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