„Ich bin ja kein Volldepp!“
Bald wird er 70 – und ist so präsent wie lange nicht mehr. Jetzt tritt er beim Augsburger Brechtfestival auf. Wie auf seinem aktuellen Album „Ohne Warum – live“zeigt er sich auch im Gespräch als Moralist
In Ihrem aktuellen Lied „Ich habe einen Traum“träumen Sie davon, die Grenzen zu öffnen und alle hereinzulassen, die vor Hunger und Mord fliehen. Viele Menschen jedoch haben Angst vor Ausländern, Flüchtlingen, vor dem Islam. Wie erklären Sie sich diese Angst?
Ich habe festgestellt, dass es in erster Linie nur um Xenophobie geht. Die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Neuen. Die Angst, aus seinem scheinbar sicheren Umfeld herausgerissen zu werden. Da schließt sich in den Menschen anscheinend etwas ab. Sie denken nicht daran, was es für eine Bereicherung sein könnte, mit ganz anderen Menschen zusammenzukommen. Wie denken Sie über die sogenannten Wutbürger?
Zuerst einmal wäre es gar nicht so schlecht, dass sich Menschen empören, das ist ja demokratisch. Aber sie suchen sich das schwächste Glied in der Kette aus, die Flüchtlinge, die Ärmsten der Armen – anstatt ihre Empörung dorthin zu tragen, wo sie verursacht wird. Verursacht wird sie in einem gnadenlosen Finanzsystem, das mittlerweile die Welt in einer Art im Griff hat, dass man nicht mehr weiß, ob sie noch zu retten ist. Ein Prozent der Menschheit hat so viel Vermögen angehäuft wie die restlichen 99 Prozent! Das muss doch jeden vernünftig Denkenden in Unruhe versetzen. Das kapitalistische System hat versagt. Sie sind Pazifist. Schon Ihr Vater, der Maler Alexander Wecker-Bergheim, hatte unter Hitler den Kriegsdienst verweigert. Was waren die Folgen seines Ungehorsams?
Mein Vater hatte großes Glück. Derselbe Oberst, der ihn nicht als Kriegsverbrecher an die Wand stellen ließ, hat ihn aus einem empathischen Akt heraus für verrückt erklären lassen. Das war seine Rettung; dann konnte er sogar noch die Nazizeit überstehen. Interessanterweise hat mein Vater diesen Mann Anfang der 50er Jahre zufällig in München wieder getroffen und sich bei ihm bedankt. Es gab im Dritten Reich mehr zivilen Widerstand, als man anfangs wahrhaben wollte. Es war natürlich bequemer zu sagen, wir waren alle so. Aber es gab diese kleinen Helden!
Während die Musik der 60er und 70er Jahre Teil der Protestkultur gegen den Vietnam-Krieg wurde, gibt es kaum bekannte Songs, die mit den Feldzügen der Amerikaner in Afghanistan und dem Irak in Zusammenhang gebracht werden. Wie erklären Sie sich das?
Bis auf die braven Crosby, Stills, Nash & Young mit ihrem „Let’s Impeach The President“hat es nicht viel gegeben. So was wie „Imagine“ist kaum mehr vorstellbar. Der Neoliberalismus hat vor 20 Jahren begonnen, mit sehr viel Geld Thinktanks aufzubauen und die Gesellschaft mit seiner Ideologie zu infiltrieren. Das ist unglaublich gut gelungen. Im marxistischen Sinn könnte man sagen, die Konterrevo- lution hat gesiegt. Den in den 80ern Geborenen wurde durch Werbung und PR klargemacht, dass es völlig unsexy sei, sich auch nur in irgendeiner Weise politisch aus dem Fenster zu lehnen. Das Einzige, was wirklich toll sei, ist dufte Kleidung von den richtigen Marken zu tragen. Das ist auch nichts Verschwörungstheoretisches, sondern ein normaler kapitalistischer Vorgang mit einer PR, die schon fast einer Gehirnwäsche gleicht. Ist eine andere Welt möglich oder wird sie immer Utopie bleiben?
Das Schöne an einer Utopie ist, dass man sie sich nicht als eine perfekte andere Welt vorstellt, denn dann wäre es eine Ideologie. Sondern es ist etwas, das immer im Fluss bleibt. Es ist zuerst einmal der Traum von einer gerechteren Welt, in der nicht Schiffe mit Flüchtlingen bombardiert werden. In der man mit allen Menschen miteinander lachen, essen und trinken kann. Mir wird oft vorgeworfen, das sei unglaublich naiv. Ich könne doch nicht in mein Haus 50 Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Das weiß ich natürlich auch, ich bin ja kein Volldepp! Es ist immer schon das Wesen der Poesie gewesen, in Symbolen zu sprechen. Manchmal habe ich das Gefühl, die Poesie wird auch von gut meinenden Menschen nicht mehr so ganz verstanden.
Sie bezeichnen sich als Ungehorsamen. Wie weit geht Ihr Ungehorsam?
Mein Freund Martin Löwenberg ist inzwischen 90 und hat den Holocaust überlebt. Auch in der Nachkriegszeit wurde er zweimal verhaftet und ungeheuerlicherweise wieder eingesperrt, weil er bei allen antifaschistischen Demonstrationen dabei war. Er sagt immer so schön: „Es kann legitim sein, was nicht legal ist.“Durchaus kann der Ungehorsam so weit gehen, dass man bestehende Gesetze auch brechen muss. Wenn die Idee des Ungehorsams in den Hirnen der Menschen des 20. Jahrhunderts gewesen wäre, dann wäre so etwas Ungeheuerliches wie das Dritte Reich nicht passiert. Wollen Sie mit Ihren Liedern aufklären und die Menschen wachrütteln?
Wenn ich damit auf Tour gehe, dann könnte ich sagen: Ja, es hat damit zu tun. Aber eigentlich will ich die Herzen der Menschen erreichen. Mein Publikum ist eigentlich schon aufgeklärt, aber es ist trotzdem noch wichtig, mit ihm zusammenzukommen. Ich glaube, ich konnte in den letzten 40 Jahren einigen Menschen Mut machen. Wenn ich schreibe, geht es mir zuerst mal um gar nichts, sondern ich will es schreiben. Ich hatte mit ein, zwei Ausnahmen nie eine Botschaft in meinen Texten. Auch der bekannte „Willy“ist mir während einer Probe mit meinen Musikern innerhalb von zehn Minuten einfach so passiert.
Sie haben Ihr 40. Bühnenjubiläum gefeiert und werden demnächst 70. Haben Sie rückblickend alles richtig gemacht und Ihren Auftrag als Künstler erfüllt?
Ich habe in meinem Leben durchaus vieles nicht richtig gemacht. Das wird sicherlich auch so bleiben. Ich glaube, ich bin mir als Künstler treu geblieben, wenn man von kleinen Ausrutschern absieht. Heute, im Alter, kann ich sagen, ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst, aber ich verrate meine Grundidee des Menschseins nicht: für eine herrschaftsfreie und empathische Gesellschaft einzutreten.
Interview: Olaf Neumann