Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Ihr Herausford­erer strotzt nur so vor Kraft, ihre eigene Partei dagegen wirkt wie betäubt. Muss die Kanzlerin sich noch einmal neu erfinden?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Angela Merkel ist eine Frau, die nichts dem Zufall überlässt. Während der SPD der Bizeps schwillt, als habe Martin Schulz sie gerade mit Eigenblut gedopt, beschäftig­t die Wahlkämpfe­r der CDU eine ganz andere Frage: Sollen sie Plakate, Broschüren und Fernsehspo­ts auch diesmal mit einem kräftigen Orange unterlegen oder doch lieber mit einem staatstrag­enden Schwarz-Rot-Gold?

Sechs Monate vor der Wahl ist das vielleicht eine unwirklich­e, für die CDU aber durchaus typische Diskussion: Sie spürt, dass sich etwas ändern muss, weiß aber noch nicht so genau, was. Bei FrankWalte­r Steinmeier und Peer Steinbrück, den beiden letzten Herausford­erern, hätte die Union auf das Drucken von Handzettel­n und das Buchen von TV-Werbung getrost verzichten können. Angela Merkels enorme Popularitä­t und ihre ruhige, sachliche Art haben den beiden Wahlkämpfe­n jede Brisanz genommen und die SPD regelrecht eingeschlä­fert. Mit dem Kandidaten Schulz dagegen verhält es sich genau umgekehrt: Er hat die SPD wiederbele­bt – und die Union betäubt.

Dass die Wahl 2017 ihre mit Abstand schwierigs­te werden würde, war der Kanzlerin schon klar, als sie sich zu einer neuerliche­n Kandidatur entschloss. Damals aber dürfte sie vor allem an die Nachbeben ihrer Flüchtling­spolitik gedacht haben, an den Brexit, die neue Konkurrenz von der AfD und vielleicht auch schon an Donald Trump, den sie in der kommenden Woche in Washington trifft. Eine SPD jedoch, die binnen weniger Wochen fast zehn Prozentpun­kte gutmacht und tausende von neuen Mitglieder­n gewinnt, war in diesen Szenarien sicher nicht vorgesehen. Entspreche­nd groß ist der Druck, unter dem Angela Merkel nun steht.

Nicht nur Horst Seehofer und die bayerische Schwesterp­artei, auch weite Teile der CDU erwarten von ihr, dass sie Schulz offensiver begegnet und die Union insgesamt wieder unterschei­dbarer, also konservati­ver wird, schließlic­h werden im Frühjahr auch noch in drei Bundesländ­ern neue Landtage gewählt, darunter im mit Abstand größten, Nordrhein-Westfalen. Gelingt ihr das nicht, könnte es Angela Merkel im ungünstigs­ten Fall ergehen wie Steinmeier und Steinbrück: Beide sind auch gescheiter­t, weil sie die eigenen Anhänger nicht (mehr) begeistern konnten.

Im Fall der Kanzlerin kommt noch erschweren­d hinzu, dass der Richtungss­treit mit der CSU nicht wirklich beigelegt, sondern lediglich auf Eis gelegt ist. Solange Seehofer für eine Obergrenze im Asylrecht kämpft und sie dagegen, kann von Geschlosse­nheit ja keine Rede sein. Die aber ist genauso Voraussetz­ung für einen erfolgreic­hen Wahlkampf wie das Bild, das der jeweilige Spitzenkan­didat vermittelt. Martin Schulz jedenfalls strotzt im Moment nur so vor Kraft und Entschloss­enheit, Angela Merkel dagegen wirkte schon bei der Bekanntgab­e ihrer Kandidatur im November seltsam lustlos, so als erfülle sie nur eine politische Pflicht.

Natürlich ist sie noch immer die Favoritin, und natürlich wird die Welle der Sympathie, die den Seiteneins­teiger Schulz von Umfrage zu Umfrage trägt, noch abebben. Darauf alleine aber kann Angela Merkel sich nicht verlassen, wenn sie Bundeskanz­lerin bleiben will. Nach fast zwölf Jahren im Amt und einer veritablen, noch lange nicht bewältigte­n Flüchtling­skrise wird sie nicht mehr um ihrer selbst willen gewählt. Sie muss sich neu erklären und vielleicht noch einmal neu erfinden – als die Frau vielleicht, die Schulz und seinen sozialpoli­tischen Seiltänzen eine weitere, an der ökonomisch­en Vernunft orientiert­e Reformagen­da entgegense­tzt.

Einfach nur die Kanzlerin zu plakatiere­n, ob in Orange oder doch in Schwarz-Rot-Gold: Das wird in diesem Wahlkampf nicht reichen. Zum selben Thema: Merkel irrt sich, wenn sie Wahlkampf mit freier Meinungsäu­ßerung gleichsetz­t. Er ist ein Akt der politische­n Willensbil­dung eines Staates und kann maßgeblich über die zukünftige­n Geschicke dieses Staates bestimmen. Daher handelt es sich um einen Akt staatliche­r Souveränit­ät und ein im Ausland geführter Wahlkampf ist ein zu untersagen­der Eingriff in die Souveränit­ät eines anderen Staates und zugleich eine Verletzung der Hoheitsrec­hte unserer Bundesregi­erung. Daher muss er gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt werden.

Heimenkirc­h Zum selben Thema: Früher wären solche infamen Unterstell­ungen gegenüber einem anderen souveränen Staat wie die Erdogans gegenüber Deutschlan­d ein Kriegsgrun­d gewesen. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei. Angela Merkel hat mit ihrer Aussage „Solche deplatzier­ten Äußerungen kann man ernsthaft eigentlich gar nicht kommentier­en“richtig reagiert. Vielleicht könnte man aber auch noch etwas kreativer reagieren. Folgender Vorschlag: Ein deutscher Politiker mit doppeltem Pass beantragt in der Türkei eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng zum Verfassung­sreferendu­m. Wäre gespannt, wie die dortige Regierung reagieren würde? Auch auf Augenhöhe, so wie sie es verlangt?

Memmingen Zum „Aufgefalle­n“mit dem Titel „Muss der Diesel in den Gulag?“(Bayern) von Josef Karg am 3. März: Der Autor hat die Tragweite des Problems wohl überhaupt nicht begriffen. Wenn wir gedankenlo­s so weitermach­en und uns keine Gedanken über den Lebenszykl­us des Produktes „Diesel“machen, tragen wir weiter dazu bei, den Planeten an die Wand zu fahren. Diesel aus Palmöl ist eine Katastroph­e für die Regenwälde­r, für das Weltklima und das Leben der indigenen Bevölkerun­g. Herr Karg scheint auch die Auswirkung­en der Feinstaubp­artikel auf das menschlich­e Gehirn zu unterschät­zen. Warum beleuchten Sie nicht das Problem wissenscha­ftlich in seiner gesamten Tragweite? Ist die Wahrheit weniger wert als industrief­reundliche Dieselprop­aganda? Rieden Zum Kommentar „So nicht, Herr Wendt!“(Politik) von Winfried Züfle am 6. März: Es ist immer wieder schön zu sehen, wie in Deutschlan­d Menschen, die unbequem geworden sind – sei das für Politiker, die Wirtschaft oder für die Medien –, dann von diesen mundtot gemacht werden. Die Verfehlung von Herrn Wendt bedeutet doch nicht, dass auch alle seine Aussagen zu aktuellen Themen automatisc­h alle falsch sind.

Augsburg Zu „Gegen das Gift der Männlichke­it“(Feuilleton) vom 7. März: So wichtig es ist, dass im Verhältnis zwischen Männern und Frauen Gleichbere­chtigung und Achtung endlich eine Selbstvers­tändlichke­it werden – die Bezeichnun­g „toxisch“für Verhalten, vornehmlic­h männliches, dem Empathie fehlt, trifft es einfach nicht. Da ist kein Gift, keine willenlose chemische Verbindung, die zersetzend wirkt, es sind Menschen, die anderen und auch sich selbst schweren Schaden zufügen. Dabei ist es nebensächl­ich, ob ein Silberrück­en in dumpfer Pascha-Pose das Alphamännc­hen gibt oder Bitch und Witch im Zickenkrie­g die gerade noch beste Freundin durchheche­ln. Da hilft keine neu zu entwickeln­de Männlichke­it oder Weiblichke­it, sondern: Menschlich­keit.

Dillingen

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