In die Haut geschrieben
Tätowierungen sind längst zum Massenphänomen geworden. Doch die Bilder sind nicht nur dekorativ. Sie bringen auch Empfindungen ihrer Träger nach außen
Ob als Schriftzug auf den Rippen, Blüte im Nacken oder Anker am Fuß: Längst haben Tätowierungen den Weg in alle sozialen Schichten gefunden. Die Körperbilder sind dabei nicht nur dekorativ. „Modeerscheinungen sind die Reaktion des Einzelnen auf veränderte gesellschaftliche Anforderungen“, sagt der Leipziger Psychologe Dirk Hofmeister.
Dabei nehmen Tätowierungen neue Funktionen ein: als Zeichen von Dauer, als ein Stillen der Sehnsucht nach Bleibendem. Wer sich ein Tattoo stechen lässt, reagiert auf eine Gesellschaft, in der morgen nicht mehr gilt, was heute noch angesagt ist. In der Menschen häufig den Arbeitsplatz, Wohnort, gar Bekanntenkreis wechseln. „Was mir auf die Haut geschrieben ist, kann mir niemand nehmen. Diese Erinnerung an Erlebtes und Geliebtes bleibt immer wach“, erklärt Hofmeister. Bei den Naturvölkern der Südsee waren Tätowierungen einst Zeichen von sozialem Status oder Lebensabschnitt. „Heute können sie auch als Sehnsucht nach klaren Strukturen und vermeintlich einfa- chen Wahrheiten in einer unübersichtlich gewordenen Welt gedeutet werden.“
Seefahrer hatten sich die Tätowierungen im 18. Jahrhundert abgeschaut. „Sie standen für das Wunschbild nach einem freien Leben, das im Gegensatz zur harten Arbeit an Bord der Segelschiffe stand“, erklärt der Düsseldorfer Jugendkulturforscher Tobias Lobstädt. Die Idee von Freiheit und Unabhängigkeit griffen später zum nach außen getragen. „Wechselnde Arbeitsplätze, Wohnorte und Freunde erfordern heute eine schnelle Selbstdarstellung über den Körper“, sagt Kulturforscher Lobstädt. Das Bild dokumentiert dabei auch die eigene Herkunft, die Zugehörigkeit zu geliebten Menschen, bezeichnet den Träger als Fan eines Fußballvereins oder einer Musikrichtung. Gruppenzugehörigkeit stärkt laut Lobstädt wiederum das Selbstwertgefühl des Einzelnen, gibt ihm gewissermaßen Schutz.
So befinden sich Tätowierungen in einem Spannungsfeld zwischen Privatheit und Sichtbarkeit: am eigenen Körper, aber sichtbar für andere. Einerseits Ausdruck von Zugehörigkeit, andererseits von Individualität und Abgrenzung. Psychologe Dirk Hofmeister sieht hinter den Körperbildern auch einen wachsenden, gesellschaftlichen Druck zur Individualisierung. Das betreffe neben Lebensstil, Hobbies und Job auch den Körper.
Häufig ließen sich Menschen die Bilder in besonderen Situationen unter die Haut stechen. Sie sind also unmittelbar mit der jeweiligen Biografie verbunden. „Das können auch Krisen sein. Tattoos dienen dazu, das Unaussprechliche mit einem Symbol zu veräußern“, sagt Tobias Lobstädt. Oft gehe es auch darum, dass mit den Bildern positive Eigenschaften auf den Träger übergehen sollen. „Dabei wird gern auf die fernöstliche Geschichte der Tätowierungen zurückgegriffen. Ein Koi-Karpfen soll für die Stärke des Trägers, eine Lotusblüte für Reinheit und Liebe stehen“, fügt Hofmeister hinzu.
Aber auch Narzissmus spielt eine Rolle. „Das ist keineswegs negativ gemeint“, betont Lobstädt. Narzissmus sei auch die Liebe, die ein Mensch sich selbst entgegenbringe. So werde der Körper mit dem Bild aufgewertet, das schließlich Geld, Mühe und Schmerz gekostet hat.
Besonders tätowierte Sinnsprüche, Gedichte und Lebensweisheiten dienen laut dem Jugendkulturforscher als Kommunikationsmittel, als Anreiz für Nachfragen von anderen. Denn das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, funktioniere nur mit anderen Menschen. „Da geht es für den Einen um bewundernde Blicke. Andere suchen eher nach Anerkennung für die Leistung, sich ein Bild unter die Haut stechen zu lassen.“
Bayern hat einen Klappaltar aus Elfenbein an die Nachfahren des Kölner Unternehmers Ottmar Strauss (1878-1941) zurückgegeben. Das Diptychon mit Szenen aus dem Leben Christi war zuletzt im Bayerischen Nationalmuseum, das die Herkunft des Kunstwerks, wie es in einer Mitteilung des Hauses hieß, auf eigene Initiative hin recherchiert hat. Strauss sei wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Mitte der 1930er Jahre habe sich der Kölner zur Vorbereitung seiner Auswanderung für die Begleichung der sogenannten Reichsfluchtsteuer und anderer diskriminierender Abgaben von seiner Kunstsammlung trennen müssen.
Der Klappaltar mit zwei geschnitzten, durch Scharniere miteinander verbundenen Elfenbeintafeln stammt nach Auskunft des Museums vermutlich aus Frankreich. Ungeklärt ist jedoch, ob das Werk bereits im 14. oder erst im 19. Jahrhundert entstand. Die Tafeln zeigen Szenen der Geburt, Anbetung, Kreuzigung und Grablegung Christi. Ins Nationalmuseum kam der Klappaltar 1990 mit dem Erwerb der Sammlung von Fritz Thyssen. Der hatte das Kunstwerk vermutlich direkt von Strauss gekauft, denn Thyssen war der Besitzer, als der Altar im September 1939 zugunsten des preußischen Staates beschlagnahmt wurde. Das Relief gelangte zunächst ins Essener FolkwangMuseum und wurde nach dem Krieg an Thyssen zurückgegeben.
Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) wertete die Rückgabe als Beleg für die intensive Provenienzrecherche der staatlichen Sammlungen und Museen im Freistaat. Dadurch könnten in der NSDiktatur unrechtmäßig entzogene Kunstwerke ausfindig gemacht und zurückgegeben oder andere Lösungen für eine Wiedergutmachung erzielt werden. „Wir werden in unseren Anstrengungen nicht nachlassen“, betonte Spaenle. (kna)