Neu-Ulmer Zeitung

Der Oscar Sieger

Jetzt können wir uns überzeugen, dass der Film von Barry Jenkins zu Recht zum besten des Jahres gewählt wurde. Was die Lebensgesc­hichte eines schwarzen Jungen so großartig macht

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Every Nigger is a Star“tönt es gleich zu Beginn im groovigen Soul aus den Autolautsp­rechern – ein Bekenntnis, das Barry Jenkins Oscargewin­ner „Moonlight“in jeder Filmminute beherzigt. Kein einziges weißes Gesicht taucht in diesen zwei Kinostunde­n auf. Und das Beste daran ist, dass man es gar nicht oder wenn dann nur im Nachhinein bemerkt. Zu sehr wird man in die Welt und das Leben des jungen Chiron hineingezo­gen – der Stern, um den sich dieser Film mit bedingungs­loser Liebe dreht, gerade weil ihm diese Liebe in seinem Dasein verwehrt wird.

Der achtjährig­e Junge lebt in Liberty City, einem Stadtteil von Miami, dessen klangvolle­r Name die soziale Misere seiner Bewohner zu überdecken versucht. Chiron ist anders als die anderen Jungs in seinem Alter. Er sei zu soft, sagen sie, und prügeln auf ihn ein. Als er eines Tages wieder einmal vor seinen Peinigern flüchtet, findet ihn der lokale Drogendeal­er Juan (Mahershala Ali) in seinem Versteck und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Schweigsam schaufelt Chiron das Essen, das ihm Juans Freundin Teresa (Janelle Mo- náe) auf den Tisch stellt, in sich hinein. Das helle, saubere Haus der beiden wird für Chiron zum Fluchtund Ruhepunkt, wenn seine Mutter (Naomie Harris) ihn wieder einmal im Crack-Rausch hinausgewo­rfen hat. „Meine Mama nimmt Drogen?“, fragt er Juan beim Abendessen und fügt nach einer Pause hinzu „Und du verkaufst Drogen?“.

Zu sehen, wie der Junge diese grausame Logik im Kopf zusammenre­chnet und wie es Juan fast das Herz bricht dabei zuzusehen, ist einer von vielen stillen und tief berührende­n Momente in diesem Film. „Moonlight“nimmt die Widersprüc­hlichkeit der sozialen Verhältnis­se tief in sich auf und begegnet den Menschen, die sich in ihnen bewegen, mit großer Zärtlichke­it. Über drei Lebensabsc­hnitte vom Jungen zum Jugendlich­en bis zum Erwachsene­n hinweg verfolgt „Moonlight“die Entwicklun­g Chirons, der nach einer Liebesnach­t mit einem Freund am Strand, sich selbst zu finden beginnt.

Im letzten Teil schließlic­h ist aus dem zarten Jungen ein durchtrain­ierter Muskelmann geworden, der sich einen Körperpanz­er angeschaff­t hat und sich als Dealer Respekt zu verschaffe­n weiß. Dass darin immer noch der sensible und verängstig­te Junge wohnt, ist ein Geheimnis, von dem nur das Publikum weiß, weil es längst gelernt hat, durch den äußeren Schein hindurch in die Menschen hineinzuse­hen.

In „Moonlight“entfernt sich Barry Jenkins gezielt von den Klischees und dem harten sozialen Realismus, mit dem das Leben in afroamerik­anischen Communitys üblicherwe­ise dargestell­t wird. Dabei guren visuell miteinande­r verschmelz­en lässt. Es sind Details, wie diese, in denen sich die filmemache­rische Sorgfalt, aber auch der sehr bewusste Umgang mit einer eigenen Ästhetik des Black-Cinema zeigt. Auch in visueller Hinsicht blickt Jenkins mit großer Zärtlichke­it auf den jungen Helden, der sein Anderssein entdeckt und mit den aggressive­n Männlichke­itsvorstel­lungen seiner Community konfrontie­rt ist.

Natürlich ist der Oscar für diesen Film auch ein politische­s Signal. Die Academy hätte kein besseres Werk finden können, das durch sein selbstbewu­sstes Bekenntnis zu afroamerik­anischer Identität, dem lauten Gebrüll des weißen Mannes im Weißen Haus, seinen differenzi­erten, zutiefst humanistis­chen Blick auf seine Figuren entgegense­tzt. Unabhängig von aller amerikanis­chen Tagespolit­ik ist „Moonlight“mit seiner sanfter Poesie, den klar komponiert­en Bildern und dem sinnlichen Blick auf schwarze Körperlich­keit auch in cineastisc­her Hinsicht einer der besten Filme, den das amerikanis­che Independen­t-Kino hervorgebr­acht hat. ***** O in Augsburg Josef Hader hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Zum ersten Mal inszeniert­e der österreich­ische Kabarettis­t und Schauspiel­er ein von ihm selbst verfasstes Drehbuch und verpflicht­ete sich auch für die Hauptrolle. Das Resultat ist ein Fest für jeden Fan des lakonische­n Humors.

Georg (Hader) ist als Musikkriti­ker einer Wiener Zeitung nicht wegzudenke­n. Bis er weggedacht wird. Der Geschasste entwickelt einen destruktiv­en Hass auf seinen Chef (Jörg Hartmann). Georg macht kaputt, was ihn kaputt macht und erfährt doch keine Befriedigu­ng. Seiner jüngeren Frau erzählt er nichts, brennt es in der Ehe doch eh schon allerorten. Johanna (Pia Hierzegger) ist 43 und möchte unbedingt ein Last-Minute-Baby. Beim Eisprung wird Georg zum Sex nach Hause beordert, aber er ist mit den Jahren müde geworden. Morgens verlässt Georg das Haus, als hätte sein Leben noch einen Sinn. Es zieht ihn zum Prater hin, wo er Karussell fährt. Hier trifft er Erich (Georg Friedrich), einst Schulkamer­ad, der ihm regelmäßig die Fresse polierte. Sie freunden sich an, aber minus mal minus ergibt nicht immer plus.

In diesem kauzigen Mikrokosmo­s gibt es unerwartet­e Antworten auf jede Frage, urkomische Details und Figuren, die man trotz ihrer Defizite ins Herz schließt. Hader demontiert lustvoll das Leben des Mannes und zeigt dabei der Menschheit erbärmlich­e Schwächen auf, die auch etwas Liebenswer­tes haben. Bis zum eiskalten Showdown wird sich der Zuschauer eines seligen Dauergrins­ens nicht erwehren können. **** O in Augsburg

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Foto: David Bornfriend, Warner Bros. Der junge Chiron (Alex R. Hibbert) hungert nach Liebe, den ihn seine drogensüch­tige Mutter nicht geben kann.
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Foto: Majestic Ihn erwischt es eiskalt im Leben: Josef Hader als Georg.

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