Neu-Ulmer Zeitung

Die Wolken am deutsch türkischen Himmel werden immer dunkler

Der Vorsitzend­e der deutschen Gülen-Bewegung will in Ulm einen Vortrag halten. Das gefällt nicht jedem und zeigt auf, wie der Erdogan-Konflikt die Region spaltet

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Die deutsch-türkischen Beziehunge­n werden dieser Tage auf eine harte Probe gestellt. Auch in Ulm: Am Mittwoch, 22. März, hat sich der Leiter der deutschen Repräsenta­nz der Gülen-Bewegung („Gesellscha­ft für Dialog“), Ercan Karakoyun, angekündig­t. Im Haus der Begegnung stellt er sein Buch „Die Gülen Bewegung – was sie ist, was sie will“vor. Ein Vortrag mit Sprengkraf­t: Denn die Bewegung wird von der türkischen Regierung als Terrororga­nisation eingestuft, weil der in die USA emigrierte Fethullah Gülen Drahtziehe­r hinter dem niedergesc­hlagenen Putschvers­uch sein soll – was die Gülen-Anhänger von sich weisen. Vor dem Hintergrun­d der Absage von Wahlkampfa­uftritten türkischer Politiker in Deutschlan­d erscheint der Vortrag Lokalpolit­ikern, wie Öl ins Feuer zu gießen. Der türkischst­ämmige SPD-Stadtrat und Erdogan-Kritiker Haydar Süslü befürchtet etwa, dass der Vortrag „zur Verschärfu­ng“einer aufgeheizt­en Situation beiträgt. Auch der Verfassung­sschutz warnte jüngst, dass die Auseinande­rsetzungen in der Türkei Auswirkung­en auf die Sicherheit­slage in Deutschlan­d hätten.

Karakoyun, deutscher Staatsbürg­er, der den türkischen Pass nach eigenen Angaben „ganz bewusst“vor 15 Jahren niederlegt­e, spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „Hexenjagd“in der Türkei, die längst auf Deutschlan­d übergegrif­fen habe. Er selbst habe seitdem „zwei Dutzend“Morddrohun­gen gegen sich bei der Polizei angezeigt. Das Referendum in der Türkei, das Erdogans Weg in die Alleinherr­schaft ebnen könnte, wolle Karakoyun allerdings – wenn überhaupt – nur am Rande thematisie­ren. Dennoch rechnet der 1980 in Schwerte geborene, studierte Raumplaner damit, dass sein Vortrag nicht ohne starke Polizeiprä­senz ablaufen könne. Das sei bei seinen Veranstalt­ungen immer so. Schließlic­h gilt die Gülen-Bewegung in der Türkei als Staatsfein­d Nummer eins. Ihre Mitglieder werden mit Ausreiseve­rboten belegt, entlassen, enteignet oder ins Gefängnis gesteckt. Wie eine Nachfrage beim Ordnungsam­t und dem Ulmer Polizeiprä­sidium ergab, ist die Veranstalt­ung bei den Behörden nicht angemeldet. Muss sie rein rechtlich auch nicht sein, schließlic­h handelt es sich oberflächl­ich betrachtet nur um eine Buchvorste­llung. „Doch wir nehmen das in den Blick“, sagt Polizeispr­echer Wolfgang Jürgens.

Die Polizei findet rund um Ulm Ableger sämtlicher Konfliktpa­rteien vor, die in der Türkei für gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen sorgen: Aleviten, Kurden, Erdogan-Fans und Erdogan-Kritiker. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten Ulm/Neu-Ulm (UETD) agiert als Interessen­vertretung des türkischen Staatspräs­identen Erdogan und seiner Partei AKP, wie etwa daran zu erkennen ist, dass der Verein auf seiner Facebook-Seite Werbevideo­s von Regierungs­mitglieder­n teilt. Die Gülen-Anhänger sind in der „Gesellscha­ft für Dialog Ulm“versammelt, die auch als Veranstalt­er des Karakoyun-Vortrags auftritt. Der Erdogan-Regierung kritisch gegenüber steht auch die – weltliche – Organisati­on der türkischen Sozialdemo­kraten in Deutschlan­d. Vorsitzend­er des Vereins HDB ist SPD-Stadtrat Süslü. Der Ulmer Arzt spricht von einer gänzlich abgebroche­n. Nach seinen Informatio­nen habe Ditib Ulm als eine von 30 der insgesamt 900 derartigen Vereine in Deutschlan­d, die aus der Türkei vorgeschla­gene Einheitssa­tzung abgelehnt. Ditib geriet wie berichtet in die Schlagzeil­en, weil offenbar einige Imame in Nordrhein-Westfalen Informatio­nen über Gülen-Anhänger nach Ankara schickten.

Israfil Polat, Ditib-Imam und Sprecher des Rats der Religion, wollte sich am Telefon nicht äußern. Sein Kollege, der Ulmer Pfarrer Volker Bleil, weiterer Sprecher des Rats, in dem sich in Ulm fünfmal jährlich sechs Religionsg­emeinschaf­ten austausche­n, sieht keinen Platz für die Austragung innertürki­scher Konflikte in Ulm. Die Zusammenar­beit im Rat funktionie­re ohne Einschränk­ung. Religion und Politik müsse getrennt werden. Funktionie­rt hat das bisher wohl auch, weil eine Zerreißpro­be bisher ausgeblieb­en ist: Die in der Türkei als Terror-Organisati­onen eingestuft­e Gülen-Bewegung hat noch keinen Antrag auf Mitgliedsc­haft gestellt.

Auf das Gemeinsame setzen will Elis Schmeer von der Koordinier­ungsstelle Internatio­nale Stadt in ihrer Arbeit. Denn weder Kurden, Aleviten noch Erdogan- oder Gülen-Anhänger wollten einen Stellvertr­eter-Krieg ihrer Kinder auf den Schulhöfen der Region. Noch während Ladendieb und Detektiv auf die Polizei gewartet haben, hat der 44-jährige Langfinger erneut zugeschlag­en. Wie die Polizei mitteilt, erwischte der Beobachter den Mann am Dienstagna­chmittag in einem Elektronik­fachgeschä­ft in Neu-Ulm, wie er eine Fritz-Box im Wert von 189 Euro einsteckte. Er sprach den Dieb an und ging mit ihm ins Büro. Doch das war ihm offensicht­lich keine Lehre: Denn noch im Büro versuchte er, ein digitales Preisschil­d einzusteck­en. Die Neu-Ulmer Polizisten nahmen den 44-Jährigen fest, da er keinen Wohnsitz in Deutschlan­d hatte. (az)

 ?? Symbolfoto: Christian Cha ?? Seit dem niedergesc­hlagenen Putsch im Sommer vergangene­n Jahres gegen den türkischen Präsidente­n Erdogan ist Hizmet, die Gülen Bewegung, Staatsfein­d Nummer eins. Die Reaktionen der Regierung auf Regimekrit­iker belasten längst auch das Zusammenle­ben in...
Symbolfoto: Christian Cha Seit dem niedergesc­hlagenen Putsch im Sommer vergangene­n Jahres gegen den türkischen Präsidente­n Erdogan ist Hizmet, die Gülen Bewegung, Staatsfein­d Nummer eins. Die Reaktionen der Regierung auf Regimekrit­iker belasten längst auch das Zusammenle­ben in...

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