Ein Mann knetet sich seine Welt
US-Animationskünstler Bruce Bickford wurde durch Videos für Frank Zappa bekannt, aber nie sehr erfolgreich. Eine Ausstellung zeigt, warum das verwunderlich und doch logisch ist
Bruce Bickford sitzt da und arbeitet. Eine seiner Knetfiguren wurde beim Transport geköpft. Kein Problem: Mit den Fingern und spitzen Instrumenten formt er die weiche Masse neu, montiert den Hals wieder auf den Rumpf. Man sieht: Bickford, dieser magere kleine Mann mit dem zerzausten Bart, würde am liebsten einfach weitermachen, neue Figuren und Gegenstände modellieren, hochfein und detailliert, stundenlang, tagelang, jahrelang. So wie er es immer getan hat. Doch nach Ulm ist er nicht zum Kneten gekommen: Das Stadthaus widmet dem 70-Jährigen unter dem Titel „Herr Bickford entdeckt ein neues Land“eine Ausstellung, die erste umfangreiche Werkschau überhaupt, außerhalb seiner Heimatstadt Seattle. Aber eigentlich sind es die Betrachter, die dort ein neues Land entdecken können.
Denn außerhalb eines wirklich kleinen Spezialistenzirkels ist Bickford kaum jemandem bekannt. Und sein kleines bisschen Popularität verdankt er vor allem der Zusammenarbeit mit einem anderen Künstler, der ähnlich besessen seine Vision verfolgte: Frank Zappa. Der exzentrische Musiker entdeckte Bickford Mitte der 1970er Jahre. Es folgten produktive Jahre, zusammen mit Zappa entstanden Filme wie „Baby Snakes“oder „The Amazing Mr. Bickford“. Ab den 80ern wandte sich der Autodidakt eigenen Projekten zu, Animationsfilmen wie „Prometheus’ Garden“, aber auch Serien von Zeichnungen.
Wirklich faszinierend an Bickfords Knetanimationen ist zunächst der Detailreichtum: Jeder noch so kleine Gegenstand, jeder Grashalm, jedes Haar ist aus öliger PlastillinKnete modelliert, alles scheint immer in Bewegung zu sein. Doch mehr als das: Alles scheint sich immer zu verändern. Viele kleine Figuren verschmelzen zu einer großen, verwandeln sich in ein Monster, bis dieses wie eine Blase platzt und neue Figuren ausspuckt. Bickfords großes Thema ist die Metamorphose, seine düsteren Filme verweigern sich klassischer Dramaturgie, sie erzählen keine stringenten Geschichten. Vielmehr sind sie ein Knete-gewordener-Bewusstseinsstrom, surreales Spiegelbild des Unterbewussten. „Oft habe ich vorher einen Plan, aber dann verzweigen sich die Ideen“, sagt Bickford. Manchmal lasse er Dinge passieren – und manchmal passieren sie einfach.
Seit den 1960er Jahren arbeitet Bickford auf seine Art: praktisch immer allein, fast immer auf eigene Faust. Sein Haus in Seattle, sein Elternhaus, ist Wohnung, Produkti-
onsstätte und Archiv gleichermaßen. Ausstellungskurator Tommi Brem hat diesen wundersamen Ort besucht. Überall, so berichtet er, stünden dort Modelle, Figuren, Köpfe, Körperteile, Pappschachteln mit unbekanntem Inhalt. Zusammen mit Bickford-Archivar, -Kurator und -Freund Nicholas Garaas, arbeitete er sich durch die unüberschaubare Fülle. Und packte ein: jede Menge Knetmassefiguren, manche nur streichholzgroß, Papierskulpturen, Zeichnungen, Dioramen. Zum Beispiel von dem Café aus David Lynchs „Twin Peaks“– oder von der gleichnamigen Kleinstadt, in der die Serie spielt. Bickford hat die Stücke aus reiner Begeisterung für die Serie gebaut. Und auch ein bisschen in der Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit Lynch. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Warum ignorierte Hollywood diesen einzigartigen Künstler so konsequent? Eine Antwort darauf ist schwierig. Vielleicht sind seine Arbeiten einfach zu sperrig und verwirrend. Vielleicht ist er einfach zu sehr Einzelgänger, um in einem Netzwerk von Kreativen zu funktionieren. Bruce Bickford glaubt immer noch an seine Chance. Derzeit arbeitet er an einer Graphic Novel, dann will er ein neues Filmprojekt angehen. „Mir fehlt der Produzent, der die Crew bezahlen kann“, sagt der 70-Jährige. Ob ihn die Aussicht nicht schreckt, wieder viele Jahre an einem Projekt zu arbeiten? Er antwortet vorsichtig: „Ich möchte nicht so denken. Ich denke einfach nur an den Job, den ich zu erledigen habe.“Wie gut er ihn macht, das kann jeder im Stadthaus sehen. An den Exponaten, aber vor allem in den Animationen: Rund fünf Stunden Film flimmern über die Bildschirme im Kabinett. Mit Herrn Bickford lässt sich viel Zeit verbringen. Zur fünften Ausgabe der „Hudson Jazz Night“heute, Donnerstag, kommt Besuch aus Köln: Die junge Formation Quintessence verschmilzt Elemente aus Rock, Modern Jazz und Avantgarde, verarbeitet aber auch Einflüsse aus Pop und elektronischer Musik. Beginn ist 20.30 Uhr in der Hudson Bar in der Ulmergasse. (az) Das Museum Villa Rot präsentiert am kommenden Sonntag, 12. März, um 20 Uhr, das renommierte Stuttgarter Kammerorchester, unter der Leitung von Matthias Foremny, mit den vielfach ausgezeichneten Pianisten Florian Uhlig im Konzertsaal des Kulturhauses Schloss Großlaupheim. Es erklingen Werke von Witold Lutoslawski, Ludwig van Beethoven, Brett Dean und Joseph Haydn. (az) O
Karten gibt es bei unse rem Servicepartner Blende 22 in Neu Ulm, Telefon 0731/6021597, oder an der Abendkasse.