Das rote Schreckgespenst
Martin Schulz hatte vor der Saarland-Wahl ganz bewusst mit der rot-rot-grünen Option kokettiert. Das ging daneben. Nun loten die Sozialdemokraten neue Machtoptionen aus
Jeden Abend schreibt Martin Schulz eine Seite in sein Tagebuch. Als „realistische Selbsteinschätzung“beschreibt der SPD-Chef und Kanzlerkandidat seine täglichen Einträge im Spiegel-Interview. „Um Anspruch und Wirklichkeit in ein adäquates Verhältnis“zu bringen. Was der Spitzengenosse seinem Tagebuch nach der für die SPD enttäuschenden Saarlandwahl anvertraute, ist nicht überliefert. Wenn Schulz sich selbst beim Wort nimmt, dürfte es bei den abendlichen Zeilen am letzten März-Sonntag auch um die Erkenntnis gegangen sein, dass ein SPD-Bündnis mit den Linken auf viele Wähler abschreckend wirkt.
In der SPD wird seither verstärkt über eine ganz andere Machtoption nachgedacht, um vom Herbst an den Kanzler zu stellen und die ungeliebte Große Koalition zu beenden. In den Blick rückt eine rot-gelbgrüne Ampelkoalition aus SPD, Liberalen und Öko-Partei. Eine Mehrheit hätte ein solches Dreierbündnis laut Umfragen im Bund derzeit zwar nicht. Das gilt aber auch für Rot-Rot-Grün oder eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Und der Wahlkampf kommt ja gerade erst auf Touren. Auch wenn sich die FDP bedeckt hält, für sie könnte eine solche Option durchaus Charme haben. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass die Liberalen wieder regieren wollen – aber eben nicht unter allen Umständen mit der Union, dem jahrelangen „natürlichen Verbündeten“. Schließlich sind die Erinnerungen der Liberalen an das letzte, 2013 abgewählte schwarz-gelbe Bündnis alles andere als gut. Die SPD wiederum könnte sich damit die Chance eröffnen, verstärkt bürgerliche Wähler zurückzugewinnen. Nach der Saar-Wahl soll Schulz vor der Bundestags-Fraktion dem Spiegel zufolge gesagt haben, man habe gesehen, wie gefährlich es für die SPD sei, wenn die Wähler davon ausgingen, man werde in jedem Fall mit der Linken koalieren. „Öffentliche Debatten über Rot-Rot-Grün sind schädlich“, habe der neue Parteichef gemahnt.
Auch andere führende Sozialdemokraten machen sich inzwischen locker. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, lange einer der energischsten Verfechter eines Linksbündnisses, plädiert im Spiegel offen dafür, die Gesprächsrunden zwischen SPD, Grünen und Linken nunmehr einzustellen: „Ab jetzt würden sie nur noch schaden.“Partei-Vize Ralf Stegner lehnt öffentliche Koalitionsdebatten naturgemäß ab. Er macht aber auch deutlich, dass nach Wahlen stets neu entschieden werde: „Das muss immer neu vermessen werden, wenn der Wähler gesprochen hat.“Deutlicher wird da schon Fraktionsvize Carsten Schneider: „Die Ampelkoalition passt am besten, weil die Gemeinsamkeiten mit Grünen und FDP am größten sind.“Die Sozialdemokraten müssten dann allerdings auch die Wähler davon überzeugen, dass sie das Wahlmotto „Mehr Gerechtigkeit“ihres Spitzenkandidaten Schulz auch mit den Liberalen durchsetzen können.
Was aus Sicht von Linken-Chefin Katja Kipping dann doch eher nach einem Aprilscherz klingt. Die Spitze der Grünen, die sich in Konkurrenz zur FDP auch als Bürgerrechts- und Freiheitspartei profilieren wollen, hält sich in der Debatte lieber zurück. Die angespannte Beziehung zwischen Grünen und Liberalen, die seit Jahren übereinander herziehen, gilt denn auch als größter Stolperstein auf dem Weg zu einer Ampelkoalition. Aber auch die Grünen um ihre Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir wollen im Bund regieren. Sie kämpfen nicht erst seit dem Schulz-Hype der vergangenen Wochen gegen ein Umfragetief. Die Wahlstrategen werden sich dieser Tage daher in Mainz umhören.
In Rheinland-Pfalz regiert seit vergangenem Jahr eine Ampel-Koalition. Und das ohne große Reibereien, glaubt man den dortigen Partnern unter SPD-Regierungschefin Malu Dreyer. Von fairer Arbeitsteilung ist die Rede. Niemand wolle sich auf Kosten des anderen profilieren. Richtig Fahrt aufnehmen dürfte die Debatte nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai. Sie gilt als wichtigster Stimmungstest vor der Bundestagswahl am 24. September.
Für Düsseldorf hat FDP-Chef Christian Lindner einer Ampel eine Absage erteilt. Aber dort könnte es ja auch für ein sozialliberales Bündnis reichen. Für eine Fortsetzung von Rot-Grün am Rhein gibt es in Umfragen schon lange keine Mehrheit mehr. Alle etablierten Parteien hoffen, dass die AfD kleingehalten wird und weiter in der Wählergunst verliert. Im jüngsten Sonntagstrend von Emnid fiel sie auf acht Prozent. Ein Spitzengenosse aus dem WillyBrandt-Haus meint: „Wenn es uns gelingt, die Rechtspopulisten draußen zu halten, dann sind die Möglichkeiten für Koalitionsoptionen größer.“
Dass Gerhard Schröder mit seinem Job als Aufsichtsratschef beim Zweitligisten Hannover 96 nicht ausgelastet ist, ist wenig überraschend. Auch dass er nicht gerade der beste Kumpel seines Ex-Rivalen Oskar Lafontaine ist, gilt nicht als Geheimwissen. Schröder hat jetzt noch einmal unmissverständlich klargemacht, wohin die Reise der SPD unter Martin Schulz seiner Ansicht nach auf keinen Fall gehen sollte: Der Altkanzler Schröder erklärte mit Verweis auf „die Familie Lafontaine“ein Bündnis seiner Partei mit den Linken für unrealistisch.
Schröder sagte dem Spiegel zu den Aussichten auf ein Bündnis zwischen SPD und Linken: „Ich glaube nicht, dass man das hinbekommt, solange die Familie Lafontaine in der Linkspartei tonangebend ist.“Er spielte damit auf die LinkenPolitiker Oskar Lafontaine und seine Ehefrau Sahra Wagenknecht an. „Lafo“und Schröder – das ist eine klassische Männerfeindschaft. Und zwar mit einer sehr soliden Basis, die sich schon etablierte, bevor der frühere SPD-Vorsitzende aus dem Saarland die Partei im Streit um das Reformprogramm Agenda 2010 verließ.
Schröder warnte den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der nach dem „suboptimalen“Wahlergebnis an der Saar ohnehin schon ins Grübeln geraten war, eindringlich vor einer Annäherung an die Linkspartei. Schulz hatte im Saar-Wahlkampf mehrmals – Kritiker monieren, fast schon penetrant – betont, wie gut er mit dem SPD-Renegaten Lafontaine auskommt. Er könnte unterschätzt haben, wie tief bei der SPD im Westen Deutschlands die Vorbehalte gegen ein Bündnis mit der Linken verankert sind.
Genau in diese Kerbe schlägt nun Gerhard Schröder: Mit Parolen, die nach Lafontaine klängen, werde es der SPD nicht anders ergehen als der Union auf der Rechten. „Dann wählen die Leute das Original und nicht das Plagiat“, sagte Schröder.
Lafontaine holzte umgehend zurück. Via Welt am Sonntag warf er seinem einstigen Mitstreiter vor, mit der Agenda 2010 den Absturz der SPD bei Wahlen verursacht zu haben.