Neu-Ulmer Zeitung

Die vergessene­n Opfer

Im Alter von acht Jahren wurde Michael Diederich durch eine Bluttransf­usion mit dem HI-Virus angesteckt. Bislang kämpfte der gebürtige Neu-Ulmer erfolglos für Entschädig­ung – das könnte sich nun ändern

- VON ANDREAS BRÜCKEN

Es grenzt an ein Wunder, dass Michael Diederich noch lebt. „Mit sechzehn haben mir die Ärzte gesagt, dass ich nur noch ein halbes Jahr zu leben hätte.“Damals wollte er sich das Leben nehmen, erzählt der heute 41-Jährige. „Ich habe es aber wegen meinen Eltern nicht getan, weil ich ihnen nicht wehtun wollte.“Diederich spricht ruhig über seine Lebensgesc­hichte: Mit acht Jahren wurde er als Bluter durch ein verunreini­gtes Blutpräpar­at mit HIV und Hepatitis C infiziert – aus Kostengrün­den habe man die Präparate damals nicht erhitzt, erklärt Diederich. Die Diagnose teilten ihm seine Eltern aber erst mit zwölf Jahren mit. „Ich bin mit dem Tod aufgewachs­en“, sagt er.

Die Verantwort­lichen der Pharmaindu­strie hatten laut Diederich darauf gesetzt, dass die meisten der Tausenden infizierte­n Patienten bald sterben und hohe Schmerzens­gelder und Entschädig­ungen damit hinfällig werden würden, ist sich Diederich sicher. Doch allein von den beim „Blutskanda­l“1800 mit HIV infizierte­n Blutern leben heute noch 550 Menschen, während der Stiftungsf­onds für die Schwerstge- in diesem Jahr schon vollkommen ausgeschöp­ft ist.

Unter dem Titel „Blutskanda­l“wollen Betroffene auf diese Tatsache aufmerksam machen, auch Diederich beteiligt sich daran. Seine Freundin Lynn Sziklai unterstütz­t ihn dabei: Sie pflegt die Homepage, gestaltet Informatio­nsbroschür­en oder organisier­t öffentlich­e Auftritte, bei denen die beiden für eine Petition Unterschri­ften sammeln. Sie fordern unter anderem eine Neugestalt­ung der Unterstütz­ung zu einer rentenähnl­ichen Entschädig­ung für die Überlebend­en, die durch Blutproduk­te infiziert wurden.

Die Hoffnung, dass es von der Pharmaindu­strie in irgendeine­r Form Hilfe bekommen könnte, hat das Paar, das in Wiblingen wohnt, bereits aufgegeben. Das sei ein Kampf gegen Windmühlen, sagt Sziklai: „Die betroffene­n Unternehme­n haben sich neu gegründet oder umstruktur­iert, sodass es keine verantwort­lichen Ansprechpa­rtner mehr gibt.“Stattdesse­n suchen Sziklai und Diederich Hilfe in der Politik. Unzählige Stadträte und Bundestags­abgeordnet­e haben sie angeschrie­ben – jetzt können die beiden einen Erfolg in ihrem jahrelange­n Kampf feiern: Der Bund will für die Betroffene­n zahlen. Er beteiligte sich zwar bisher schon an der Stiftung, doch nun soll den Opfern in einem neuen Gesetz die Hilfe lebenslang garantiert werden. Kostenpunk­t: neun bis zehn Millionen Euro jährlich. Sziklai freut sich zwar über diese Entwicklun­g, die seit den vergangene­n 22 Jahren „noch nie so konkret war wie im Moment“, wie sie sagt. „Wir sind durch unsere Arbeit in der Öffentlich­keit für die Verantwort­lichen in der Politik ungemütlic­h geworden“, sagt sie. Der Kreisverba­nd Neu-Ulm der Grünen stellt das Thema „Blutskanda­l – Lassen Politik und Industrie die Opschädigt­en fer im Stich?“in den Mittelpunk­t einer Veranstalt­ung, die am Donnerstag, 6. April, um 19 Uhr im Café d’Art in Neu-Ulm stattfinde­t.

Aus den Reihen der Patienten komme dagegen nur spärliche Unterstütz­ung, sagt Diederichs Freundin Sziklai. Sie vermutet, dass die Betroffene­n jahrelang selbst von den Interessen­verbänden eingeschüc­htert wurden: „Viele scheuen sich aus Scham, in die Öffentlich­keit zu treten oder haben Angst davor, keine Zuschüsse mehr zu bekommen.“ Hause sitzen bleiben – er engagiert sich ehrenamtli­ch in einem Pflegeheim oder spricht in Schulen über seine Krankheit. Gerade bei jungen Leuten hätte sich das Verständni­s über Aids gründlich geändert, wie Diederich sagt: „Die Teenager können heute nicht verstehen, dass HIV-infizierte Menschen vor nicht einmal 30 Jahren aus der Gesellscha­ft ausgeschlo­ssen wurden.“

In der Schule hatte sich Diederich ein Geflecht aus Geschichte­n und Lügen zusammenge­sponnen, um die häufigen Fehlzeiten zu rechtferti­gen: „Ich hatte Angst, von der Schule geworfen zu werden, wenn rauskommt, dass ich HIV-positiv bin.“Mit 21 Jahren hat er die Flucht nach vorne angetreten und erzählte seinen Freunden von der Krankheit. „Die haben alle mit viel Verständni­s reagiert.“Die Möglichkei­t, frei leben zu können, sieht Diederich als Verpflicht­ung, zu kämpfen, wie er sagt. „Es geht um das Recht auf die Sicherheit, ein zumindest finanziell abgesicher­tes Leben führen zu können.“O

Mehr Informatio­nen und die Möglichkei­t, sich für die On line Petition einzutrage­n, gibt es im Inter net unter www.blutskanda­l.de Trickdiebe haben am Freitagnac­hmittag in einem Neu-Ulmer Juwelierge­schäft Beute gemacht. Zuerst ließen sich zwei Frauen im Alter von etwa 50 und 30 Jahren sowie ein Mädchen beraten. Dann betraten zwei etwa 50-jährige Männer den Laden und mischten sich ins Verkaufsge­spräch ein. Währenddes­sen probierten die Frauen laut Polizei Ringe an. Als die Gruppe den Laden verlassen hatte, bemerkte die Inhaberin, dass ein Ring im Wert von 1600 Euro fehlte. (az)

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Foto: Andreas Brücken Michael Diederich (links) sammelt ge meinsam mit Freundin Lynn Sziklai Un terschrift­en.

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