„Wer heilt, hat recht“, sagen die einen
Und die Geschichte geht ab diesem Zeitpunkt hübsch geradlinig weiter, bis Natalie Grams ein paar Jahre später aus der nächsten Kurve getragen wird…
Und damit jetzt erst einmal ein paar Zahlen, die sich ganz nüchtern lesen lassen. Laut einer AllensbachUmfrage von 2014 haben 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland schon einmal homöopathische Arzneimittel verwendet. Vor allem Frauen, nämlich 73 Prozent, vertrauen den weißen Kügelchen. Und: 90 Prozent derjenigen, die sich homöopathisch behandeln lassen, haben damit schon einmal positive Erfahrungen gemacht.
Wer die Studie liest, muss also eigentlich zum Schluss kommen: Homöopathie, prima Sache! Made in Germany vor mehr als 200 Jahren vom Arzt Samuel Hahnemann, der nach Selbstexperimenten das Grundprinzip der Homöopathie formulierte: dass Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen ist. Und die zeigen: Die alternative Heilmethode wird immer beliebter, seit Jahren steigt die Zahl der Ärzte wie auch der Patienten. Dazu aber passt nicht, was kürzlich der TechnikerKrankenkasse widerfuhr. Per Twitter fragte da ein Nutzer, ob die Krankenkasse ihm saubere, wissenschaftliche Studien nennen könne, die die Wirksamkeit von Homöopathie belegen würde. Als unglücklich empfand man dann selbst die eher flapsige Antwort des eigenen SocialMedia-Teams, getwittert nachts um eins. Ob nämlich der User „uns saubere, wissenschaftliche Studien nennen, die die Nicht-Wirksamkeit von Homöopathie belegen?“Kleiner Tweet, irre Wirkung! Es kam zum Shitstorm von Nutzern, die ihrem Ärger Luft machten, auch darüber, dass die Kasse für homöopathische Leistungen zahle, denen es an wissenschaftlichen Belegen fehle und damit die Beitragszahler belaste. Am Morgen folgte eine Entschuldigung – und die Bitte, ob sich nicht mal alle beruhigen wollten…
Netter Versuch. Sich mal beruhigen. Wie soll man sich im Krieg beruhigen? Genauer gesagt: Glaubenskrieg! Als solcher wird der Streit um die Homöopathie seit Jahren gerne bezeichnet. Hier die Homöopathen, da die Schulmediziner. Es geht um die Wirksamkeit, um das Wirkungsprinzip, um Erfahrungswerte, Doppel-Blind-Studien, um evidenzbasierte Studien… „Wer heilt, hat recht“, sagen die einen, und die anderen entgegnen: „Wo nichts ist, kann auch nichts werden.“Und mittendrin die Patienten, die das alles aber offenbar nicht weiter kümmert, die sich auch von solchen Aktionen wie in England vor ein paar Jahren nicht beeindrucken lassen: Um die Homöopathie als Humbug entlarven zu können, meldeten sich mehrere hundert Briten freiwillig für einen Selbstversuch, schluckten vor Kameras jeweils 84 Kügelchen Arsenicum album. Und siehe da: niemand starb! Das Medienecho war gewaltig. Der Umsatz mit homöopathischen Mitteln stieg trotz alledem aber auch im Anschluss ordentlich. Allein im vergangenen Jahr in Deutschland um 4,3 Prozent, auf 622 Millionen Euro. Im Verhältnis jedoch sind das nicht mehr als ein paar Kügelchen im Glas: Der Gesamtumsatz mit rezeptpflichtigen und rezeptfreien Arzneien lag 2015 bei 50,2 Milliarden Euro.
Und beim Thema Geld hier nun die Fortsetzung der Geschichte von Natalie Grams. Es ging ihr wirklich sehr gut mit ihrer homöopathischen Praxis in Heidelberg. Und ihren Patienten ging es gut mit ihr. „Unter meiner Therapie sind Depressionen, Mandel- und Lungenentzündungen verschwunden, sogar Krebsgeschwüre zurückgegangen.“Dann ärgerte sie sich. Über ein Buch, in dem gegen die Homöopathie gewettert wurde, überhaupt über dieses Lagerdenken: wir hier – ihr dort! Und sie beschloss, ein „flammendes Plädoyer“für die Homöopathie zu schreiben. Sie setzte sich intensiv mit Studien auseinander … Dann kam die Kurve. Und um im Bild zu bleiben: Seitdem ist Grams auf der Gegenfahrbahn unterwegs. In ihren Praxisräumen therapieren andere. Sie selbst arbeitet für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (Gwup) und für das kritisch eingestellte „Netzwerk Homöopathie“. In einer Zeitung wurde ein Porträt von Grams mit dem Titel „Die KetZahlen zerin“überschrieben. Wie gesagt, Glaubenskrieg eben.
Was Natalie Grams nun nicht mehr glaubt: Dass der extrem verdünnte, bei sogenannten Hochpotenzen gar nicht mehr nachweisbare Wirkstoff in den Globuli noch etwas bewirkt. Dass es sich also um Arznei handelt. Noch keine einzige seriöse Studie habe einen Effekt belegt, der über den von Placebos hinausgehe. „Nicht alles, was man sich vorstellen kann, ist auch wahr“, sagt Grams. Und in diesem Fall wisse man mittlerweile genau: „Hahnemann hat sich getäuscht.“Schluss also mit der schönen Vorstellung!
Aber da waren doch andererseits ihre Erfahrungen? Als Patientin, als Ärztin, als Mutter? Was wirkt denn dann, hat sich Natalie Grams gefragt und Antworten finden sich nun in ihrem Buch „Homöopathie neu gedacht“(Springer Spektrum, 225 S., 14,99 Euro). Da kommt Natalie Grams zu dem Schluss: „Die Homöopathie wirkt, weil wir als Homöopathen und weil unsere Patienten die Vorstellung haben, dass sie wirke.“Quasi durch suggestive Kraft! Weil sich der Patient nach einem ausführlichen Gespräch beim Homöopathen ganz anders wahrgenommen fühlt. Zuwendung plus Mittel macht „doppelter Placeboeffekt“. Und manchmal aber sei es auch nur der natürliche Krankheitsverlauf, der zum Fehlschluss verleite, die Globuli hätten ihr Werk getan. Beispielsweise bei Fieber. Bei ihren Kindern habe sie das oft beobachtet, dass die Temperatur nach der Einnahme von ein paar Globuli sank. „Jetzt beobachte ich das auch“, sagt Grams, „ohne Globuli.“Seit Erscheinen des Buches ist Natalie Grams so etwas wie die Frontfrau der Homöopathiekritiker. Und kriegt als solche auch einiges ab. Hass, Häme, böse Mails. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt sie. Als ob sie die Abtrünnige einer Sekte sei. „Sehr bizarr.“
Und da ist man nun wieder mitten im Glaubenskrieg. Sie habe den Eindruck, dass die Diskussion zum Teil sehr polemisch und wenig sachlich geführt wird. Sagt jetzt nicht Natalie Grams, sondern Birgit Weyel vom Vorstand des Verbandes klassischer Homöopathen Deutschlands (VKHD). Die Gegenseite sozusagen. „Patienten wird suggeriert, sie würden Quacksalbern und Scharlatanen aufsitzen, Therapeuten werden diffamiert.“In der Berliner Charité, in der es einen Lehrstuhl für alternative Medizin gibt, werden Journalisten auf einen zitierfähigen Text verwiesen. Aufgrund der sehr polarisierten schwierigen Diskussion in der Presse um Homöopathie gebe man derzeit keine Interviews mehr. Und ganz ähnlich klingt das auch bei Professor Martin Dinges vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung, das den Hahnemann-Nachlass verwaltet. Ihn ärgere sehr, wie die gesellschaftliche Debatte laufe. „Das hat den Charakter einer Kampagne.“Es werde im öffentlichen Diskurs so getan, als gäbe es keinerlei Beweise für die Wirksamkeit der homöopathischen Mittel. Falsch, sagt Dinges. Was genau wirke, sei zwar nicht schlüssig geklärt, aber schlüssig geklärt sei, dass sie wirken. Es komme nur auf die Art der Studie an. In Doppelblind-Studien, bei denen ein Teil der Patienten die zu untersuchende Arznei erhält, der andere Placebos, konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass Globuli besser wirken. In sogenannten Versorgungsoder Beobachtungsstudien wie von der Charité, die über acht Jahre knapp 4000 Patienten begleitete, die sich homöopathisch behandeln ließen, wurde dagegen ein deutlicher Anstieg der Lebensqualität festgestellt. „Ihre Beschwerden verbessern sich nachhaltig und die Effekte sind – soweit überhaupt erforscht – mit denen schulmedizinischer Behandlung vergleichbar.“Steht so in eben jener Presseerklärung zum Forschungsstand. Und bestätigt Dinges in seiner Meinung: „Man muss sich auch fragen, welches Gesundheitssystem man haben möchte.“
Eines, in dem die Krankenkasse auch zahlt für Heilmittel, deren Wirkungsprinzip sich wissenschaftlich nicht erklären lässt? Zwei Drittel der gesetzlichen Krankenkassen bieten das ihren Versicherten an. Ein Werbetrick, monieren die Kritiker, um junge, gut gebildete Kunden