Eine bizarre Situation, die sich da bietet
unsere freiheitliche Grundordnung auf dem Prüfstand stehen.“Am Tag nach dem Anschlag sollen die Spieler nicht einfach ein Fußballspiel absolvieren. Die Aufgabe besteht darin, „ein Signal an die Welt“zu senden, wie Watzke sagt.
Doch die Erlebnisse haben wohl doch tiefe Spuren hinterlassen. Der BVB findet lange nicht in dieses Spiel hinein, produziert ungewohnt schlimme Fehler und verliert am Ende mit 2:3. Die Chancen, das Halbfinale zu erreichen, sind deutlich geringer geworden in dieser komplizierten Woche.
Da ist es ein schwacher Trost, dass die Dortmunder an einem Tag, an dem sich alle irgendwie nach Normalität sehnen, tatsächlich ein sehenswertes Fußballspiel abliefern können. Sie beweisen Herz und Leidenschaft. Es sei auch darum gegangen, „uns abzulenken, etwas zu tun und im Fußball aufzugehen“, sagt Trainer Thomas Tuchel. In einer Umgebung, die von einem riesigen Sicherheitsaufgebot geprägt ist. Die Polizei hat zuvor jeden Winkel der Arena mit Sprengstoffhunden durchsucht.
Es ist eine grenzwertige Situation. Da wird ein Anschlag gegen den voll besetzten Dortmunder Mannschaftsbus verübt, und keine 24 Stunden später laufen eben jene Dortmunder schon wieder ins Stadion ein – bei den Aufwärmübungen in T-Shirts mit der Aufschrift „Wir halten fest und treu zusammen“. Sie müssen auflaufen, weil der Terminkalender nichts anderes hergebe, begründet der europäische Verband Uefa. „Wir hätten uns mehr Zeit gewünscht, aber die haben wir nicht bekommen“, sagt Tuchel.
Roman Still kann das nicht verstehen. „Eigentlich kann man das den Spielern doch gar nicht zumuten, dass sie so schnell wieder auf den Platz gehen. Wenn man mal überlegt, was da passiert ist.“Still war am Dienstag schon im SignalIduna-Park, als die Sprengsätze detonierten. Gemeinsam mit Geschäftspartnern wollte sich der Vorstandssprecher des Augsburger AVAG-Konzerns, Deutschlands größter Autohandelsgruppe, das Spiel anschauen. „Zuerst hieß es, das Spiel fängt später an, weil der Mannschaftsbus im Stau steht“, erzählt der 45-Jährige. Und dass die Eilmeldungen am Handy schnell klarmachten, was sich wirklich ereignet hatte. „Die Stimmung im Stadion war schon bedrückend“, sagt Still. Obwohl zu dieser Zeit erst ein Bruchteil der Plätze besetzt war.
Auch Volker Kohlhepp, 28, aus Burtenbach bei Günzburg stellte sich auf einen spannenden Fußballabend ein. Gegen acht war er zusammen mit seiner Freundin Ramona Lutze im Stadion und wunderte sich, weil sich die Mannschaften noch nicht aufwärmten. Bis 15 Minuten später die Nachricht von einem „gravierenden Zwischenfall“auf der Anzeigetafel eingeblendet wurde. Keine Viertelstunde später erfolgte die Absage. „Man macht sich schon Gedanken, wenn es heißt: Bombenanschlag.“Das Krisenmanagement sei aber gut gewesen, es habe auch keine Unruhe unter den Fans gegeben. Gestern sind sie wieder im Stadion, weil: „Wir hatten ohnehin bis Freitag gebucht.“
Dortmund, die Großstadt im Ruhrpott, am frühen Nachmittag. Die Fröhlichkeit in den Gesichtern der beiden Hotelgäste an der Polizeisperre wirkt ein wenig seltsam an diesem Ort, wo am Vorabend noch Bomben platziert waren. Das junge Paar mit den grellbunten Rollkoffern wartet, bis zwei Beamte Zeit finden, sie zur Rezeption zu eskortieren. Aber das macht ihnen nichts aus. Die beiden sind gekommen, um im L’Arrivée einzuchecken, wo sich die Borussia am Tag zuvor auf das Spiel gegen den AS Monaco vorbereitet hat. Ohne Polizeibegleitung dürfen sie die letzten 50 Meter bis zur Einfahrt nicht zurücklegen. „Nicht, weil es gefährlich wäre, sondern weil das unsere Vorgaben sind“, versichert ein Beamter.
Aber gefährlich fühlt sich hier nichts mehr an. Die beiden tuscheln, machen Fotos und sind offenbar bestens unterhalten von dem kleinen Abenteuer, das sie gerade erleben. Das Gefühl, so nah an jenem Ort zu sein, auf den an diesem Tag ganz Deutschland, ja sogar ein guter Teil der Weltöffentlichkeit schaut, übt eine gewisse Faszination aus.
Als das Paar dann von zwei Polizisten abgeholt wird, kommen sie dem Tatort näher als die vielen Journalisten und Schaulustigen, die sich den Tag über hier herumtreiben. Ihr Weg führt unmittelbar an den Hecken vorbei, wo die Bomben versteckt waren, als der Bus mit den Spielern vorbeikam. Nun ist hier alles abgesperrt. Die Straße ist gesäumt von Polizeiwagen, überall sind mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen ausgestattete Beamte unterwegs. Zwei Kontrollpunkte müssen überwunden werden bis zu dieser Stelle, wo nur noch Anwohner, Hotelmitarbeiter und Gäste weiter dürfen. Neben den Ermittlern natürlich.
Es ist eine merkwürdige Atmosphäre, die hier herrscht. So schrecklich der Anschlag auch gewesen sein muss, so schlimm die Verletzungen von Marc Bartra auch sein mögen und so tief der Schrecken den Spielern in den Knochen sitzt, am Tag danach ist die Laune gut in diesem Idyll entlang der Wittbräucker Straße mit seinen blühenden Obstbäumen und den akkurat gestutzten Rasenflächen.
An den Straßenlaternen hängen Plakate. „Sicherer. Mehr Polizei. Weniger Einbrüche“, verspricht die CDU im Landtagswahlkampf, der in Nordrhein-Westfalen tobt. Solche Themen waren den Menschen in diesem wohlhabenden Teil der Stadt viel näher als die abstrakte Gefahr des Terrorismus. Selbst die AfD plakatiert hier eher Forderungen nach einem besseren Bildungssystem als irgendwelche Warnungen vor den Gefahren der islamischen Religion.
Hat ausgerechnet hier nun der radikale Islamismus zugeschlagen? Und sich als Opfer Fußballer ausgesucht, auch noch solche, die zu den besten in diesem Land gehören?
Zu den wenigen guten Nachrichten gehören nicht nur die schönen