Neu-Ulmer Zeitung

Wurde der Putsch von Erdogan kontrollie­rt?

Vieles deutet darauf hin, dass die Spitzen von türkischer Armee und Geheimdien­st längst über die Pläne für einen Aufstand informiert waren. Jetzt wird spekuliert, warum sie die Regierungs­gegner zunächst gewähren ließen

- VON SUSANNE GÜSTEN

Wenn es nach der türkischen Regierung geht, gibt es keine Zweifel: Der Putschvers­uch des vergangene­n Sommers wurde auf Befehl des Predigers Fethullah Gülen ausgeführt, und der Plan scheiterte am beherzten Widerstand von Präsident Recep Tayyip Erdogan und vieler Normalbürg­er auf den Straßen des Landes. Fast ein Jahr nach der Putschnach­t vom 15. Juli kommen aber neue Fragen auf: Aussagen eines Informante­n des Geheimdien­stes und Stellungna­hmen mutmaßlich­er Putschiste­n vor Gericht legen nahe, dass Ankara frühzeitig über die Putschplän­e informiert war, den Umsturzver­such aber nicht verhindert­e. Westliche Geheimdien­ste denken ähnlich.

Der ehemalige Brigadegen­eral Erhan Caha jedenfalls ist sicher, dass in der Putschnach­t nichts ohne Wissen schossenen Munition vorgelegt haben. Laut dieser Aussage waren zwei Drittel der in der Putschnach­t aufgeboten­en Soldaten der Aufständis­chen junge Wehrpflich­tige, die keine scharfe Munition hatten.

Wer also hat geschossen, fragt auch Michael Rubin von der konservati­ven Denkfabrik AEI in Washington. Der Erdogan-Kritiker weist unter anderem darauf hin, dass nach offizielle­r Darstellun­g eine Kommandoei­nheit der Aufrührer in der Putschnach­t per Hubschraub­er in den Urlaubsort Marmaris flog, um Erdogan festzunehm­en. Rubin verweist darauf, dass die Behörden den Hubschraub­er fliegen ließen, obwohl zu dieser Zeit längst ein Flugverbot bestand. Als die Aufrührer in Marmaris ankamen, war Erdogan schon fort.

Angebliche Geständnis­se mutmaßlich­er Putschiste­n erscheinen nun ebenfalls in einem neuen Licht. So sagte Levent Türkkan, ein unter Putschverd­acht verhaftete­r ehemaliger Adjutant des türkischen Armeechefs Hulusi Akar, vor Gericht aus, seine Aussagen über den Umsturzver­such und andere angeblich Beteiligte seien ihm unter Folter abgepresst worden. Türkkan war unmittelba­r nach dem Putsch mit Verletzung­en im Gesicht, an den Händen und am Bauch fotografie­rt worden.

Unbestritt­en ist, dass der türkische Geheimdien­stchef Hakan Fidan und Generalsta­bschef Akar spätestens am Nachmittag des 15. Juli über den bevorstehe­nden Putschvers­uch informiert waren. Laut einem Bericht der regierungs­nahen und über den Verdacht der Sympathie für Gülen erhabenen Zeitung Yeni Safak meldete sich am frühen Nachmittag des 15. Juli ein Hubschraub­erpilot in der Zentrale des Geheimdien­stes MIT mit dem Verdacht, dass es Pläne für einen Umsturz gebe. Kurz darauf kamen MIT-Chef Fidan und Generalsta­bschef Akar zu einer längeren Unter- redung zusammen und trennten sich laut Medienberi­chten erst eine halbe Stunde, bevor die Putschiste­n am Abend losschluge­n.

Schon am Tag vor dem Umsturzver­such sollen Geheimdien­st- und Armeechef lange miteinande­r gesprochen haben. Die regierungs­kritische Nachrichte­nplattform OdaTV meldete, das Treffen am 14. Juli habe sechs Stunden gedauert. Laut einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsbericht zum Putsch erfuhren die Umstürzler, dass der MIT eingeweiht war, und zogen den Beginn des Aufstandes um sechs Stunden vor, von drei Uhr am Morgen des 16. Juli auf 21 Uhr am 15. Juli. Ex-General Caha und andere fragen sich, warum MIT und Armee nicht einschritt­en, sondern den Beginn des Aufstandes abwarteten.

Westliche Geheimdien­ste wollen wegen solcher Ungereimth­eiten nicht der Darstellun­g der ErdoganReg­ierung Trotz aller Warnungen hat Nordkorea die Weltgemein­schaft mit einem weiteren Raketentes­t provoziert. Am Montag feuerte das isolierte stalinisti­sche Land eine Kurzstreck­enrakete in Richtung Japan ab. Tokios Regierungs­chef Abe verurteilt­e den Test und kündigte an, sein Land werde gemeinsam mit den USA „konkrete Handlungen“einleiten. Es war bereits der dritte Raketentes­t Nordkoreas in drei Wochen und der zwölfte in diesem Jahr. Die Regierung in Pjöngjang verstößt damit gegen UN-Beschlüsse. Zuletzt mehrten sich Forderunge­n nach härteren Strafmaßna­hmen. US-Präsident Trump warnte gar, auch militärisc­he Optionen lägen auf dem Tisch. Der frühere griechisch­e Ministerpr­äsident Konstantin­os Mitsotakis ist tot. Er starb in der Nacht zum Montag im Alter von 98 Jahren, wie seine Familie mitteilte. Mitsotakis war von 1990 bis 1993 Regierungs­chef und fast 60 Jahre lang in der Politik aktiv. Erst 2004 hatte er sich vollständi­g aus der Politik zurückgezo­gen – damals wurde er als langjährig­ster Abgeordnet­er aus dem griechisch­en Parlament verabschie­det. Der 1918 auf Kreta geborene Jurist Mitsotakis wurde 1946 erstmals ins Parlament gewählt. 1967 floh er vor der Militärjun­ta nach Paris. Nach seiner Rückkehr nach Griechenla­nd 1974 schloss er sich der konservati­ven Nea Dimokratia (ND) an, die er von 1984 bis 1993 als Parteichef führte.

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Archivfoto: Tolga Bozoglu, dpa Sie wussten wohl früh Bescheid: der türkische Geheimdien­stchef Hakan Fidan (links) und Generalsta­bschef Hulusi Akar.
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K. Mitsotakis

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