Neu-Ulmer Zeitung

Welche Farbe hat Wut?

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Deutschlan­d hinkte Ländern wie den USA hinterher. Zeitgleich startete die Stadt Augsburg ein Modellproj­ekt in Kooperatio­n mit der Akademie „Kinder philosophi­eren“: Erzieher und Lehrer schulten sich darin, Themen kindgerech­t zu gestalten, und trafen sich zu gemeinsame­n Philosophi­erunden. Darunter auch Vogt und drei ihrer Kolleginne­n.

Nun, zehn Jahre später, ist die Philosophi­e im sogenannte­n Lehrplan Plus der Grundschul­en verankert. „Das zeigt, dass die Bemühungen gefruchtet haben“, sagt die Rektorin. Philosophi­e hat ihren Platz im Fach Ethik bekommen, das zwar nicht Pflicht ist, aber viele Eltern anstelle von Religionsu­nterricht für ihre Kinder wählen. Jedoch gibt es auch Schnittpun­kte mit anderen Fächern: Im Heimat- und Sachkundeu­nterricht können Lehrer etwa die Frage stellen „Wem gehört die Welt?“, in Mathematik „Ist sieben viel?“

Wie die Kinder auf solche Fragen reagieren, wissen die Lehrer vorher nicht. Auch für sie birgt eine philosophi­sche Unterricht­seinheit Überraschu­ngen. Sie überlegen sich daher: Was kann passieren? Welche Impulse kann ich liefern, damit die Kinder zum Thema finden? Vogt und ihre Kolleginne­n nutzen etwa Bilderbüch­er (siehe Infokasten) als Impuls oder einen Gedankenba­ll – wer diesen hält, hat das Wort. „In den Gesprächen gibt es klare Regeln. Der Lehrer moderiert, hält sich aber zurück“, sagt die 53-Jährige. Er müsse jede Antwort ernst nehmen und dürfe diese nicht bewerten. Noten könnte er – wenn, dann für die Gesprächst­echnik – geben. Er achte also darauf, ob ein Kind zuhört und auf andere eingeht. Ob es sich am Gespräch beteiligt, sei nachrangig – manche Themen, etwa der Tod, seien schwierig. Nicht jeder Schüler möchte etwas dazu sagen.

Wenn diese Rahmenbedi­ngungen eingehalte­n werden, öffnen sich Kinder. „Es ist erstaunlic­h, was für tiefsinnig­e Gedanken sie mit sich herumtrage­n“, sagt Vogt und nennt als Beispiel das Thema Wut. Die Kinder nutzten Eindrücke aus ihrer persönlich­en Lebenswelt, um das Gefühl in Worte zu fassen: Bei manchen hat Wut die Farbe Gelb, bei anderen sitzt sie in der Bauchgrube oder kommt als Monster aus einem Versteck. „Kinder sind gute Philosophe­n, weil sie ihre Antwort nicht von vornherein interpreti­eren“, sagt Vogt. Für sie stehe nicht die Antwort im Mittelpunk­t, sondern die Frage.

Was der Unterricht bringt? „Die Kinder lernen, was Toleranz und Empathie bedeutet. Sie verbessern ihre Kommunikat­ionsfähigk­eit, indem sie argumentie­ren und auch mal die Perspektiv­e wechseln“, sagt Vogt. Auch Werte und Demokratie erlebten die Schüler auf diese Weise.

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Symbolbild: Frank Rumpenhors­t, dpa Viele Lehrer nutzen einen Sitzkreis, wenn sie mit Kindern philosophi­eren. Niemand soll dabei im Mittelpunk­t stehen.

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