In Jane Austens Welt
Unvergleichlich hat die Schriftstellerin, die vor 200 Jahren starb, das Milieu des englischen Landadels geschildert. Die Frauenfiguren gerieten ihr dabei recht ungewöhnlich
Wie sich die Zeiten gleichen: Landliebe war vor gut 200 Jahren in England ebenso angesagt wie heute, Bücher über Design und Gärten florierten. Und ebenso wie heute waren die Zeiten unruhig: Die Französische Revolution fegte alles hinweg, was bis dahin als sicher gegolten hatte, Napoleon überzog Europa mit Kriegen und veränderte die Ordnung der Staaten. Und Jane Austen? Schrieb über Englands Landadel, über Vernunft und Gefühl, Stolz und Vorurteil. Gallig kommentierte John Updike einmal das Fehlen jeglichen politischen Hintergrunds in den Romanen: „Für Jane Austen war Napoleon der Grund dafür, dass die englische Landschaft so sparsam mit künftigen Ehemännern ausgestattet war.“
Und heute: Krisen und Kriege vielerorts, Millionen auf der Flucht – und Jane Austens Romane sind so beliebt wie schon lange nicht mehr. Ist es die Flucht aus der Realität, zu der ihre Romane einladen, die Sehnsucht nach einer geordneten, überschaubaren Welt? Oder ist Jane Austen wirklich die große Schriftstellerin, als die sie zu ihrem 200. Todestag an diesem 18. Juli gerühmt wird, vergleichbar mit Dickens und Shakespeare?
Ihren Zeitgenossen blieb die in der südenglischen Grafschaft Hampshire geborene Pfarrerstochter lange Zeit eine Unbekannte. 1811, da war sie 36, erschien „Sense and Sensibility“mit der schlichten Autorenangabe: „By a lady.“Erst nach ihrem Tod veröffentlichte ihr Bruder „Northanger Abbey“unter dem Namen seiner Schwester. Sir Walter Scott, damals ein BestsellerAutor, outete sich sogleich als Bewunderer: „Diese junge Dame hat ein Talent, die Verwicklungen und Charaktere des Alltags zu beschreiben, das für mich das Wundervollste ist, das mir je begegnet ist.“
Jane Austen schrieb über das Leben, das Land, die Liebe und war doch ganz anders als die Gartenlauben-Schreiberinnen ihrer oder als die Rosamunde Pilchers unserer Zeit. Spitzzüngig und geistreich beschrieb sie das Milieu des niederen Landadels, bestückte ihre Romane mit zeitlosen Archetypen. Weit musste sie dafür nicht gehen, die Vorbilder für ihr Handlungspersonal fand die Schriftstellerin in ihrer Umgebung. Sechs Brüder hatte sie und eine Schwester, Cassandra, die sie ihr Leben lang begleitete. Freunde und Verwandte der großen Familie sowie die gesellschaftlichen Ereignisse, bei denen sie zusammenkamen, fanden ihren Niederschlag in den Romanen.
Die großen Häuser, die eleganten Roben, die vornehmen Bälle gaben dabei nur den äußeren Rahmen für das, was Austen interessierte. „Alles ist besser als eine Heirat ohne Zuneigung“, sagte sie einmal. Und diese Ansicht, zu ihrer Zeit wohl ebenso revolutionär wie die schreibende Autorin selbst, vertreten ihre Heldinnen nicht nur in geschliffenen Dialogen, sondern auch in ihrem Handeln. Doch ganz kann sich nicht einmal die scharfzüngige Emma im gleichnamigen Roman aus dem Korsett der Konventionen befreien. Am Ende kommt auch sie unter die Haube – und entgeht damit dem Schicksal, als altjüngferliche Tante auf die Almosen der Brüder angewiesen zu sein. So wie Jane Austen, die ihre letzten Jahre zusammen mit Mutter und Schwester in einem kleinen Haus in Chawton verbrachte, das Bruder Edward den Frauen zur Verfügung gestellt hatte. Eine verheiratete Frau hatte es da schon besser, wenn sie denn das Glück hatte, den Richtigen zu finden. Reich sollte er sein, um Anteil am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, und großzügig, um auch eine Frau ohne große Mitgift zu ehelichen, schließlich standesgemäß, um im nachbarlichen Umfeld anerkannt zu sein.
Jane Austen blieb dieses Glück versagt. Doch statt sich in die Rolle einer stickenden alten Jungfer zu begeben, schrieb sie über das, was ihre Zeitgenossinnen bewegte, und porträtierte selbstbewusste, kluge Frauen, die gerade wegen ihrer Unangepasstheit das Interesse der Männer erregten. Auffallend oft stellte sie diesen Frauen eine Schwester zur Seite, die ganz anders ist: gefühlvoll, leidenschaftlich, verletzlich wie Marianne in „Vernunft und Gefühl“oder Jane in „Stolz und Vorurteil“.
Diese Facetten, die in Austens Romanen ebenso wichtig sind wie die oft entlarvenden Dialoge, kommen in den opulenten Verfilmungen der Romane viel zu kurz, was dazu geführt hat, dass Jane Austen gerne als Rosamunde Pilcher ihrer Zeit missinterpretiert wird. Das war sie ebenso wenig, wie sie eine Feministin war. Was sie war, ist wichtig genug: eine genaue und kritische Chronistin ihrer Zeit und der menschlichen Schwächen. Großbritannien ehrt sie mit einer ungewöhnlichen Aktion: Als einzige Frau neben der Queen ziert Jane Austen eine Münze und einen Pfundschein des Königreichs. O
Jane Austens Roman „Sense and Sensibility“ist als „Vernunft und Gefühl“in einer zeitgemäßen Übersetzung von Andrea Ott im Manesse Verlag erschienen, mit einem lesenswerten Nachwort von Denis Scheck (416 S., 24,95 ¤). Der Schriftsteller Maxim Biller übernimmt im kommenden Jahr die Heidelberger Poetikdozentur. Mit Biller habe man einen Autor gewonnen, der seine Doppelfunktion als Dichter und Kritiker „scharfzüngig und hellsichtig“einnehme, teilten die Organisatoren an der Universität Heidelberg mit. Er mische damit nicht nur immer wieder den Literaturbetrieb auf, sondern bewege sich auch mit seinen Werken und Debattenbeiträgen in der Traditionslinie von Heinrich Heine und Kurt Tucholsky. Biller, 56, war als Kolumnist für verschiedene Blätter tätig, zuletzt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Zudem machte er als Kritiker im „Literarischen Quartett“des ZDF auf sich aufmerksam. Sein zuletzt veröffentlichter Roman trägt den Titel „Biografie“. (epd) Das Museum Folkwang widmet dem deutschen Filmemacher Alexander Kluge zu seinem 85. Geburtstag eine große Ausstellung. In der Schau „Pluriversum“stehen vom 15. September bis 7. Januar Kluges filmische Montagen aus Wörtern und Bildern im Mittelpunkt, wie das Museum in Essen ankündigte. Es sei die erste große Museumsausstellung über das Werk des Filmemachers und Autors, der am 14. Februar seinen 85. Geburtstag feierte. Kluge gewähre in der Schau auch Einblicke in sein umfangreiches Archiv kurzer Filmsequenzen, aus denen er Material für neue Filme schöpfe. Begleitet wird die Ausstellung von einer hochkarätig besetzten Veranstaltungsreihe, unter anderem mit dem Komiker Helge Schneider. (epd)